Auch ernüchternd ... (Allgemeines Forum)

Der Blaschke, Bissendorf-Wissingen, Dienstag, 10.06.2025, 11:13 (vor 12 Tagen) @ numi

Hey.

mein Hauptproblem ist, dass ich leider viel zu sehr miterleben muss, was die ganze Situation mit der ca. halben Million Eisenbahnern in Deutschland macht. Fast jeder fängt einmal motiviert an, ist vom System Eisenbahn überzeugt und möchte etwas verbessern. Doch dann kommt leider viel zu schnell die Ernüchterung in diesem System, das von innen ja noch viel kaputter ist, als es nach außen wirkt. Wie bei den Fahrgästen ist es ja auch mit den Eisenbahnern.

(...)

So bleibt am Ende leider die ernüchternde Feststellung, dass es den Eisenbahnern so geht wie den Fahrgästen. Man nimmt es motivationslos hin wie es ist oder man geht. Aber wer bleibt am Ende übrig, um das System wieder zum Laufen zu bringen?


Deine Analyse teile ich zu 100%. Und ich sehe das Problem auch.

Der kleine Rettungsanker: die meisten werden merken, woanders ist es auch nicht besser! Man kommt vom Regen in die Traufe. Mein Bruder - repariert Baumaschinen - hat jetzt 3x die Fa gewechselt, bis er verstanden hat, dass es egal ist. Allein ich könnte aus allen 3 Jibs Geschichten erzählen, damit ließe sich vom Umfang ein ganzer Bühnenbild bestreiten und die bekannten XXL-Auftritte eines Hagen Rethers als Kurzprogramm erscheinen lassen.

Ich sehe ein generelles Problem. Heute möchte ziemlich jeder das Abi, dann studieren und dann Karriere machen. Jedem einzelnen sei das ausdrücklich gegönnt; ich hege weder Groll noch Neid - ich hätte auch CEO werden können, wenn ich gedanklich nicht so kaputt und querulatorisch wäre.

Neben all diesen Häuptlingen gibt es dann aber zu wenig Menschen für die Arbeit in den niederen Hierarchien. Das ist das eine Problem. Das andere: viele fangen dadurch nicht 'unten' an, sondern in höheren Hierarchien. Sprich: was unten los ist, haben sie nie kennengelernt. Oder nur mal als Praktikum oder Studentenjob. Bsp: es ging beim Zeitungsdruck um die Umstellung der Auslieferung. Wir vom Betriebsrat bekamen den Plan. Und erklärten, dass der nicht funktioniert. Der Planer kam dann in unsere Sitzung. Als Vorsitzender des BR erläuterte ich ihm die Fehler. Da sagt er zu mir, ich müsse ihm das nicht erklären, er wisse Bescheid, er sei 2 Nächte vor Ort gewesen und habe alles gesehen. Dass ich zu dem Zeitpunkt über 10 Jahre vor Ort war, wischte er beiseite: mir fehle der administrative Überblick und den bräuchte ich auch nicht, sei nicht mein Job. Es wurde also alles geändert, es gab Chaos, nach einem halben Jahr versetzte man ihn auf einen anderen Posten und der Nachfolger organisierte dann neu. Aber hey, er kannte sich aus, war ja immerhin 2 Nächte da.

Ich könnte jetzt auch z.B. einen langen Vortrag über Suggestivfragen bei Fahrgastbefragungen halten. Über die theoretisch richtige Annahme, dass der Fahrgast eine ihm vorgegebene Antwortmöglichkeit aus Bequemlichkeit einfach unabhängig von der Richtigkeit bestätigt. Aber auch über die praktische Umsetzung bspw bei der Frage nach dem Grund der Fahrt im 4.17 Uhr-Zug von Osnabrück nach Bremen referieren. Eine Erfahrung, die den Theoretikern fehlt.

Und da liegt der Hase im Pfeffer begraben: früher fing man unten an und machte von da nach und nach Karriere. Oben angekommen wußte man aber noch, was unten los ist und ob der Kollege von unten, der mir da grad was erzählt, echte Probleme aufzeigt oder einfach nur eigenes Versagen vertuscht. Heute fängt man zu oft höher mit Tendenz nach noch höher an. Von den Zuständen niederen Ränge hat man keine Ahnung. Und schüttet sich auch gerne ab. Denn wenn mal von unten was kommt, kan n man mangels Wissen und Erfahrung eben nicht wissen: erzählt der Käse oder hat das Hand und Fuß? Das weiß man also nicht, muss das aber kaschieren, sonst fragt der von unten nachher noch, wofür sitzt der da oben überhaupt?

Und so ist es genereller Trend, dass die Hierarchien zunehmend eher gegeneinander statt miteinander arbeiten. Jeder in seiner Blase. Ich von unten habe gar keine Chance mehr auf Aufstieg, oben bleibt man auch unter sich. Denn Nachfolger kommen von den Unis und nicht von unten.

Das Ergebnis läßt sich in wildfremden Vorgaben, Rundschreiben, Arbeitsanweisungen etc dann besichtigen. Unten schüttelt man den Kopf. Und oben auch über die Dummheit unten, denen alles erklären zu müssen und dann machen sie es doch nicht so.

Bsp: in der aktuellen Kundenzufriedenheitsbefragung soll der Kunde unterscheiden, wie wichtig ihm ein Quslitätsaspekt ist und wie er die Umsetzung beurteilt. Wie wichtig ist Ihnen die äußere Sauberkeit? Wie beurteilen Sie die äußere Sauberkeit? So weit, so sinnvoll. Übrigens: äußere Sauberkeit ist den meisten ziemlich egal; da staunt man.

Streng in dieser Logik wird aber auch in Bezug auf das WC gefragt - nur an Fahrgäste, die angeben, es zu nutzen: wie wichtig ist Ihnen dann Vorhandensein von WC-Papier? Und: wie wichtig ist Ihnen das Vorhandensein von Handseife/Desinfektionsmittel?

Nun, ich habe noch NIEMANDEN gefunden, der mir sagte: ist mir egal. Oder es als unwichtig betrachtete.

Und selbst, wer so denkt, würde es ja zumindest bei der Handseife niemals zugeben. Obwohl, wenn man mal direkt neben dem WC sitzt (in einigen Dosto hier geht das gut) und drauf achtet, man feststellt, dass wohl locker 90% sich die Hände gar nicht waschen danach.

Die Sinnhaftigkeit einer solchen Frage darf ich zwar gerne hinterfragen. Ich bekomme sogar eine Antwort: Vorgabe vom Auftraggeber. Nice. Den Rest denke ich mir dann.

Und frage mich ernsthaft: was erwarten die da oben jetzt von mir. Höchste Motivation? Volle Leistung? Mega Engagement?

Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon angeboten habe, dass man sich VOR neuen Projekten mal zusammensetzt und die Dknge bespricht; was möglich ist, was nicht.

Bsp. Kundenbefragung Westfalenbus u.a. in Ostbevern.

Es gab die Linie Ostbevern Rathaus <==> Ostbevern Bahnhof. Stundentakt. Ca 40 Min Pause Ostbevern Rathaus.

Dann gab es die Linie Ostbevern Wischhausstraße <==> Warendorf. Stundentakt. Ca 40 Min Pause an der Wischhausstr.

Für beide Linien gab es jeerils ein Erheberteam aus 2 Erhebern. Die an den jeweiligen Stationen in Ostbevern je 40 Mkn bezahlte Pausen hatten.

Der Clou: Westfalenbus verband umlauftechnisch beide Linien:

Ostbevern Kirche - Bahnhof - Ostbevern Kirche - leer Ostbevern Wischhausstraße - Warendorf - Ostbevern Wischhausstraße - leer Ostbevern Kirche und dann von vorne ...

Die Fahrer amüsierten sich: erst fuhr Team 1 mit, dann Team 2, dann wieder Team 1, dann wieder Team 2 usw. Unsere Firma habe offenkundig genug Geld ...

Merke ich sonst nicht so. Aber es zeigt vor allem: VORAB mal MITEINANDER reden: Nö!

Und dazu das Riesenproblem, ob ich als Dritter auf den 500 Metern Leerfahrt mit darf. Ich könnte ja bei einem Unfall sterben; wer zahlt mir dann mein Schmerzensgeld. Kurzum: alles viel zu kompliziert. Und den Umlauf kannte meine Fa im Gegensatz zu mir nicht.

Oder als wir die Fahrgäste der RE/IC Oldenburg <==> Nordsee zählen und befragen sollten. Zählung hatte Vorrang. Die DB beklagte dann zu wenig Interviews. Was der Auftraggeber uns dann verhielt. Bis sich einer der Chefs die Züge mal leibhaftig anschaute und feststellte: die sind ja voll wie bei uns im Ruhrgebiet - bis man da mit dem gewissenhaften Zählen durch ist, kommt ja schon der nächste Halt; da bleibt ja für Interviews gar nicht mehr soviel Zeit! Ach ...

Oder oder ...


Es ist ziemlich ÜBERALL so. Vom Apothekenfahren hab ich jetzt noch gar nix erzählt. Lasse ich jetzt auch.

Hoffentlich war das jetzt nicht zu negativ aber schönreden bringt ja auch nichts.

Nein, richtig. Engagement führt aber eher selten zu nachhaltigen Verbesserungen.

Außerdem bin ich jetzt alt. Früher hab ich immer über die alten Säcke und ihre Unflexibilität gemosert. Jetzt bin ich selbst alt - und erwarte, dass die heutige Jugend sich an mir abarbeitet und mit mir rumnörgelt.

Aber das macht sie nicht, kann sie nicht und selbst wenn: dann gibt's im Forum gleich Ärger und der Beitragsbaum wird geschlossen. Harmoniesoße ist gefragt. Also bin ich als alter Sack jetzt der Gearsc....te, muss das Schimpfen über die Alten auch noch selbst übernehmen.

Schöne Grüße von jörg

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"Zu Lebzeiten will ich gerne bescheiden sein; doch wenn ich tot bin, soll man natürlich anerkennen, dass ich ein Genie war." (Michel Audiard)


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