! zur Frage, ob es sich lohnt, ein EVU zu gründen (Allgemeines Forum)

Jogi, Sonntag, 21.03.2010, 16:47 (vor 5169 Tagen) @ chris

Hallo Chris,

Lohnt es sich eine Eisenbahngesellschaft zu gründen und zu betreiben? (Fundraising wird dort wohl irre schwierig sein...)

schauen wir uns mal (oberflächlich) den privaten Fernverkehr an. Mir fallen gerade diese Verkehrsleistungen ein, die seit etwa dem jahr 2000 erbracht wurden:
- der Nachtzug Berlin-Malmö,
- der InterConnex 1 Gera-Rostock,
- der InterConnex 2 Görlitz-Berlin=Lichtenberg-Stralsund, später auch mit Dresden=Neustadt als Starbahnhof,
- der InterConnex 3 Rostock-Halle-Gießen-Köln,
- der Vogtlandexpress Chemnitz-Berlin mit varierenden Startbahnhöfen und Laufwegen in Sachsen,
- der private Nachtzug Stuttgart-Berlin.

(Gab es nicht auch noch kurzzeitig eigenwirtschaftlichen Verkehr Köln-Bielefeld?)

Von diesen sechs Beispielen fahren heute noch drei, allerdings mit starken Variierungen im Laufweg. Der Vogtlandexpress war ja kurzzeitig eingestellt.
Die gescheiterten Beispiele fuhren teilweise nur 14 Tage (Stuttgart-Berlin, entspricht insgesamt vier Fahrten).
Es scheint also sehr schwer zu sein, Eisenbahnverkehr eigenwirtschaftlich zu betreiben.

Bei ausgeschriebenen Regionalverkehr sieht die Sache dank der "Subventionen"* etwas anders aus. Größtes Problem ist es, die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Das kann man sich bereits bei der Finanzierung des Rollmaterials sehen.
Nehmen wir als Hausnummer für die Kosten eines Elektrotriebwagen à la der BR 440 etwa 3,5 Millionen pro Fahrzeug an. So braucht man z.B. beim Fugger-Express mit etwa 35 Fahrzeugen einen Kredit (!) von über 120 Millionen Euro allein als Anschaffungskosten. Da sind dann noch keine Unterhaltskosten und ähnliches inbegriffen. Dann noch Personalkosten, Trassennutzung für DB Netz, Energiekosten,... Da bewegt man sich für so ein großes Verkehrspaket tief im neunstelligen Eurobereich. Und dieses durch viele Kredite zu finanzieren, da kaum eine Bank so viel leihen würde - dass würde man als kleine Gesellschaft nicht schaffen.

Bei kleineren (Diesel-)Netzten wie z.B. rund um Hof, auf dem "agilis" demnächst fährt, oder die ODEG rund um Görlitz, sind natürlich (relativ) geringere Investitionskosten fällig, aber das Grundprinzip der schweren Finanzierung bleibt.

Zusammengefasst braucht man, wegen so hoher Einstiegskosten, für die Gründung eines EVU einen starken Partner (z.B. Veolia) damit man solche Kredite gewährt bekommt.
Rein gefühlsmäßig würde ich sagen, dass die Gewinnmargen, gemessen an den Investitionen, sehr gering sind und auch nur sehr langsam einsteigen. Demnach würde es schwer sein, einen solchen Partner zu finden.

Es kann sich durchaus lohnen, als EVU ausgeschriebenen und "subventionierten" Nahverkehr zu fahren. In Ba-Wü z.B. gibt es recht hohe Regionalisierungsmittel mit etwa 20 Euro/Zugkm, wenn ich mich richtig erinnere. Netterweise hat die Bahn hier noch einen Verkehrsvertrag bis 2016. Eigenwirtschaftlichen Bahnverkehr mit Gewinn zu betreiben ist dagegen schwer.

Ich hoffe mal, dieser Einblick beantwortet deine Frage.
Wenn irgendjemand etwas ergänzen will oder Fehler findet, bitte ich um Korrektur - nicht dass hier völlig falsches stehenbleibt...

Viel Spaß beim Fotografieren,
Jogi


* Da die Regionalisierungsmittel die Grundversorgung der Mobilität garantieren, finde ich den Begriff "Subvention" unangebracht - de facto sind sie es aber.


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