IR-Wagen & System IR: Beides hat sich überlebt (Allgemeines Forum)

Jogi, Donnerstag, 16.06.2011, 09:56 (vor 4720 Tagen) @ Oscar (NL)
bearbeitet von Jogi, Donnerstag, 16.06.2011, 09:59

Zunächst: Lesenswerter Beitrag, Oscar :)

Seit wann war der IR denn ein hochwertiges Produkt?
- unbequeme nichtverstellbare Sitze

Gibt es in unseren "IC"s auch nicht, während die durchschnittliche Fahrt NS-IC vs. DB-IR qua Kilometerzahl etwa gleich sind.

Genau daran krankte doch auch der IR (nebst anderen Punkten). Dem eigenwirtschaftliche Fernverzehr zugeordnet, während parallel dazu der oft (nahezu) adäquate RV fuhr.

Und dieser Punkt bleibt: Die Wagen sind für Langstrecken, die damals für IR-Zugläufe wie heute für IC-/EC-Läufe üblich waren bzw. sind, untauglich.

- keine Klimaanlage

1. Dafür Bahnerlebnis.

Wie viele Kunden wirste mit dem Argument für eine Zugfahrt begeistern können?

2. Was es nicht gibt, geht auch nicht kaputt.

*copy&paste* Wie viele Kunden wirste mit dem Argument für eine Zugfahrt öfters als zwei Mal im Jahr begeistern können?

3. Als der IR in den 80ern eingeführt wurde, war Klima noch gar nicht die Norm. Unsere ICM-Triebwagen und ICR-Reisezugwagen wurden ja auch in den 80ern ausgeliefert, und zwar ohne Klimas.

Ja schon, aber wir leben (schönerweise) nicht mehr in den 80ern. Zeiten änderen sich, Ansprüche wandeln sich mit. Heute ist nunmal eine Klimaanlage Standard, eine Mindestanforderung, über die selbst so ziemlich jeder Kleinwagen verfügt.

- laute Wagen

Statt Klotzbremsen und Achsenreibung "genießt" man jetzt genauso laute Handytelefonate sowie Ke$ha-artigen Plastikpopgedudel über Handys...

Ich fahre wohl mit den falschen FV-Zügen. Sowas habe ich bisher einmal erlebt:...

...mit offenem Lautsprecher ("Nein, das muss offen, Kopfhörer verursacht Hörbeschädigung und so können meine Freunde diese Musik auch genießen!").
Damit vergleichen ist der Motorensound einer Schienenbanane sogar noch Musik.

... Hingegangen, gebeten, den Computer leise zu stellen - fertig.

- Tische nicht für Notebooks nutzbar (die Magnete darunter löschten so manche Festplatte)

Notebooks gab es noch kaum oder nicht, als der IR eingeführt wurde.

*copy&paste* Zeiten ändern sich ;)

Deine 5 Kritikpunkte betreffen aber fast alle die IR-Wagen.
Ein Produkt ist allerdings mehr als nur Fahrzeugmaterial.

Aber mehr gibts ja von ihm heute nicht mehr.

Dazu kommen z.B. noch Tarifsystem, Haltepolitik, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit usw.
Das System IR mit zweistündlichem Halt in Städten, wo ICE und IC nicht kamen, war damals aber kaum zu toppen.

Relativ. Kam halt darauf an, welche Wünsche man für die Fahrt hatte.

Von Geilenkirchen direkt nach Berlin, das ging damals noch, und dann auch noch im Takt.

Wie viele Geilenkirchener wollen denn täglich nach Berlin? Die lassen sich sicher an einer Hand abzählen, so nicht gerade WE-Verkehr oder Ferienzeit ist.
Ansonsten übernahm hier der IR mit Sicherheit RV-Funktionen und brachte einen Großteil der Fahrgäste nur weiter in den Pott. Das kann ein RE4 (oder sonst eine Linie) genau so gut, mit mindestens adäquatem Wagenmaterial, besserem Takt, annährend gleicher Fahrzeit und günstiger, da auf die Monatskarte kein Zuschlag fällig war.

Ich bleibe bei meinem plakativem Beispiel: Für Görlitz ist eine gute Anbindung an Dresden wichtiger als ein paar durchgehende Verbindungen nach Flensburg.

Die ICM und ICR der NS wurden zumindest noch redesignt und auf den Stand des Reisens im 21. Jahrhundert gebracht.
Darauf hat man bei den IR-Wagen verzichtet.

Aus gutem Grund: Warum sollte man Substanz der 60er und 70er übermäßig erhalten, wenn die in absehbarer Zeit eh auf den Schrott wandern sollten? OK, heute mit der Achsklimaproblematik ist man natürlich dankbar für die Wagen, frei nach dem Motto besser schrottig gefahren als warten. Das ändert aber nichts am vorherigen Gedankengang, der wurde als notwendig und folgerichtig angesehen.

Das heißt aber noch nicht, dass das System IR schlecht sei.

Das kommt wieder auf die Bewertung an; und auch ob man unbedingt ein "schlechtes" Ergebnis haben will.
Vielmehr hat sich das Produkt durch die Bahnreform überlebt. Der bestellte RV übernimmt die auf den allermeisten Relationen regionale Transportfunktion mindestens auf gleichem Niveau (Komfort, Fahrzeit, Takt), sieht man mal vom Gastroangebot ab und grub dem IR in diesem Sektor das Wasser ab.
Auf Langstrecken ist mir bis heute noch nicht klar, was den IR großartig vom IC unterscheidet (außer wenn man das IC79-Konzept als Grundlage nimmt, aber das hat sich spätestens mit der ICE-Einführung überlebt, da dieser das Topprodukt war). Es war folgerichtig und mit der strikten Zweitelung Fern-/Regioverkehr absehbar, dass sich das IR-Konzept überlebt. Spätestens mit einer Neubestellung des IR-Fahrzeugmaterials, was eine Fortführung notwendig gebraucht hätte um zeitgemäßes Reiseniveau zu bieten. Nur mit dem PK-C-Preis wäre sowas definitiv nicht finanzierbar gewesen, zumal der RV mit seinen Länder- und Wochenendtickets die wesentlich günstigere Alternative war.

Nur wenn gar nichts geht setzen sich Kunden in die Kisten!

Wenn z.B. die Klimas mal versagen.
Dann ist man froh, dass es zumindest auch noch Wagen gibt, wo man ein Fenster runterschieben kann.

Ja :)
Ändert aber nichts am miesen Komfort der Schüsseln.
Als ebenso subjektives Erlebnis wie das Ke$ha-Gedödel: Ich bin vor einigen Wochen von Frankfurt nach Stuttgart gefahren. Die HVZ liegt in ihren letzten Zügen, der 2294 verfügt über drei Bimz-Schleudern - ich finde dort noch ein freies Abteil, obwohl der Zug *gut* ausgelastet (= jede Sitzreihe im ganzen Zug mit mindestens einer Person besetzt) ist. Ausfahrt aus Frankfurt bei Rauslehnen aus dem Fenster genossen (ist wirklich ein Erlebnis :), aber der schlackernde Vorhang lädt nicht dazu ein, später in Fahrtrichtung am Fenster zu sitzen. Also Fenster zu - nach wenigen Minuten riecht es komisch im Abteil (kommt vielleicht vom WC nebenan?).
Noch während der Fahrt nach Darmstadt (was ja nun wirklich keine Hochgeschwindigkeitsstrecke ist) schaukelt die Schleuder und die Geräuschkulisse des Drehgestells zeugt akustisch eindrucksvoll nachvollziehbar davon: der Zug fährt. Der Zug fährt allerdings so, dass selbst freihändiges Unterstreichen eines Textes kaum möglich ist, geschweige denn sich ordentlich auf ihn zu konzentrieren.

OK, ein "Bahnerlebnis" (was auch immer genau das sein soll) ist für uns bahnbegeistere ICE-Treffanhänger immer wieder schön. Deswegen fahre ich auch Bahn. Aber ich fahre auch Bahn, um dort zu arbeiten. Das ist mit diesen Schiebetischchen, so sie mal nicht verklemmt sind und sich nur mit nachdrücklicher Aufforderung ausziehen lassen, im IR-Abteil schwer möglich.

Nun gut, lang geredet, kurz sinniert: Ich flüchte nach Darmstadt in den IC-Steuerwagen, entere eine freie Sitzreihe - großartige, beinahe himmlische Laufruhe. Niemand spricht, kein Handy klingelt, Ka$ha bleibt ebenfalls zu Hause. Mit einem Wort: R-U-H-E. Da ist es selbst in der Unibib manchmal lauter.

Sowohl in echt als auch im Text kommt man fort. So sollte jede Bahnfahrt sein, dann ist die Fahrt an sich Erlebnis genug. Das *alles* im IR-Wagen? Undenkbar. Dessen Produktphilosophie hin oder her, sie kann noch so toll/wegweisend/genial und sonst was sein: Die Wagen sind **heute** allerunterstes Fernzugniveau. Für mich sind die Müll, der schnellstens auf den Schrott gehört.

Liebe Grüße
Jogi


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