Vive Lyon! Von Traboules, Bouchons und Mâchons - 7/11 (Reiseberichte)

Bahne aus Leidenschaft, Montag, 11.09.2023, 07:49 (vor 230 Tagen)

Hier geht es zu den bisherigen Teilen meines Lyon-Berichtes:
Teil 1: https://www.ice-treff.de/index.php?id=684925
Teil 2: https://www.ice-treff.de/index.php?id=685060
Teil 3: https://www.ice-treff.de/index.php?id=685249
Teil 4: https://www.ice-treff.de/index.php?id=685380
Teil 5: https://www.ice-treff.de/index.php?id=685716


Am Ende meines letzten Berichts bin ich bei meinem Tagesausflug ins Jura in Bellegarde angekommen und habe eine kleine Wanderung unternommen. Jetzt möchte ich mit dem TGV Lyria über die Ligne du Haut-Bugey nach Bour-en-Bresse fahren. Außerdem erwartet euch ein weiterer Tagesausflug und ein Zweitagesausflug ins Burgund.

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Mit der Reaktivierung der Ligne du Haut-Bugey nach Bourg-en-Bresse für den TGV Lyria wurde eine neue Verbindungskurve Richtung Genf gebaut. Der Bahnsteig nach Bourg-en-Bresse liegt an dieser Kurve im Hintergrund. Das Kuppelgebäude davor wurde bei dem Umbau als neues Empfangsgebäude gebaut. Im Vordergrund sind rechts die aktiven Gleise Richtung Lyon und links die stillgelegten ursprünglichen Gleise Richtung Bourg-en-Bresse. Rechts außerhalb des Bild sähe man das alte Empfangsgebäude.

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Nach dem Bild, wird es Zeit den weiten Weg zu den neuen Bahnsteigen anzutreten. Wer kennt es nicht auf einer TGV-Strecke? Gelaschte Schienen:

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Dann kommt auch schon bald mein TGV aus Genf. Mit einem Bild kann ich leider nicht dienen. Ich kann dazu nur die Bilder 39 aus Teil 1, 126 aus Teil 4 und 269 aus Teil 6 verweisen.
In gemütlicher Fahrt geht es bei bestem Wetter durch das Enge Valserine-Tal. Die Autobahn A 40 ist über mehrere Kilometer mit einer Hangbrücke spektakulär an den die Bergwand „geklebt“.

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Dann erreichen wir den Lac de Nantua.

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Kurz nach Einmündung des Rests der Ligne des Hirondelles aus Oyonnax passieren wir einen längeren Tunnel. Auf der anderen Seite ist leider dichte Nebelsuppe und ich befürchte schon das Schlimmste für das Viadukt. Bei der Überfahrt ist es aber nicht ganz so schlimm und zumindest das Tal ist sichtbar.

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Wer mehr Interesse am Viaduc de Cize-Bolozon hat, dem empfehle meinen dritten Teil, wo ich die Brücke von unten besucht habe. Mit dem Nebel wird es am Rest des Tages nicht mehr besser. In Bourg-en-Bresse wechsle ich auf einen TER Richung Mâcon, wo dann der letzte Umstieg des Tages auf einen TER nach Lyon durchs Rhônetal ansteht. Bei der Fahrt in einem AGC durchs Flachland der Bresse nach Mâcon kann ich kaum etwas sehen vor lauter Nebel, viel verpasse ich aber auch vermutlich nicht. Am vorzeigbarsten ist noch dieses Bild bei der Fahrt über die Rhône mit Blick auf Mâcon.

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Am Samstag ist nochmal ein bisschen Bahnstreckensammeln angesagt. Ich habe eine Fahrt im Dreieck über Saint-Étienne und Roanne geplant.

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Um bis Givors die rechte Rhônestrecke zu befahren, starte ich mit einem TER ab Perrache statt Part-Dieu. Die Gleise nach Saint-Étienne bekamen erst 2000 Bahnsteige außerhalb der Bahnsteighalle. Vorher mussten Züge nach Saint-Étienne über 100 Jahre lang am Bahnhof vorbei fahren, im westlichen Bahnhofsvorfeld auf der Saônebrücke kopfmachen und zurückstoßen in den Bahnhof. Nach Saint-Étienne fahren überwiegend Régio 2N alias Alstom OMNEO. Da ich versäumt habe, ein Bild zu machen helfe ich mir mit zwei älteren Bildern von 2018 aus Aquitanien aus.

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Hier fahre ich auf der 1832 eröffneten ältesten Bahnstrecke Frankreichs mit Personenverkehr. Die meisten TER fahren von Saint-Étienne weiter bis Firminy, wo die Oberleitung endet. Die Strecke weiter nach Le-Puy-en-Velay ist landschaftlich sehr schön und auch das Ziel ist sehr sehenswert. Da der Fahrplan deutlich dünne ist und ich die Strecke schon von 2018 kenne, spare ich mir sie bei meinem Aufenthalt in Lyon. Da ich in Saint-Étienne über zwei Stunden Aufenthalt habe, fahre ich durch bis zum halt Le Clapier und nutze die Zeit für einen schnellen Besuch im Industriemuseum Puits Couriot.

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Hier wurde bis 1973 Steinkohle gefördert. Das Revier hier war zwar relativ klein, aber im Gegensatz zu den größeren Bergbaurevieren in Lothringen und im Norden um Lille in den Weltkriegen fern der Front bzw. unbesetzt. Seit 1983 wird in der Region keine Kohle mehr gefördert.
Da mir das Museum sehr gut gefallen hat, mir die Zeit aber knapp wurde, nutze ich einen Schlechtwettertag zwei Wochen später für einen erneuten Besuch. Diesmal ganz langweilig hin und zurück direkt von/nach Part-Dieu. Bei kostenlosem Eintritt für Studenten kann man auch zweimal kommen.
Bei Führungen kann man in einem Förderkorb in einen nachgebauten Stollen fahren. Unten geht es mit einer Grubenbahn weiter zur „Förderstelle“. Dafür hatte ich bei meinem ersten Besuch keine Zeit.

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Wenn ich schon mal da bin und Zeit habe, besichtige ich auch noch das nahegelegene Musée des Arts et Métiers. Saint-Étienne war neben der Schwerindustrie auch eine wichtige Waffenschmiede und größter Produzent von Fahrrädern in Frankreich.

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Nun aber wieder zurück zu meinem ersten Besuch. Vom Puits Couriot gehe ich durch die Innenstadt zum Hauptbahnhof Châteaucreux. Die Innenstadt der Industriestadt hat ihre netten Ecken, aber im Vergleich zu andere französischen Städten kann sie nicht mithalten. Der harte Kommentar meines Französischlehrers in Lyon zu Saint-Étienne: „Mon dieu, Saint-Étienne est moche!“. Nur so viel, „moche“ ist alles nur kein Kompliment. So hart wäre ich jetzt nicht in meinem Urteil.
Im Fußball läuft es aktuell nicht gut. 2022 ist der damalige französische Rekordmeister in chaotischen Zuständen aus der 1. Liga abgestiegen und der neureiche Scheichklub Paris Saint-Germain mit seiner 10. Meisterschaft gleichgezogen. Siet der 11. Meisterschaft diesen Sommer hat der Geldklub den Traditionsverein komplett als Rekordmeister abgelöst. AS Saint-Étienne mach heute eher mit Fanausschreitungen als sportlichen Erfolgen Schlagzeilen.

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Von Châteaucreux fährt mein nach Roanne. Am Anfang verläuft sie mehr oder weniger parallel zur längst abgebauten ältesten Bahnstrecke des europäischen Festlandes, die ab 1827 zu Beginn als Pferdebahn die Kohlegruben von Saint-Étienne mit dem Loire-Hafen in Andrézieux verband. Die Strecke gefällt mir recht gut, hat aber keine großen Highlights. Im zweiten Teil verläuft sie parallel zur Loire, aber leider nicht in ihrem schönen Flusstal.
Mein TER ist wie so oft ein AGC. Hier habe ich zwei Bilder von den verdreckten Filzdeckenelementen. Auf den ersten Blick sieht es nach Brandspuren aus, ich würde inzwischen aber eher auf Staub aus der Lüftung tippen. Auf jeden Fall sieht es sehr unvorteilhaft aus. Weiß einer von euch mehr dazu?

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Kurz vor Ankunft in Roanne überqueren wir schon im Stadtgebiet die Loire.

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Roanne ist eine hübsche kleine Stadt ohne große Highlights. Hier habe ich etwas über 1,5 h Zeit für einen Stadtrundgang. Am schönsten ist es am Flusshafen. Bis hier reicht der Loire-Seitenkanal. Flussaufwärts ist Schluss für Flussschiffe.

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Auf dem Rückweg zum Bahnhof gerate ich in die übliche Samstagsdemo, samstags ein gewohnter Anblick in französischen Innenstädten. Im November 2021 mischen sich hier Gelbwesten, die wegen sozialen Themen demonstrieren, mit Impfgegnern und Coronaleugnern.

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Dann geht es heim nach Lyon. Zurück geht es über die direkte Strecke via Tarare. Nachdem Roanne ab 1858 mit Umweg über Saint-Étienne an Lyon angebunden war, wurde zehn Jahre später diese Abkürzung durch anspruchsvolleres Terrain gebaut. Der schwierigeren Topographie der Monts Lyonnais geschuldet weist die Strecke den fast 3 km langen Tunnel des Sauvages und ein größeres Viadukt in Tarare auf. Noch vor dem Tunnel passiert die Strecke das Kloster Pradines.

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Mein TER bleibt auf der rechten Saône-Seite und fährt Perrache. Damit endet mein Ausflug, wo er heute Morgen begonnen hat, und ich sollte damit alle Bahnstrecken auf Lyoner Stadtgebiet befahren haben. In Perrache stoße ich auf diesen älteren Doppelstocktriebwagen. Eine Mitfahrt mit dieser Baureihe ist mir leider noch nicht gelungen. Nebenbei scheint dies mein einziges Bild vom Bahnhof Perrache zu sein. Man kann recht gut die schöne typisch französische Bahnsteighalle und den Übergang aus den 70ern (?) erkennen.

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Am Sonntag wird ein wenig ausgeruht. Das Wetter ist nicht so besonders und sonntagnachmittags ist bekomme ich mit der Carte Avantage weniger Rabatt auf TER-Tickets. Für ein wenig Frischluft mache ich einen Spaziergang von meiner Wohnung zur Cité Internationale. Dazwischen liegt die Rhônebrücke der Strecken von Part-Dieu nach Norden und Ambérieu. Erst kommt ein klassischer TER Richtung Savoyen, dann ein TGV aus Paris.

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Die Cité Internationale wurde in den 90ern nach Plänen von Stararchitekt Renzo Piano gebaut. Sie beherbergt ein Kongresszentrum, ein Hotel, Geschäfte, Wohnungen und das Museum für moderne Kunst. Nach Auskunft der Einheimischen sind Wohnungen in dem Komplex aber wenig populär und die gespenstische Stimmung an Sonntagen scheint das zu bestätigen.

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Als Außenexponat des Kunstmuseums steht hier dieser Güterwagen, der ein Kunstwerk von Yoko Ono ist. Aus ihm kommen die Geräusche von illegalen Einwanderern, als seien diese im Wagen versteckt.

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Am folgenden Mittwoch kommt nach mehreren Wochen Pause der nächste Besuch. Meine Mitbewohnerin Katharina, die ich in meinem letzten Reisebericht 2019 mit Chris in Argentinien besucht habe, kommt für zwei Tage vorbei. Dafür hat sie sich einen guten Zeitpunkt ausgesucht. Der Donnerstag ist der Tag des neuen Beaujolais-Weins, ab dem traditionell der neue Wein der Saison verkauft werden darf. Nach dem ich sie abends in Part-Dieu vom TGV aus Karlsruhe abgeholt habe, gehen wir wie üblich am Anreisetag zu Viand’o Chwa bei mir um die Ecke.

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Donnerstags habe bin ich an der Universität gebunden, freitags erkunden wir dann die Markthalle Paul Bocusse. Im Vergleich zu anderen Markthallen in Frankreich bin ich kein so großer Fan von ihr. Architektonisch ist sie keine Zierde und das Angebot ist relativ luxuriös und teuer.
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Ich experimentiere ein wenig beim Meeresfrüchtestand. Ich probiere einen Seestern und eine Violet, die auf Deutsch weniger appetitlich Seescheide heißt.

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Ab Samstag hat Katharina ein paar Nächte in Dijon gebucht. Bis Sonntagmittag fahre ich mit. Los geht es von Part-Dieu mit einem lokbespannten TER mit Corailwägen Richtung Paris-Bercy.

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Durch die Nebelsuppe des Saônetals fahren wir bis Tournus. Das kleine Landstädtchen steht schon lange auf meiner Wunschliste wegen seiner bedeutenden frühromanischen Klosterkirche Saint-Philibert aus dem frühen 11. Jh. Die Blütezeit des Klosters begann als 973 Mönche die Reliquien des namensgebenden Heiligen vor den Normannen aus Noirmoutier in der heutigen Normandie in Sicherheit brachten. Das Spannende an dieser Basilika ist, dass an ihr die Entwicklung der romanischen Stilelemente nachvollzogen werden kann.
Ursprünglich hatte die Kirche ein symmetrisches Westwerk mit zwei niedrigen wehrhaften Türmen. Der nördliche wurde später aufgestockt.

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Von hinten kann man die Form des ursprünglichen Turms noch gut erkennen.

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Eine Besonderheit der Kirche ist das Gewölbe. Das erste Langhaus war noch nicht überwölbt, sondern flach gedeckt wie heute beispielsweise noch St. Michael in Hildesheim. Der Neubau sollte ein modernes Tonnengewölbe bekommen. Das Langhaus erwies sich dafür aber vermutlich als zu breit und als Notlösung wurden mehrere kleinere Tonnengewölbe quer zur Längsachse gebaut.

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Eine weitere Besonderheit wird von hinten sichtbar. Ursprüngliche hatten Kirchen im Osten einen Chor mit dem Altar. Da jeder Priester, also auch Mönch mit Priesterweihe täglich eine Messe lesen sollte, waren mehr Altare vonnöten. Hier wurden dafür noch recht ungelenk rechteckige Kapellen um den Chor angebaut. Bei späteren Kirchen wurde das Problem durch harmonischere runde Kapellen gelöst, die wie bei Notre-Dame du Port in Clermont-Ferrand (Teil 4) und Paray-le-Monial (Teil 6) einen kleeblattförmigen Grundriss ergeben.

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Dann gehen wir noch ins Ortszentrum, wo heute Markt ist. Gegenüber der Saône beginnt die Bresse, wo die berühmten gleichnamigen Hühner herkommen.

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Auch lebende Hühnerwerden hier auf dem Land angeboten. Der Stand mag als Vorahnung dafür stehen, was mich im Dezember erwartet.

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Nach zwei Stunden fahren wir weiter nach Beaune. Die Hauptattraktion der pittoresken Weinstadt ist das prächtige Hôtel-Dieu, ein mittelalterliches Spital, mit seinem bunten Dach. Die Einrichtung wurde vom Kanzler des Herzogs von Burgund, Nicolas Rolin, gestiftet.
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Hier sind wir im großen Krankensaal.

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Zur Stiftung gehörte auch ein prächtiger Flügelaltar des flämischen Meisters Rogier van Weyden mit Darstellung des jüngsten Gerichts.

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In aller Bescheidenheit hat sich auf der linken Seite der Stifter Nicolas Rolin verewigen lassen.

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Was uns dieser dekorative Wandteppich sagen sollte, habe ich leider vergessen. Das arme Pferd!

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Teil der Stiftung waren auch einige erlesene Weinlagen um Beaune, die bis heute zum Spital gehören. An diesem Wochenende findet hier im Hôtel-Dieu die große Weinversteigerung statt. Sogar das Fernsehen berichtet. In der Stad ist ein großes Volksfest. Die Einheimischen essen trotz der Kälte Champagner und Austern im Freien am Straßenstand. Als warme Alternative sind Froschschenkel beliebt. Ich wähle die rustikalere Variante einer Andouilette (Kuttelwurst) im Baguette.

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Dann geht es vier Stunden später wieder lokbespannt zum Tagesziel Dijon. Am Sonntagvormittag besichtigen wir den Palast der Herzöge von Burgund. Hauptattraktion sind die Grabmäler der ersten beiden burgundischen Herzöge aus dem Haus Valois Philipp der Kühne, seinen Sohn Johann Ohnefurcht und ihren Frauen. Hier der Vater:

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Beide waren wichtige Akteure im 100jährigen Krieg. Als Beteiligter am Mord an seinem Cousin und Gegner, dem Herzog von Orléans, wurde er dann Opfer eines Racheaktes des französischen Thronfolgers und bei einem diplomatischen Treffen wurden mit einer Axt sein Schädel gespalten. Das sieht man aber seiner Liegefigur nicht an.

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Da am nächsten Morgen wieder eine Prüfung ansteht, trete ich schon am frühen Nachmittag den Heimweg an, wieder mit einer klassischen lokbespannten Garnitur. Durch das erneut neblige Burgund geht es heim nach Lyon. Mein TER hatte einen der um Lyon häufigeren bulligen Steuerwagen. Im Hintergrund ist einer der schlankeren Bauart zu sehen, wie sie auch im Elsass fahren.

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Zum Abendessen habe ich mir zwei interessante Gebäckteilchen aus Dijon mitgebracht, rechts ein Fladen mit Tomate und Schinken, links ein Brot nicht nur in Schneckenform, sondern auch mit Schnecken. Die Weinbergschnecke ist in Frankreich als Escargot de Bourgogne eine Spezialität aus dem Burgund.

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Damit endet dieser Teil. Im nächsten Teil folgen zwei längere Ausflüge nach Nordosten und- westen im Dezember.


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