Deutschlandticket erheblich ermäßigtes Beförderungsentgelt (Allgemeines Forum)

michael_seelze, Sonntag, 16.04.2023, 00:31 (vor 366 Tagen) @ Berlin-Express

Der Satz ist wirklich toll: "Durch seine Preisgestaltung unterscheidet sich das Deutschlandticket von anderen Monats- und Jahreskarten, die teurer sind."
Weiter geht es mit: "Bei Letzteren sollten Fahrgäste, die einen
hohem Preis für ihre Zeitkarten zahlen, nicht von Fahrgastrechten ausgeschlossen werden."

Mit dem Satz wird begründet, warum der ursprüngliche §2 EVO nicht weitergehend geändert worden ist, etwa durch Streichen des Satzes "Nicht als erheblich ermäßigtes Beförderungsentgelt gelten Mehrtages-Zeitkarten, insbesondere Wochenkarten, Monatskarten und Jahreskarten."

Mit dem vom Beitragsbaumeröffner verlinkten Verordnungstext haben sich die Verkehrsunternehmen mit ihrer Argumentation überwiegend durchgesetzt, was positiv für die Unternehmen, aber (gerade im Kontext mit der ab 07.06. geltenden EU-VO 782/2021) negativ für die Fahrgäste ist.

Hier Passagen aus den Stellungnahmen der Verkehrsunternehmen bzw. Ihrer Verbände zum Referentenentwurf, der noch keine Einstufung des Entgeltes des Deutschland-Tickets als erheblich ermäßigt beinhaltete:

Deutsche Bahn AG 20.12.2022:


Nach heutiger Regelung in § 3 Abs. 3 Satz 2 EVO-E gilt das „Deutschlandticket“ trotzdem nicht
als erheblich ermäßigt, da es sich um eine Mehrtages-Zeitkarte handelt. Die Begründung für
den Ausschluss von Mehrtages-Zeitkarten von der erheblichen Ermäßigung bezog sich zum
Zeitpunkt der letzten EVO-Änderung (Verordnung zur Bereinigung der Eisenbahn-
Verkehrsordnung vom 5. April 2019 (BGBl. I, S 479), Bundesrats-Drucksache 44/19 vom
25.01.2019, Begründung zu Nummer 5 Buchstabe c (§2 Satz 3 EVO) darauf, dass gerade die
SPNV-affinen Fahrgäste, die einen hohen Preis für Zeitkarten zahlen, aufgrund der
erheblichen Ermäßigung nicht von den Fahrgastrechten ausgeschlossen werden dürfen.
Auch dieses Argument trägt unter Berücksichtigung des „Deutschlandtickets“ nicht mehr:
20.Dezember 2022
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• Das „Deutschlandticket“ ist mit einem Preis von 49 Euro für die bundesweite Nutzung
inkl. ÖPNV nur marginal teurer als ein Tageskartenangebot für die bundesweite Nutzung ohne ÖPNV (Quer-durchs-Land-Ticket, 44 Euro), welches unter das erhebliche ermäßigte Beförderungsentgelt gemäß § 2 der aktuell gültigen Eisenbahnverkehrsordnung fällt.
• Der Preis von 49 Euro ist nur deshalb darstellbar, weil das Angebot zu erheblichen Teilen von Bund und den Bundesländern aus Steuermitteln subventioniert wird
• Aufgrund des geringen Preispunkts und der bundesweiten Nutzbarkeit ist davon auszugehen, dass andere Zeitkartenangebote (Wochen-, Monats-, Jahreskarte) im SPNV nicht mehr erworben werden
• Die befürchtete Benachteiligung der Zeitkarten-Kunden ist mit Einführung des
„Deutschlandtickets“ somit nicht mehr gegeben
Neben diesen historischen bzw. angebotssystematischen Argumenten ergeben sich für die
EVU des SPNV gleichzeitig aber auch erhebliche wirtschaftliche Risiken, wenn das
„Deutschlandticket“ auch zukünftig als nicht erheblich ermäßigt angesehen wird und § 12 Abs.
1 EVO-E somit in vollem Umfang Anwendung findet:
Die Anwendung auch von § 12 Abs. 1 Nr. 1 EVO-E auf das Deutschlandticket und damit die
Möglichkeit zur Nutzung eines Fernverkehrszugs hätte zur Folge, dass den SPNV-Unternehmen
hohe Kosten für die Erstattung des Fahrpreises (idR DB-Flexpreis) an das Schienenpersonenfernverkehrsunternehmen entstehen, die schon bei einem einmaligen
Anwendungsfall pro Monat deutlich über dem monatlichen Fahrpreis des Deutschlandtickets
lägen. Inklusive der Fallkosten für die Bearbeitung kostet jeder dieser Fälle die DB Regio ca.
52 Euro. Damit übersteigen die Kosten für einen einzigen Fahrgastrechtefall für die Nutzung
höherwertigerer Züge die Einnahmen des Deutschlandtickets bereits deutlich. Es entstünde
ein wirtschaftliches Unverhältnis zwischen Fahrpreis und Bearbeitungskosten zu Ungunsten
der Eisenbahnverkehrsunternehmen.
Schließlich sprechen auch betriebliche Gründe für eine Ausnahmeregelung von § 12 Abs. 1
Nr. 1 EVO-E. Es ist – dies zeigen die Erfahrungen aus der Nutzung des 9-EUR-Tickets - mit
einer vermehrten Nutzung der Fernverkehrszüge durch Deutschlandticket-Inhaber:innen zu
rechnen, die zunächst ohne einen solchen zusätzlich zu erwerbenden Fernverkehrsfahrausweis
an Bord kommen und damit zum einen die Prozesse an Bord dieser Züge durch
ihren nachträglichen Fahrkartenerwerb bzw. die Ausstellung von Erhöhten
Beförderungsentgelten generell erheblich beeinträchtigen und zum anderen die Betreiber:
innen dieser Züge mit erheblichen Mehrkosten belasten würden.
Aus diesen Gründen sollte § 3 Abs. 3 letzter Satz EVO-E gestrichen oder das Deutschlandticket
explizit von der Anwendung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 EVO-E ausgenommen werden.

mofair e.V. 16.12.2022:

Den fürs erste auf 49 Euro pro Monat gedeckelten Einnah-men – für das Unternehmen, welches den ursprünglichen Beförderungsvertrag abschloss – stünden also Kosten für eine ersatzweise Beförderung in einem anderen Zug entgegen, die bereits bei einmaligem Eintritt die Einnahmen übersteigen können. Dass ein solches Ungleichgewicht im Sinne des gesamten Eisenbahnsektors keinen Bestand haben kann, ist evident. Hierzu sieht § 3 II EVO vor, dass durch ein Eisenbahnver-kehrsunternehmen von der Regelung des § 12 I 1 EVO abgewichen werden kann, insofern nach dem vorgesehen Tarif für einen Fahrausweis ein erheblich ermäßigtes Beförderungs-entgelt zu zahlen ist. Die Definition eines solchen erheblichen ermäßigten Beförderungs-entgeltes findet sich in § 3 III EVO, wonach es kumulativ als solches im Tarif ausdrücklich benannt werden sowie gegenüber dem gewöhnlichen Beförderungsentgelt eines Ersparnis von mehr als 50 Prozent gewähren muss – beide Voraussetzungen wären das Deutsch-landticket für 49 Euro ohne Zweifel erfüllt. Die Norm schließt Mehrtages-Zeitkarten, insbe-sondere Wochenkarten, Monatskarten und Jahreskarten jedoch explizit als erhebliche er-mäßigte Beförderungsentgelte aus, wodurch das Deutschlandticket mit monatlicher Gel-tungsdauer die Fahrgastrechte des § 12 I EVO im vollen Umfang zu gewähren hätte. Zugleich ist anzumerken, dass das bislang preisintensivste Einzelticket, welches ein erheblich ermäßigtes Beförderungsentgelt darstellt, das Quer-durchs-Land-Ticket („QdL“) ist, mit einer vergleichbaren bundesweiten Gültigkeit im SPNV für 42 Euro für eine Person und Tag. Dass ein Ticket, welches im Gegensatz dazu lediglich sieben Euro mehr kostet, hierfür jedoch einen Kalendermonat gültig ist, dann folgerichtig ebenfalls ein erheblich er-mäßigtes Beförderungsentgelt darstellen muss, ist – neben (!) der vorstehend ausgeführ-ten katastrophalen und nicht hinzunehmenden Risikoverteilung zuungunsten der Eisen-bahnverkehrsunternehmen – nur recht und billig sowie zwingend.


VDV 22.12.2022:


Bei der Regelung des § 3 Abs. 3 EVO-E muss nach unserer Ansicht zwingend die neue Entwicklung in Be-zug auf das Deutschlandticket bedacht und eingearbeitet werden. Es kann nicht sein, dass das extrem preiswerte Deutschlandticket, das als Monatsticket ausgestaltet ist, nicht unter die Kategorie der „erheb-lich ermäßigten Beförderungsentgelte“ fallen soll. Denn die erhebliche Ermäßigung stellt gerade ein we-sentliches Element des Deutschlandtickets dar.
Entsprechend schlagen wir vor, § 3 Abs. 3 EVO-E um einen Satz 3 mit folgendem Wortlaut zu ergänzen: „Satz 2 gilt nicht für das Deutschlandticket.“

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