[CZ] Im Speisewagen dort fahren, wo der Tornado wütete (Sammelthreads)

J-C, In meiner Welt, Dienstag, 13.07.2021, 23:46 (vor 1609 Tagen) @ J-C
bearbeitet von J-C, Dienstag, 13.07.2021, 23:50

Es fing beinahe harmlos an. Ich warte in Hodonín auf meinen Zug, derweil kommt EC 130 Báthory mit Dieselvorspann an. Ich wusste, warum. Die Strecke zwischen Hodonin und Břeclav wurde durch den Tornado bekanntlich in Mitleidenschaft gezogen, deswegen war nur Dieselbetrieb möglich. So werden die elektrischen Interpanter der Linie Brno - Břeclav - Hodonín - Olomouc folgerichtig auf dem betroffenen Abschnitt durch Busse ersetzt. Solche standen am Bahnhofsvorplatz in Form von 2 weißen Iveco Crossway.

Zurück zum Betrieb.
Besagte Diesellok kuppelt ab und fährt auf's Gegengleis. Nach einem Aufenthalt von ca. 3 Minuten setzte der Báthory seine Fahrt dann auch fort.

Selbige Lok kommt dann rüber und bringt sich hinters Ausfahrsignal in Richtung Břeclav in Stellung.

EC 103 kommt an und die 754 wird hier vorgespannt.

Es dauerte nicht lange und man setzt sich in Bewegung. Allerdings sehr langsam.

Auf jenem Abschnitt war die Klimaanlage nicht aktiv, dafür hat die 754, auch Taucherbrille genannt, wohl zu wenig Power.

Und ab hier wurde die Reise weniger harmlos.

Es ergab sich, dass ich mich im Speisewagen hinsetzte, mein Essen orderte und bis Břeclav eines der unheimlichsten Fahrten meines Lebens erlebte. Wenn nicht die unheimlichste überhaupt. Was ich da an Zerstörung durch den Tornado zu Gesicht bekam, hab ich noch nie selbst gesehen und ließ mich zunächst sprachlos zurück.

Es ging im sehr langsamen Tempo voran. Stellenweise waren Bäume völlig kahl und entwurzelt, die Dächer mit Planen notdürftig abgedeckt, Häuser sind teilsweise schon abgerissen worden, teils stark in Mitleidenschaft gezogen. In Lužice scheint es das Dach eines Nebengebäudes vom Bahnhof in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Teilweise fehlten auch die Lärmschutzwände, was den Blick frei macht auf eine besonders nahe Aussicht auf die Verwüstung, die noch Wochen danach ihre heftigen Spuren hinterließ.

Es sind Feuerwehrwagen im Einsatz, hinter Hrušky parkten Schlafwagen, dort sind die Helfer untergebracht. Das Bahnhofsschild am Bahnsteig von Hrušky ist völlig verbogen. In Moravska Nová Vés, wo unter anderem das Dach von der Kirche abgedeckt wurde, war gerade dort, wo man vorbei fuhr, hingegen entlang der Bahn nicht die geringste Spur jeglicher Verwüstung zu sehen. Geradezu surreal zu sehen, wie haarscharf der Unterschied zwischen glimpflich davonkommen und völliger Ruin sein kann.

Hier 3 Videos davon. Es lässt mich immer noch erschaudern.
Teil 1 - Lužice
Teil 2 - Mikulčice
Teil 3 - Hrušky

In Břeclav bekam ich dann mein Essen:

Normalerweise ist eine Mahlzeit im Speisewagen so ziemlich das, was man von meinen Reiseberichten her kennt. Schmackhaft war es natürlich. Aber bei dem, was man vorher zu sehen hatte, doch nicht leicht zu verdauen.

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Umwege erweitern die Ortskenntnis ~ Kurt Tucholsky