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ICE-T-Fan, Montag, 29.07.2013, 11:43 (vor 3942 Tagen) @ bendo
bearbeitet von ICE-T-Fan, Montag, 29.07.2013, 11:47

Hallo,

nun, einige Tage nach dem Unglück und der einsetzenden Untersuchungen ist vielleicht schon etwas mehr über den Unfallhergang bekannt.

Bitte entschuldigt, dass ich innerhalb der vorangegangenen Diskussion nicht in die letzten Details der Zusicherungstechnik ein- bzw. durchgestiegen bin.

Diesbezüglich habe ich jetzt einige Fragen. Wäre es möglich (einem Laien) diese in wenigen Sätzen zusammenfassend zu beantworten?
Vielen Dank euch schon mal!

A) Welche technischen Lösungen beinhaltet das Zugsicherungssystem um eine deutliche Geschwindigkeitsüberschreitung zu unterbinden?

Das spanische ASFA-System, welches an der Unfallstelle verbaut ist, besitzt an Signalen Balisen ähnlich in die Gleismagneten der deutschen Indusi. Anstelle von 500, 1000 und 2000 Hz übertragen diese Balisen allerdings 8 bis 9 verschiedene Antworten. Vom Fahrzeuggerät werden davon 5 mögliche Antworten ausgewertet.
siehe Beitrag http://ice-fanforum.de/index.php?id=241397

Warum griff dieses System am Unglücksort nicht?

Bei "Fahrt" überwacht das ASFA nur die Überschreitung von 200 km/h, also der Obergrenze für diesen Zugsicherungstyp. Ist vergleichbar mit den obligatorischen 160 km/h in Deutschland bei der PZB.

Eine solche Überschreitung hat am Unfallort nicht vorgelegen, da der Alvia "nur" mit 190 km/h unterwegs war.

Geschwindigkeitsprüfabschnitte (GPA) wie in Deutschland mit der PZB werden unter ASFA wohl nicht realisiert. Dort werden nur Signalbegriffe überwacht, also beispielsweise "Fahrt", "Langsamfahrt erwarten", "Halt erwarten", "Halt".

In D werden Fernzüge über LZB geführt/kontrolliert. Außerhalb LZB?

Indusi/PZB -> punktförmige Zugbeeinflussung. In Deutschland ist seit dem Unfall von Hordorf flächendeckend der Einsatz dieses mittlerweile 80 Jahre alten Zugsicherungssystem vorgeschrieben. Vorher war es nur auf Hauptstrecken mit vmax > 100 km/h zwingend vorgeschrieben. An jedem Hauptsignal und an vielen Geschwindigkeitswechsel liegen Gleismagnete an der Strecke, die vom Fahrzeuggerät ausgewertet werden.

Ein Gleismagnet kann folgende Informationen übertragen:

-> http://de.wikipedia.org/wiki/Indusi
-> http://de.wikipedia.org/wiki/Geschwindigkeitspr%C3%BCfabschnitt

Laut Vorschrift muss jeder Geschwindigkeitswechsel über 20% oder 30% (oder km/h?) mit einem GPA gesichert sein. So oder so ähnlich habe ich das mal in einer Fachzeitschrift oder Fachbuch gelesen. Das bedeutet bei einer Kurve die nur 80 km/h zulässt, müssen alle Geschwindigkeitswechsel von Ausgangsgeschwindigkeiten von 110 km/h oder größer mit GPA gesichert sein.
Hier mal eine kurze Tabelle aus dem Gedächtnis, keine Gewähr auf Vollständigkeit oder absolute Genauigkeit:

Geschwindigkeit der La Streckengeschwindigkeit davor mit Geschwindigkeitswechsel ohne GPA Geschwindigkeitswechsel mit GPA


B) Lag (zum menschlichen Fehler) zusätzlich ein technischer Defekt vor, sodass der Zug am Unglücksort gegenüber der erlaubten Geschwindigkeit deutlich zu schnell fuhr?

Soweit bisher bekannt nicht. Es wird davon ausgegangen, dass der Tf von sich aus den Bremspunkt, der normalerweise 4 km vor dieser Kurve lag, missachtet hat um die Verspätung zu reduzieren. Er wollte erst 1 km vor dem Ende der SFS die Geschwindigkeit reduzieren. Aus irgendeinen Grund ist dies nicht gelungen. Ein technischer Defekt ist noch nicht vollkommen ausgeschlossen worden.


C) Wie ist das in D?

In Deutschland gibt es keine solchen "Hardware"-Lücken. Auch auf LZB-Strecken bleibt die PZB im Hintergrund aktiv, wird aber unterdrückt.

Siehe Beitrag vom Tf "Martin" -> http://ice-fanforum.de/index.php?id=241417

In Deutschland reicht die Überwachung der LZB aber grundsätzlich in den nächsten PZB-Block hinein, sodass man mit höchstens 160 km/h aus der LZB entlassen wird. Ein identischer Unfall wie in Santiago de Compostella ist in Deutschland nahezu ausgeschlossen. Lediglich LZB-Softwarefehler können Unfälle verursachen.

-> http://de.wikipedia.org/wiki/Linienzugbeeinflussung

Am 29. Juni 2001 ereignete sich auf der Bahnstrecke Leipzig–Dresden im Bahnhof Oschatz beinahe ein schwerer Unfall. Per LZB wurde dem Lokführer des ICE 1652 für einen Wechsel ins Gegengleis eine Geschwindigkeit von 180 km/h signalisiert, obwohl die Weichenverbindung nur mit 100 km/h befahren werden darf. Der Triebfahrzeugführer erkannte die abzweigend gestellte Weiche und bremste noch auf 170 km/h herunter.[23] Aufgrund eines Fehlers im Abgleich von LZB- und ESTW-Daten kannte die LZB die Geschwindigkeitseinschränkung nicht.

Am 17. November 2001 kam es in Bienenbüttel (Bahnstrecke Hannover–Hamburg) zu einem Beinahe-Unfall. Der Lokführer eines ICE sollte einen liegengebliebenen Güterzug im Gegengleis überholen. Dabei befuhr er eine für 80 km/h zugelassene Weichenverbindung mit 185 km/h, ohne zu entgleisen. Als Ursache wird die fehlerhafte Ausführung einer Schaltungsänderung im Stellwerk vermutet, die durch die Anhebung der Überleitgeschwindigkeit von 60 auf 80 km/h notwendig wurde. Durch eine vergessene Ausfallüberwachung des Geschwindigkeitsanzeigers signalisierte der LZB-Streckenrechner die für gerade Durchfahrten zugelassene Geschwindigkeit von 200 km/h statt der abzweigend zugelassenen 80 km/h.[23] Als Sofortmaßnahme hatte die DB Netz LZB-geführte Fahrten im Gegengleis untersagt. Als zwei Tage später ein Triebfahrzeugführer mit nicht plausiblen Führungsgrößen an ein Halt zeigendes Signal herangeführt wurde, wurde die betroffene LZB-Zentrale Celle vorübergehend abgeschaltet und überprüft.[24] Die Auswertung der PZB-Registrierung des Fahrzeugs ergab, dass keine Beeinflussung (1000/2000 Hz) registriert wurde.

Am 9. April 2002 kam es auf der Schnellfahrstrecke Hannover–Berlin zu einem Beinahe-Zusammenstoß. Nachdem in Fallersleben der Rechner der LZB-Streckenzentrale ausgefallen war, kamen auf beiden Streckengleisen jeweils zwei Züge in einem Blockabschnitt (Teilblockmodus) zum Halten. Beim Hochfahren des Rechners wurde dabei dem jeweils hinteren Zug eine Geschwindigkeit von 160 km/h signalisiert, dem vorderen jeweils 0 km/h. Einer der beiden nachfahrenden Lokführer sah den vor ihm stehenden Zug, der andere fragte sicherheitshalber in der Betriebszentrale an, die ihn vor Abfahrt warnte. Infolge des Vorfalls erließen DB Cargo und DB Personenverkehr am 11. April eine Weisung an ihre Triebfahrzeugführer, mit der besondere Vorsichtsmaßnahmen bei LZB-Ausfall im Teilblockmodus angeordnet wurden. Als Ursache gilt ein Softwarefehler.[25]


Viele Grüße, bendo


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