weitere Hintergründe zur verfolgten Lösung (Allgemeines Forum)

bigbug21, Samstag, 04.10.2025, 00:18 (vor 64 Tagen) @ Aphex Twin
bearbeitet von bigbug21, Samstag, 04.10.2025, 00:21

Hallo Aphex Twin,

Das greift zu kurz, wie auch im Erläuterungsbericht dargelegt. Das seit 2020 verfolgte Gäubahnkonzept, mit dem Pfaffensteigtunnel, ist fahrplanbasiert und beinhaltet tatsächlich fahrbare Fahrlagen -- auch im ziemlich dicht befahrenen Großraum Stuttgart. Eine Variante, die die Gäubahn bei Stuttgart-Rohr auf kürzestmöglichem Weg mit dem Fildertunnel verbindet, würde zunächst einen etwa 7 km langen Tunnel erfordern, da dieser aus verschiedenen Gründen ungefähr bis zur Mitte des Fildertunnels geführt werden müsste, um dort einzufädeln (u. a. mit Rücksicht auf die maximal überhöhten und somit ungeeigneten Bögen im südlichen Fildertunnel und die gebotene niveaufreie unterirdische Kreuzung und Einbindung mit den entsprechenden Entwicklungslängen). Von daher hätte allein so ein Tunnel ungefähr zwei Drittel der Länge des Pfaffensteigtunnels.

Ist dies deine persönliche Einschätzung oder stehen diese Zahlen irgendwo schwarz auf weiß?

Sowohl als auch. Schau mal in den Erläuterungsbericht, dort findest du auch eine Grafik, wie ein solcher Tunnel ungefähr aussehen würde und wie lang er wäre.

Der zweite wesentliche Knackpunkt liegt dann im längeren Mischverkehr und der zumindest zum jetzigen D-Takt-Zielfahrplan unpassenden Fahrlage. Fernzüge Richtung Böblingen würden einige Minuten früher auf die Gäubahn treffen und dort quasi gleich von S-Bahnen ausgebremst. Das von PRO BAHN vorgeschlagene Konzept lässt offenbar offen, wie dies gelöst werden soll. Es wäre nichts gewonnen, wenn ein im Deutschlandtakt zuvor enthaltener oberirdischer Ausbau zusätzlich zu jenem Tunnel realisiert werden müsste.

Ein oberirdischer Ausbau dürfte immer noch billiger sein als ein Tunnel.

Wohl gemerkt: Ein oberirdischer Ausbau käme voraussichtlich noch zu jenem etwa sieben Kilometer langen Tunnel dazu. Je nachdem, welche verkehrlichen Ziele und welches Betriebskonzept verfolgt wird, wäre auch ein solcher Ausbau aufwendig.

Daneben bleibt dann noch die Anbindung des Flughafens, als Projektziel von Stuttgart 21 sowie die verkehrlichen Wirkungen des Flughafenbahnhofs, die weit über den bloßen Fluggastverkehr hinausgehen.

Und wenn etwas ein Projektziel von Stuttgart 21 ist, ist es gesetzt und muss nicht mehr Wirtschaftlichkeitsüberlegungem unterzogen werden, da ja die Projektpartner alle Kosten die über den Nutzen hinausgehen direkt übernehmen um ihre politischen Ziele zu erreichen? Dumm nur dass die regionalen Projektpartner hier Null der Extrakosten des Tunnels übernehmen. Und wie dieser verkehrliche Nutzen berechnet wurde, wurde auch nie offengelegt.

Das stimmt alles nicht. Der Gäubahnausbau ist ein Bedarfsplanprojekt (Bundesverkehrswegeplan) und wurde als Planfall 040b gemäß der Bewertungsmethodik des Bundes bewertet. Wie der verkehrliche bzw. daraus wesentlich abgeleitete volkswirtschaftliche Nutzen ermittelt wird, lässt sich im Handbuch zu jener Bewertungsmethodik ziemlich ausführlich nachlesen.

Wesentliche verkehrliche Nutzen des Projekts wurden dabei gar nicht mit bewertet: beispielsweise die Möglichkeit für zusätzliche S-Bahnen (wie die Schließung der Lücke im 15-Minuten-Takt nach Herrenberg mit allen Unterwegshalten oder zusätzliche S-Bahnen südlich von Böblingen, wie vom Aufgabenträger VRS geplant) oder der verkehrliche Nutzen, der sich aus über bloße Fahrzeiteffekte hinausgehenden Reisezeiteffekten ergibt, beispielsweise durch den schlanken und bahnsteiggleichen Übergang zum Fernverkehr von/nach Mannheim, wovon ein paar tausende Fernverkehrsreisende pro Tag eine gute halbe Stunde an Reisezeit einsparen.

(...)

Das ist eben die geniale Taktik bei Stuttgart 21, man manövriert sich immer wieder in Situationen in denen man nachträglich etwas machen muss was entweder viel kostet (z.B. Pfaffensteigtunnel, aber auch die Möhringer Kurve würde nachträglich deutlich mehr kosten als wenn von Anfang an mit geplant) oder zu Verzögerungen führt (Möhringer Kurve, P-Option). Die nicht vorhandenen Anschlussstutzen für den neuen Nordzulauf fallen auch in diese Kategorie. Es gab ja auch einmal eine (weitgehend) oberirdische Variante des Pfaffensteigtunnels, ein Grund wieso diese nicht wieder aufgegriffen wurde war dass diese wegen zahlreicher Einsprüche und Vorschriften zur Raumordnung, Lärmschutz usw. ziemlich sicher deutlich länger bis zum Baurecht gebraucht hätte.

Mit den Irrungen und Wirrungen um die Gäubahn- und Flughafenanbindung bei Stuttgart 21 kann niemand zufrieden sein. Allein die drei über insgesamt mehr als 20 Jahre vertieft geplanten Varianten dürften einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag an Planungskosten gekostet haben.

Mit dem Wissen von heute wäre Stuttgart 21 wohl auch nie in Bau gegangen. Falls doch, wäre wohl einiges anders geplant worden, gerade mit Blick auf den Deutschlandtakt. Es tut auch mir weh, zu sehen, wie allein zwischen Stuttgart und Ulm zwei Minuten für den D-Takt sehr bedeutende ICE-3-Fahrzeit ohne Not verbaut wurden, weil stoisch eine Entwurfsgeschwindigkeit von 250 km/h durchgezogen wurde, obwohl für genau dasselbe Geld auch abschnittsweise bis zu 300 km/h möglich gewesen wären. Die Liste ließe sich um einiges Fortsetzen.

Es wäre natürlich sinnvoller gewesen, rechtzeitig eine sinnvolle Lösung zu entwickeln als mehrere Varianten zu planen und letztlich zu verwerfen (Ursprungsplanung, Station Flughafenstraße, Station 3. Gleis). Die ursprünglich geplante Mitnutzung der S-Bahn-Station durch den Regional- und Fernverkehr der Gäubahn hätte wohl funktioniert, aber wohl nicht viel mehr. Vor allen Dingen hätte sich zwischen den wesentlichen Taktknoten entlang der Strecke wohl kein gutes Konzept entwickeln lassen.

Glaubst du wirklich das ursprüngliche Konzept hätte funktioniert, die Möhringer Kurve aber nicht?

Rein infrastrukturell hätten beide Konzepte funktioniert würden funktionieren. Die Frage ist, welches Betriebskonzept verfolgt werden soll. Wenn beispielsweise hingenommen werden kann bzw. soll, dass der Fernverkehr im Raum Stuttgart langsam im S-Bahn-Verkehr mitschwimmt, ergeben sich andere (viel einfachere) Lösungen als wenn der Fernverkehr gewisse Kantenfahrzeiten erreichen soll, die auch in der Praxis (im dicht befahrenen Raum Stuttgart, aber auch in eingleisigen Abschnitten) vernünftig fahrbar sein sollen.

[...]

Wie ich schon Henrik antwortete, das mag alles stimmen, aber dass überhaupt etwas an der Gäubahn ausgebaut wird liegt zu 100% daran die Wirtschaftlichkeit des Pfaffensteigtunnels hinschustern zu müssen damit dieser vom Bund finanziert werden darf. Und dass der Pfaffensteigtunnel gebaut wird liegt zu 100% daran dass man die ursprüngliche Lösung nicht mehr für tragfähig hält. Oder hat wirklich jemand auf die Liste der Projekte des Deutschlandtakts geschaut und gesagt: Der Pfaffensteigtunnel und der Rest des Gäubahnausbaus hat eindeutig die allerhöchste Priorität? Vielleicht ist der Pfaffensteigtunnel was den Deutschlandtakt angeht das Gelbe vom Ei, aber dass er so schnell durchgezogen wird liegt allein daran dass man den Kopfbahnhof so schnell wie möglich plattmachen will. Und selbst man vollkommen hinter dem Pfaffensteigtunnel steht, rechtfertigt dies in keiner Weise die Kappung der Gäubahn bevor der Inbetriebnahme des Tunnels.

Unter Abwägung aller mir bekannten Vor- und Nachteile finde ich die Entscheidung für das neue Gäubahnkonzept, einschließlich dem Pfaffensteigtunnel, schon richtig. Ein großer Nachteil liegt in der Unterbrechung der Gäubahn. Ich traue mir kein Urteil darüber zu, inwieweit die Gäubahn in Stuttgart noch für einige Jahre betrieben werden kann (der große Sanierungsbedarf ist dokumentiert) und inwieweit diese noch vernünftig zum Kopfbahnhof geführt werden kann.

Der volkswirtschaftliche Nutzen des Vorhabens dürfte in der einschlägigen Bewertung (Planfall 040b) eher zu niedrig gegriffen sein, da wesentliche Effekte der Planung gar nicht bzw. kaum mit abgebildet wurden. Der zweite größere im Rahmen des Gäubahnausbaus vorgesehene Tunnel (neuer Sulzer Tunnel) stiftet dabei wohl einen bezogen auf die Kosten geringeren Nutzen, da er bezogen auf den Gleiskilometer wohl aufwendiger werden wird und gleichzeitig in einem weitaus weniger stark befahrenen Bereich der Gäubahn liegt. Gleichzeitig enthält das Konzept fast keine Maßnahmen zwischen Tuttlingen und Schaffhausen, da die Kantenfahrzeiten hier bereits passen und eine bloße Fahrzeitoptimierung (die nach der BVWP-Bewertungsmethodik Nutzen stiftet) sinnlos bzw. sogar kontraproduktiv wäre (verfehlte Knotenzeiten). Kurzum: Wenn es darum gegangen wäre, den Pfaffensteigtunnel "hinzuschustern" wäre das neue Gäubahn-Konzept so nicht entstanden, sondern würde ziemlich anders aussehen.

Viele Grüße
Peter

--
unterwegs für freie Eisenbahn-Geodaten


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