2.1 Das H/V-System (Allgemeines Forum)

Knochendochen, Montag, 16.09.2024, 05:24 (vor 456 Tagen) @ Knochendochen

Das H/V-System (ausgeschrieben Hauptsignal/Vorsignal-System) ist zwar nicht das älteste Signalsystem, jedoch das erste deutschlandweit einheitliche. Und an der Tatsache, dass es bis heute gehalten hat und im Bundesgebiet noch heute weite Verbreitung findet, lässt sich ableiten, dass es so schlecht nicht gewesen sein kann und immer noch ist. Ausgehend von den Ballon- und Korbsignalen, bei denen Korb- bzw. Ballonähnliche Gegenstände über Seile entlang eines Mastes hoch und runter bewegt werden konnten und die zunächst der Kommunikation der Betriebsstellen untereinander dienten, dann auch der Kommunikation zwischen stationären Bahnmitarbeitern und Zugpersonal, entwickelten sich allmählich Flügelsignale, die aber noch lange nicht einheitlich waren, da es zu dieser Zeit noch viele verschiedene Bahngesellschaften gab. Zunächst dienten die Flügelsignale anders als heute der Wegesignalisierung, haben also mit bis zu drei Flügeln angezeigt, ob ein durchgehendes Hauptgleis oder ein abzweigendes Gleis befahren wird. Außerdem gab es teilweise die sicherheitstechnisch völlig schwachsinnige Eigenheit, dass bei den Nachtzeichen (=Zeichen, was das Erkennen des Signals auch bei Dunkelheit ermöglicht, wenn die Flügel aus der Entfernung nur schwer zu sehen sind) an Hauptsignalen grün für Fahrt stand jedoch an Vorsignalen grün „Halt erwarten“ signalisierte (dafür weiß Fahrt). Ab 1949 schließlich waren die H/V-Signale so vorzufinden, wie wir sie heute kennen.

Heute gibt es im H/V-System sechs verschiedene Signalbegriffe, drei für Hauptsignale und 3 für Vorsignale. Dabei bedeutet Hp 0 „Halt“ (das Lichtsignal kann auch nur ein rotes Licht haben),
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Hp 1 "Fahrt" und
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Hp 2 "Langsamfahrt"
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Hp 0 und Hp 1 sind ja relativ selbsterklärend - Hp 0 gebietet jeglichen Fahrzeugen halt (übrigens Zug- und Rangierfahrten), während Hp 1 Zügen die Vorbeifahrt mit Streckengeschwindigkeit erlaubt. Bei Hp 2 gibt es etwas mehr Erklärungsbedarf: Was genau bedeutet "Langsamfahrt"? Grundsätzlich erstmal, dass mit 40 km/h vorbeigefahren werden darf. Diese Geschwindigkeit kann allerdings durch ein Zs 3 herab- oder heraufgesetzt werden.[image][image]
Das Zs 3 - auch Geschwindigkeitsanzeiger genannt - kann als Form- oder Lichtsignal ausgelegt sein und gibt an, dass maximal die Kennziffer multipliziert mit 10 gefahren werden darf. Bis wohin gilt diese Geschwindigkeitsbeschränkung? Es wäre eine Verschwendung, wenn sie generell bis zum nächsten Hauptsignal gelten würde, weil der Hintergrund, warum Geschwindigkeiten durch Hp 2 Bzw. Zs 3 heruntersigalisiert werden darin liegt, dass Weichen im abzweigenden Strang befahren werden. Dieser Grund fällt ja weg, wenn der sich an ein Signal anschließende Weichenbereich durchfahren wurde. Deswegen gilt die Geschwindigkeitsbeschränkung durch Hp 2 bzw. Zs 3 nur im anschließenden Weichenbereich. Woher weißt der Tf, dass er mit allen Wagen den anschließenden Weichenbereich verlassen hat? Er sieht ja schließlich nicht, wo sich sein Zugschluss befindet. Das kann er sich mithilfe der in der Regel alle 200 Meter aufgestellten Hektometertafeln und der Kenntnis seiner Zuglänge herleiten. Auf manchen Triebfahrzeugen gibt es auch Zuglängenzähler, die dem Tf nach betätigen eines Knopfes anzeigen, wenn der Zugschluss da ist, wo der Knpf betätigt wurde. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Zs 3 auch in Kombination mit Hp 1 gezeigt werden kann. Hp 2 kann nämlich nur maximal bis auf 60 km/h hochsignalisiert werden, also Kennziffer 6. Alles ab Kennziffer 7 wird in Verbindung mit Hp 1 gezeigt.

Entsprechend den Hauptsignalen gibt es auch 3 Vorsignalbegriffe, nämlich Vr 0 "Halt erwarten",
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Vr 1 "Fahrt erwarten" und
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Vr 2 "Langsamfahrt erwarten".
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Um eindeutig unterscheiden zu können, ob es sich beim jeweiligen Signal um ein Hauptsignal oder ein Vorsignal handelt, werden Vorsignale durch Signal Ne 2, Vorsignaltafeln, gekennzeichnet.
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In unübersichtlichen Situationen sind zwischen Vorsignal und Hauptsignal einer oder mehrere Vorsignalwiederholer aufgestellt, welche das gleiche Signalbild wie das Vorsignal zeigen, bis auf ein weißes Zusatzlicht, was sie als Vorsignalwiederholer kennzeichnet.[image]
Steht ein Vorsignal in einem um mehr als 5% kürzeren Abstand als dem Bremsweg der Strecke vor dem Hauptsignal, ist es ebenfalls durch ein weißes Zusatzlicht gekennzeichnet, hat aber im Gegensatz zum Vorsignalwiederholer ein Ne 2.

Am Vorsignal kann sich ein Zs 3v befinden. Das Zs 3v zeigt das gleiche Signalbild wie das Zs 3 mit dem Unterschied, dass die Kennziffer in Gelb dargestellt ist. Das Zs 3v ist also quasi das "Vorsignal" für das Zs 3.

Die Hauptsignale im H/V-System, wie auch alle anderen Hauptsignale, können als Blocksignale (Bksig), Einfahrsignal (Esig), Ausfahrsignale (Asig), Zwischensignale (Zsig) und Deckungssignale (Dksig) verwendet werden. Je nach Einsatz können sie nur manche der 3 möglichen Signalbegriffe zeigen. Bei Formsignalen lässt sich leicht durch Betrachtung des Signals feststellen, welche Signalbegriffe dieses Signal zeigen kann. Ein Formhauptsignal, dem der zweite Signalflügel fehlt, wird logischerweise niemals Hp 2 anzeigen können. Man bezeichnet es dann als zweibegriffiges Formhauptsignal. Denkbar wäre ein solches Signal z.B. als Blocksignal oder als Einfahr- oder Ausfahrsignal, wenn es keine an diesem Signal beginnende Fahrstraße gibt, die über eine Weiche im abzweigenden Strang führt und somit eine Signalisierung von Hp 2 erforderlich machen würde. Ein Formvorsignal ohne den Signalflügel wird entsprechend kein Vr 2 signalisieren können. Dient ein Signal nur als Zielsignal für Fahrstraßen, ist aber ab diesem Signal keine Fahrstraße projektiert, kann es nur Hp 0 zeigen.

Hauptsignal und Vorsignal können auch am selben Signalmast angebracht sein, haben aber stets einen separaten Signalschirm (bis auf eine mir bekannte Ausnahme, wer weitere kennt: her damit :-) ) Das sieht dann so aus:
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Wenn das Hauptsignal in dieser Konstellation Hp 0 zeigt, wird das Vorsignal abgeschaltet, um beim Tf keine Verwirrung zu stiften, genauso wenn die Fahrstraße in eine Strecke führt, für die das Vorsignal keine Bedeutung hat.

Eine weitere lustige Besonderheit gibts auf Strecken, auf denen kein Gleiswechselbetrieb eingerichtet ist, dafür aber signalisierter Falschfahrbetrieb. Ganz kurz zur Erklärung: Wenn kein Gleiswechselbetrieb (GWB) eingerichtet ist, ist das Fahren auf dem Gegengleis nicht vorgesehen und darf nur bei besonderen Betriebssituationen (z.B. liegengebliebener Zug auf dem Regelgleis oder Bauarbeiten) durchgeführt werden. Da es eben stellwerkstechnisch und von der Signalisierung nicht projektiert ist, gibt es auch keine Fahrstraßen ins/vom Gegengleis und somit natürlich auch kein Einfahrsignal im Gegengleis in den Bahnhof. Wenn GWB ständig eingerichtet ist, kann ganz normal auf Fahrstraße und Fahrtstellung des Hauptsignals vom Bahnhof ins Gegengleis gefahren werden und vom Gegengleis in den nächsten Bahnhof rein. Das Gegengleis ist dann blocktechnisch voll ausgerüstet (möglicherweise mit weniger Blocksignalen als in der Regelrichtung). Ein Mittelding zwischen ständig eingerichtetem GWB und nicht eingerichtetem GWB ist jetzt der signalisierte Falschfahrbetrieb. Da gibt es zwar immer noch keine Fahrstraßen (nur Zughilfsstraßen), also kommt man auch immer noch nicht durch einen Fahrtbegriff am Ausfahrsignal vorbei, dafür aber auf Zs 8 und jetzt kommts: beim nächsten Bahnhof steht dann am Gegengleis ein meist tiefstehendes Hauptsignal (oder Sperrsignal) auf Höhe des Einfahrsignals des Regelgleises, welches nur Hp 0 und Zs1/8 zeigen kann. Der Vorteil zu gar keinem GWB ist, dass man sich bei signalisiertem Falschfahrbetrieb die Befehle spart. Am Ende ist es eine Kostenfrage. Auf Strecken, auf denen es sich vom Verkehrsaufkommen nicht lohnt, GWB zu projektieren, man aber bei Störungen nicht völlig "nackig" sein möchte, hat man sich für signalisierten Falschfahrbetrieb entschieden, da das eben bedeutend billiger ist, aber man dennoch enorme betriebliche Vorteile gegenüber gar keinen GWB hat.

Neu verbaut werden H/V-Signale bei der InfraGO überhaupt nicht mehr (es sei denn es ist notwendig, weil ein Signal völlig den Geist aufgegeben hat und man es in Gänze ersetzt), bei Neubau werden nur noch Ks-Signale installiert. Obwohl ältere ESTWs nocht mit H/V-Signalen ausgerüstet sind, befinden sich die allermeisten H/V-Signale in Knechtschaft von (elektro-)mechanischen Stellwerken oder Relaisstellwerken. Im Osten gibt es gar keine H/V-Lichtsignale mehr, stattdessen hat man dort auf das Hl-System gesetzt, was aber auch wie das H/V-System im Westen nach und nach durch das Ks-System ersetzt werden soll. Ich vermute einige Jahrzehnte wird das schon noch dauern...

Ich persönlich finde das H/V-System am angenehmsten, weil es durch die klare Trennung von Haup- und Vorsignalen am einfachsten zu verstehen ist und ich finde, dass die H/V-Signalschirme mit ihren ihnen deutlich anzusehenden Abnutzungsspuren immer einen Gewissen Bundesbahn-Vibe versprühen. Wie ist es denn für die Tfs? In welchem Signalsystem findet ihr es am "angenehmsten" zu fahren?

Mit ganz in Manier des Themas den nächsten Beitrag als das Ks-System thematisierenden vorankündigenden Grüßen

Knochendochen


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