3. Stellwerkstechnik (Allgemeines Forum)

Knochendochen, Donnerstag, 10.10.2024, 00:15 (vor 432 Tagen) @ Knochendochen

Stellwerke – als Fahrgast bekommt man von ihnen – außer sie geben mal den Geist auf – nicht viel mit und doch sind sie aus dem Bahnbetrieb nicht wegzudenken. Stellwerke sind die Schaltzentralen des Bahnbetriebs, wo alle Leitungen zusammenlaufen; die Fahrdienstleiter – oder wie es im Marketingsprech heißt: Zugverkehrssteuerer – als Bediener der Stellwerke sind die Fluglotsen der Schiene, die ersten Ansprechpartner bei Störungen und Dirigenten des Regelbetriebs. Kurz gesagt: ohne Stellwerke geht bei der Bahn nix. Doch was genau sind eigentlich Stellwerke, was ist ihre Aufgabe und welche Arten gibt es? Das möchte ich in diesem Beitrag besprechen.

Selbstverständlich gibt es für den Begriff Stellwerk eine offizielle Definition. Diese findet sich in der Ril 482 (Signalanlagen bedienen) im Modul 482.0009:
„Ein Stellwerk ist eine bauliche und technische Einrichtung in dem die Bedienungs- und Überwachungseinrichtungen der sicherungstechnischen Außenanlagen zusammengefasst sind. Zum Ausschluss gefährdender Fahrten werden im Stellwerk Abhängigkeiten zwischen den Weichen, Riegeln, Gleissperren und Signalen hergestellt.“

Ein Stellwerk hat also drei Hauptaufgaben, neben dispositiven Aufgaben: die zentrale Bedienung der Außenanlagen (Weichen, Signale, Bahnübergänge etc.), die Überwachung der Außenanlagen durch verschiedene Melder und die Sicherstellung der Signalabhängigkeit. Was unter den ersten beiden Punkten gemeint ist, ist denke ich selbsterklärend. Im Stellwerk gibt es verschiedene Hebel, Schalter, Tasten und Schaltflächen (im ESTW), mit denen die Außenanlage bedient werden kann (z.B. eine Weiche umgestellt werden kann) und Melder (in verschiedenen Farben leuchtende oder blinkende Anzeigen, akustische Hinweise, Stellung von Hebeln) durch Auswertung derer der aktuelle Zustand der Außenanlage festgestellt werden kann (z.B. der Sicherungszustand eines Bahnübergangs). Um zu verstehen, was es mit der Signalabhängigkeit auf sich hat, müssen wir etwas weiter ausholen.

Die Signalabhängigkeit ist ein extrem wichtiger Begriff im Eisenbahnbetrieb, denn er beschreibt die grundlegende Sicherung von Zugfahrten auf Fahrstraßen. (Auf den Begriff der Fahrstraße werde ich in einem anderen Beitrag nochmal genauer eingehen.) Der Fahrdienstleiter stimmt der Vorbeifahrt eines Zuges an einem Hauptsignal in der Regel durch dessen Fahrtstellung zu. Bevor er dies tut, muss natürlich sichergestellt sein, dass alle Bedingungen für die sichere Durchführung der Zugfahrt gegeben sind. Dazu gehört unter anderem die Feststellung, dass alle befahrenen Weichen und Flankenschutzeinrichtungen sich in der richtigen Stellung befinden, neben der Feststellung, dass der folgende Abschnitt frei ist, was aber nichts mit Signalabhängigkeit zu tun hat. Flankenschutzeinrichtungen sind signaltechnische Einrichtungen, welche sicherstellen, dass es zu keiner Gefährdung einer Zugfahrt von der Seite (Flankenfahrt) kommen kann. Dazu zählen z.B. Weichen, denn sie können, wenn sie in abweisender Stellung sind, verhindern, dass ein Fahrzeug dem Zug in die Seite fährt. Des Weiteren muss sichergestellt sein, dass das alles so bleibt, bis der Zug weg ist (sonst könnte es ja zum gefährlichen Umstellen einer Weiche unter einem Zug kommen). Nun könnte man meinen, dass der Fahrdienstleiter einfach alle Weichen und Flankenschutzelemente so einstellt, wie er sie braucht, nochmal prüft, ob alles passt und dann das Signal auf Fahrt stellt. Auch wenn natürlich hohe Anforderungen die Zuverlässigkeit betreffend an Fahrdienstleiter gestellt wird, wäre eine solche Verfahrensweise, bei der der Fahrdienstleiter schon im Regelbetrieb die volle Sicherungsverantwortung hat, viel zu unsicher und auf großen Stellwerken auch vom Arbeitspensum gar nicht schaffbar. Eine Weiche steht halt doch mal falsch und dann kracht es, wenn es blöd läuft.

Hier kommen die Stellwerke ins Spiel. Stellwerke sorgen technisch dafür, dass die Hauptsignale sich erst auf Fahrt stellen lassen, wenn „alles passt“, also alle Weichen und Flankenschutzeinrichtungen richtig gestellt sind, stellen also eine Abhängigkeit – die Signalabhängigkeit – zwischen den Hauptsignalen und den dazugehörigen Weichen und Flankenschutzelementen her. Dazu überprüft das Stellwerk die Stellung von ebenjenen und gibt das Signal erst frei, wenn „alles passt“ und sorgt auch dafür, dass die Elemente verschlossen – also unbedienbar – bleiben, bis der Zug weg ist. Wenn das Hauptsignal auf Fahrt kommt oder sich auf Fahrt stellen lässt, kann sich der Fahrdienstleiter also davon ausgehen, dass Weichen und Flankenschutzeinrichtungen richtig stehen. Ein Teil der Sicherungsverantwortung fällt so vom Fahrdienstleiter aufs Stellwerk: Der Fahrdienstleiter muss nicht jede Weiche überprüfen, sondern ein Blick auf den Fahrtmelder des Signals reicht. Im Störungsfall kann es natürlich Abweichungen davon geben, z.B. wenn das Signal partout nicht auf Fahrt kommen will, obwohl alle Bedingungen gegeben sind. Dann muss der Fahrdienstleiter unter Umständen wieder jedes Element einzeln überprüfen und anschließend die Vorbeifahrt am haltzeigenden Signal mit Ersatzsignal oder Befehl erlauben. Dann liegt die Verantwortung wieder voll beim Fahrdienstleiter, welcher durch betrieblich Ersatzmaßnahmen sicherstellen muss, dass die Zugfahrt genauso sicher wie auf Hauptsignal durchgeführt werden kann. Wenn ihr mal wieder auf freier Strecke steht und es nicht weitergeht, könnte das zum Beispiel daran liegen. Vielleicht starrt der Fahrdienstleiter gerade zum dritten mal fieberhaft auf die Fahrstraße um sicherzugehen, dass auch alles wirklich absolut sicher passt und ihr sicher fahren könnt. Auch für Signalabhängigkeit gibt es natürlich eine hochoffizielle Definition, die ich euch nicht vorenthalten möchte:

„Ein (Haupt-) Signal darf sich erst dann auf Fahrt stellen lassen, wenn alle zu der betreffenden Zugstraße gehörenden Weichen, Riegel und Flankenschutzeinrichtungen sich in der für die Fahrt erforderlichen Stellung befinden und verschlossen sind, diese solange in dieser Stellung verschlossen gehalten werden, wie sich das Signal in der Fahrtstellung befindet und dass alle zur Zugstraße gehörenden Einrichtungen auch nach Rückstellung des Signals so lange verschlossen bleiben, bis die ordnungsgemäße Auflösung erfolgt ist.“

Anhand der Art, wie diese Signalabhängigkeit hergestellt wird, und der Bedienung lassen sich die verschiedenen Stellwerkstechniken unterscheiden. Bei mechanischen Stellwerken gibt es den sogenannten Verschlusskasten mit Schubstangen und Verschlusstücken, die wie bei einem Puzzel ineinandergreifen, sodass der Signalhebel mechanisch blockiert ist, wenn irgendeinen Element nicht richtig steht und umgekehrt die Hebel der Elemente blockiert werden, wenn die Fahrstraße noch nicht aufgelöst ist. Bei elektromechanischen Stellwerken wird die Signalabhängigkeit in den meisten Fällen auch noch mechanisch hergestellt, allerdings wird nicht mehr über mit über Drahtzugleitungen mit den Außenanlagen verbundenen Hebeln durch Muskelkraft wie bei mechanischen Stellwerken, sondern elektrisch über drehbare Hebel bedient. In Relaisstellwerken wird die Signalabhängigkeit über Relais hergestellt, bedient wird mittels Zug- oder Drucktasten auf einem Stelltisch oder an einer Stellwand. Bei elektronischen Stellwerken wird die Signalabhängigkeit über redundant ausgelegte Rechner hergestellt und mit Maus und Tastatur an einem Bildschirm bedient.

Früher war es übrigens durchaus so, dass die Signalabhängigkeit nicht gegeben war. In der Anfangszeit der Eisenbahn musste das Zugpersonal vor jeder Weiche anhalten, aussteigen und diese selbst umstellen. Mit zunehmendem Verkehrsaufkommen wurde das unpraktikabel, sodass es „Weichensteller“ gab, die an den Weichen positioniert wurden und diese entsprechend umgestellt haben. Dies gestaltete sich aber auch relativ problematisch, weil es durch Missverständnisse zwischen Zugpersonal und verschiedenen Weichenstellern zu Unfällen kam und dieses Verfahren, wenn man nicht an jeder Weiche einen „Weichensteller“ positionieren will, sehr personal- und zeitintensiv war. Außerdem waren die Mitarbeiter ständig dem Wind und Wetter ausgesetzt. Diese Probleme trieben die Entwicklung von Stellwerken voran, denn von dort aus konnten die Anlagen zentral, witterungsgeschützt, personalsparend und unter Einbeziehung von technischer Sicherung bedient und überwacht werden.

Die gleiche Motivation treibt auch heute noch die Entwicklung der Stellwerkstechnik voran. Durch technische Innovation wird die Stellwerkstechnik immer sicherer und steuert immer größere Bereiche mit weniger Personal bei gleichzeitiger Kapazitätssteigerung. Während die mechanischen Stellwerke nur einen räumlich sehr begrenzten Bereich steuern können (bedingt durch betriebliche Zwänge: Stellbereich muss einsehbar sein aufgrund fehlender Gleisfreimeldeanlage und technische Zwänge: Drahtzugleitungen können nicht beliebig lang sein, ohne einen unstemmbaren Kraftaufwand bei der Hebelbedienung zu verursachen), in der Regel nur einen Bahnhof/Abzweigstelle/Überleitstelle/Blockstelle oder sogar nur Teile eines Bahnhofs, dehnen sich die Stellbereiche von Elektronischen Stellwerken teilweise über mehr als 100 km aus und sind prinzipiell unbegrenzt. In Elektronischen Stellwerken mit Zuglenkung überwachen die Fahrdienstleiter eigentlich nur noch die ordnungsgemäße Funktion des Stellwerks, während die Fahrstraßen automatisch einlaufen.

Obwohl diese Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten ist, gibt es im Netz der InfraGO AG immer noch massig Alttechnik. Von den ca. 2.600 Stellwerken sind noch ungefähr 30 % mechanisch, 45% Relaisstellwerke und nur ca. 20% ESTW. Allerdings muss erwähnt werden, dass diese Zahlen das Bild verzerren, denn der Stellbereich aller ESTWs ist in Summe trotzdem viel größer als der aller mechanischer Stellwerke, weil der Stellbereich jedes einzelnen ESTWs größer ist.

Das war es zu Stellwerken allgemein, bis zum nächsten Mal!

Grüße
Knochendochen


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