Keine Antwort, aber einige Ansätze... (Allgemeines Forum)

Pfälzer, Sonntag, 04.09.2022, 10:26 (vor 605 Tagen) @ RobbieRegio
bearbeitet von Pfälzer, Sonntag, 04.09.2022, 10:30

Hallo,

zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass solche Themen wie die Aufteilung der Einnahmen eines Produkts zu den innersten Geschäftsgeheimnissen eines Unternehmens gehören. Man darf daher bezweifeln, dass es hier im Forum überhaupt einen Mitforisten gibt, der zu dem erlauchten Kreis der Wissenden um diesen Einnahmenschlüssel gehört - und selbst wenn, dann wäre ihm gut getan, das nicht in aller Öffentlichkeit zu verbreiten.

Somit kann ich zu deiner Frage keine zielführende Antwort liefern. Allerdings möchte ich hier noch etwas zu den mir bekannten Methoden zur Ermittlung der Einnahmenaufteilung unter Verkehrsunternehmen und deren Anwendbarkeit auf die BC100 ausholen. Das soll auch die Komplexität zeigen, die hinter der Berechnung dieser Schlüssel steht.

Aufteilung nach der Anzahl der verkauften Fahrkarten

Die einfachste und ungenauste Möglichkeit, die Einnahmen zwischen verschiedenen Verkehrsunternehmen aufzuteilen, ist das Gegenüberstellen der Anzahl der von den beteiligten Unternehmen verkauften Fahrkarten.

Beispiel:
- Unternehmen A verkauft 55% der Einzelfahrscheine, 40% der Monatskarten und 10% der Schülerfahrkarten
- Unternehmen B verkauft 30% der Einzelfahrscheine, 40% der Monatskarten und 20% der Schülerfahrkarten
- Unternehmen C verkauft 15% der Einzelfahrscheine, 20% der Monatskarten und 70% der Schülerfahrkarten

An Hand der Wertigkeit der Fahrscheintypen könnte nun berechnet werden, welches Unternehmen wie stark zu den Gesamteinnahmen beiträgt. Daraus kann der Schlüssel berechnet werden. Die Unternehmen erhalten also mehr oder weniger den Betrag zurück, den sie durch Fahrscheinverkäufe erwirtschaftet haben.

Das Modell ist natürlich an zwei Stellen sehr ungenau:
1. Es wird nicht berücksichtigt, dass Fahrgäste im Fahrtverlauf zwischen mehreren Unternehmen umsteigen oder Fahrkarten gänzlich für Fahrten mit einem anderen Unternehmen nutzen.
2. Bei Zeitkarten wird die Häufigkeit der Nutzung nicht berücksichtigt

Daher ist diese Methode eher ein Relikt aus der Anfangszeit kleiner Verkehrsverbünde. Ursprünglich wurden auf Basis der verkauften Fahrkarten auch Fahrgastzahlen und die damit die Verkehrsnachfrage im Verbundraum berechnet. Heutigen Bedürfnissen an die Genauigkeit kommt das nicht nach.

Bei der BC100 wäre diese Berechnungsweise gänzlich ungeeignet, denn es tritt m. W. n. immer DB Vertrieb im Auftrag von DB Fernverkehr als ausgebendes Unternehmen der Fahrkarte auf (bitte korrigieren, wenn ich da falsch liege).

Aufteilung nach der Beförderungsleistung

Diese Methode ist auch vergleichsweise einfach zu berechnen, aber schon deutlich genauer. Die Einnahmen werden nach dem Anteil der erbrachten Beförderungsleistung in Pkm verteilt.

Beispiel:
- Unternehmen A erbringt 7 Mio. Pkm pro Jahr
- Unternehmen B erbringt 10 Mio. Pkm pro Jahr
- Unternehmen C erbringt 3 Mio. Pkm pro Jahr

Dann erhält Unternehmen A 35%, Unternehmen B 50% und Unternehmen C 15% der Einnahmen.

Zur Ermittlung der Beförderungsleistung sind Daten zu den Fahrgastzahlen der beteiligten Unternehmen erforderlich, die entweder durch Handzählungen oder durch AFZS-Systeme ermittelt werden. Handzählungen alleine sind wegen des hohen Personalbedarfs recht teuer, können sich aber in Synergie mit einer Befragung auch heute noch rechnen. Automatische Zählsysteme verursachen dagegen nur geringe laufende Kosten, aber deren Einrichtung ist eine Goldgrube für Hard- und Softwarefirmen.

Mit diesem Modell wurde zwar Schwachstelle 1 von oben gelöst, Schwachstelle 2 bleibt aber: Das tatsächliche Nutzungsverhalten der einzelnen Fahrscheintypen geht immer noch nicht in die Berechnung der Einnahmenaufteilung mit ein.

Bei der BC100 könnte man diesen Schlüssel mit Ausnahme des City-Tickets auf Basis der Beförderungsleistung berechnen, wenn man die Kennzahlen der anerkennenden Verkehrsunternehmen zusammenstellt. Dann wäre aber nicht berücksichtigt, wie häufig BC100-Inhaber tatsächlich die Leistungen der jeweiligen Beförderer nutzen. Wahrscheinlich werden die Züge von DB Fernverkehr z. B. von BC100-Inhabern deutlich häufiger genutzt als deren Anteil an der Beförderungsleistung im Gültigkeitsbereich entspricht.

Aufteilung nach der tatsächlichen Nutzung der Fahrkarten

Schließlich die genauste Form der Ermittlung der Einnahmenaufteilung ist und bleibt eine Erhebung durch Befragung der Fahrgäste. Dabei bekommt man dann nicht nur wie bei der Zählung heraus, wie viele Fahrgäste im Zug sind (zur Berechnung der Verkehrsleistung), sondern auch welche Fahrscheine sie nutzen. Damit kann die Beförderungsleistung auf die einzelnen Fahrscheintypen aufgeschlüsselt werden, wodurch deren tatsächliche Nutzung in der Einnahmenaufteilung berücksichtigt wird.

Nun kann man sich vorstellen, was für ein Aufwand das wäre, eine Erhebung durchzuführen, bei der alle Züge erhoben werden, in denen die BC100 anerkannt wird. Realistisch möglich wäre so ein Unterfangen nur, wenn DB Fernverkehr die Daten lokaler Erhebungen (bei denen die BC100-Nutzung miterfasst wird) einkauft, um möglichst nur in den eigenen Zügen eine eigens dafür notwendige Erhebung durchzuführen.

Insgesamt gehe ich eher davon aus, dass auf anderer Grundlage ein Einnahmenschlüssel mit den anerkennenden Unternehmen vereinbart wurde.

Bei der klassischen Fahrgasterhebung im Zug handelt es sich um eine sogennante "revealed preference"-Erhebung. Es wird also das tatsächliche Nutzerverhalten der Fahrgäste im Zug erhoben. Es gibt aber noch eine andere Methode, an diese Daten zu kommen, die der User phil in einem anderen Faden schon angesprochen hatte:

Aufteilung nach der angegebenen Nutzung der Fahrkarten

Das wäre dann eine "stated preference"-Erhebung. Alle BC100-Besitzer würden bestenfalls online regelmäßig zu ihrer Fahrscheinnutzung befragt. Abgefragt würde meist ein Fahrtenbuch über einen begrenzten Zeitraum.

Mit dieser Methode kommt man zu der selben Datenbasis, die man mit der Erhebung im Zug erlangen kann. Sie hat allerdings zwei große Nachteile:
1. Die Rücklaufquote ist meist geringer als die Teilnahmequote an der Erhebung im Zug - weil das Beantworten der wenigen Fragen eines gut gelaunten Erhebers jedem Verruf zum Trotz viel einfacher und angenehmer ist als zusätzlicher Papierkrieg
2. Es heißt nicht ohne Grund "stated preference": Ob das, was die Kunden als Fahrten angeben, dann auch mit ihrer tatsächlichen Präsenz im Zug überein stimmt, kann letztlich keiner nachprüfen.

Für die BC100 wäre diese Erhebungsmethode sehr gut geeignet: Sie kostet die Verkehrsunternehmen fast nichts und erreicht eine volle Abdeckung aller Nutzer, da deren Kontaktdaten bekannt sind. Den "gap" zwischen "stated" und "revealed" könnte man in dieser Größenordnung verkraften. Kein Wunder also, dass einem Beitrag des Users phil in besagtem anderen Faden zufolge dieses Verfahren beim Schweizer GA stichprobenhaft schon angewandt wird.

Im Nahverkehr wird sich das dagegen kaum durchsetzen können, da man (noch) nicht zum Kauf jeder Einzelfahrkarte seine Kontaktdaten da lassen muss. Die meisten Fahrgäste erwischt man im Nahverkehr aktuell nur im Zug.

Zuletzt: Natürlich könnte man auch auf jede Form der Erhebung verzichten, wenn man den Zugang zum ÖPNV und SPV so reguliert, dass dort nur mit elektronisch lesbaren Medien und zwingendem Check-in / Check-out oder Be-out mitgefahren werden kann. Wie das aussehen kann sieht man in den Niederlanden.

Freundliche Grüße aus dem Süden!

P. S.: Ich war auch schon bei einer Verbunderhebung zur Einnahmenaufteilung als Erheber aktiv.


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