Die Schweiz bewandert - einige Eindrücke von der Reise (Reiseberichte)

J-C, Da, wo ich grad gedanklich nicht bin., Sonntag, 11.09.2022, 21:01 (vor 585 Tagen)
bearbeitet von J-C, Sonntag, 11.09.2022, 21:01

Eins vorweg: ich habe dieses Mal die Entscheidung getroffen, diesen Bericht ohne Bilder zu beschreiben. Klar habe ich einige Bilder geschossen, die durchaus schön wären. Vielleicht hänge ich das irgendwann auch an, aber für mich waren die Eindrücke, die sich nicht in Bildern beschreiben lassen, interessanter.

Nun, auf zum Abenteuer!

Präludium
Am Nachmittag geht es nach letzten Einkäufen im Auhof Center in Wien zum Wiener Hauptbahnhof. Die Fahrt in der S80 war dabei wenig ergiebig; pünktlich war sie, doch trübte das Erlebnis ein Fahrgast, der stark alkoholisiert eine Bierdose auf dem Boden verschüttet - ein Wechsel des Zugteils in der Baureihe 4746 der ÖBB, produziert von Siemens Mobility, war notwendig.

Doch wusste ich es besser, als dieses Erlebnis für in irgendeiner Weise relevant in meiner langjährigen Reiseerfahrung zu bemessen; ich erlebe sowas zu selten, um mich dafür zu interessieren.

Stattdessen begebe ich mich in die Lounge. Mehrere Tische waren abgebaut, warum auch immer. Ich konnte dennoch die Wartezeit sehr gut mit Snacks und Getränken überbrücken. Das Ambiente gefällt, es ist jedes Mal eine Freude, dort zu verweilen. Die Impressionen österreichischer Landschaften an den Wänden finde ich ja jedes Mal von neuem inspirierend.

1. Akt - im Nachtsprung nach Milano

Doch ist eine Wartezeit auch irgendwann vorbei, es geht im leicht verspäteten Nightjet nach Milano Porta Garibaldi. Ich war nicht alleine und konnte meinem Abteilgenossen helfen, sich zurechtzufinden - er kommt aus China und studiert in Italien (so habe ich es verstanden) und da war Google Translate eine ziemlich gute Hilfe.

Die Reise im ziemlich engen Schlafwagen war spannend. Mein Gepäck, ein Wanderrucksack, fand gerade so Platz, das Bett hatte genug Komfort für mich, die Laufruhe war sehr angenehm.

Aber in so beengten Verhältnissen zu schlafen ist definitiv ein Erlebnis. In meinem Zelt auf dem Feld fühlte es sich in den späteren Tagen irgendwie geräumiger an.

Morgens beschloss ich, bis Porta Garibaldi durchzufahren. Lambrate sah einfach zu hässlich für mich aus von den Bahnsteigen her.

Angekommen, beschloss ich, die U-Bahn dort zu erkunden. Ich stelle schnell fest, dass diese ganz ok ist... aber ich wusste bis dato gar nicht, dass es noch unkomfortabler als in Wien geht.

Letztlich bin ich nur ein paar Stationen hin gefahren, hab die Stadt soweit erkundet, wie es in anderthalb Stunden halt möglich ist und dann mir noch flugs am Automaten das Ticket nach Chiasso gelöst, um von dort mit der SBB-Tageskarte weiterzukommen.

2. Akt - TILO und Twindexx
Mit dem RE80 ging's an meinen Zwischenstopp im Tessin. Ich musste feststellen, dass österreichische Provider richtig furchtbar sind, wenn es um Roaming in die Schweiz geht. Warum können deutsche Mobilfunkprovider die Schweiz in ihren Tarifen inkludieren, östereichische jedoch nicht? Und die selbe Frage wie vor einigen Jahren erneut:

Wer bitteschön soll diese Roaming-Tarife sich bitteschön sinnvoll leisten? 1 MB ist sehr schnell verbraucht, 3 MB und ich bin frickin' 30€ los. Mitten in Europa!

Auch fällt auf, es gibt gar keine Steckdosen im FLIRT3, der durchaus längere Strecken überwindet. WLAN - das ist überall sonstwo ein absoluter Standard - gibt's halt auch nicht, ist ja die Schweiz. Die sind sich zu schön dafür. Komisch aber, dass Postauto dann doch WLAN hat. Genug aber davon, ich würde halt echt gerne wissen, wieso man es sich nicht antun will, irgendein WLAN anzubieten, was in der Regel doch auch gut funktioniert. Schweizer Perfektionismus in allen Ehren, aber das verstehe ich als Halbschweizer nun doch nicht.

3. Akt - Twindexx revisited
Vor Jahren war meine Erfahrung im Twindexx eher... durchwachsen. Nun konnte ich die InterRegio-Version sowohl auf der Hin- als auch der Rückfahrt erleben. In beiden Fällen ließ die Klimaanlage mehr als zu Wünschen übrig. Es war eher stickig. Beim letzten Mal gab es einen Aufkleber "Klimaanlage defekt" - selbstverständlich in den 3 der vier Amtssprachen, sowie Englisch.

Irgendetwas tat die Klimaanlage trotzdem.

Dafür ging es mit bis zu 200 km/h durch den Gotthard-Basistunnel. Ich muss sagen, der Twindexx ist grundsätzlich ein solides Fahrzeug, die Ausstattung ist ziemlich gut, am Komfort habe ich nichts auszusetzen. Die Laufruhe ist halt bei 200 km/h das, was man bei einem Leichtbautriebzug im Oberdeck zu erwarten hat.

Ich rede von der zweiten Klasse. Ich habe in keinem Fall ein Elvetino bekommen. Vielleicht auch gut so, wenn ich letztlich Gruppe die ganze Woche über mit Schoggi, Ovomaltine und Rivella versorge ;)

Ich war jedenfalls ziemlich begeistert davon, wie man trotz verspäteter Ankunft den Anschluss in Arth Goldau schaffte.

4. Akt - Traverso
Eigentlich wäre mein Anschluss nicht zu schaffen, doch hat er gewartet. Es war ein IR, mit dem es nach Rapperswil ging. Oder wie ich sagen würde Rappers will. Die Reise im Traverso war ziemlich angenehm. Die Eindrücke eben das, was man von der Schweiz erwartet. Der Komfort ziemlich gut, das Ambiente eben das, was man von einer gepflegten Fahrt im InterRegio in der Schweiz erwartet. Alles in allem eine schöne Sache, was die SOB beschafft hat.

In Rapperswil kam man pünktlich an und konnte bequem den planmäßig nicht vorgesehenen 3-Minuten-Anschluss auf einen Bus, der mich zum Treffpunkt bringen sollte, erreichen. Ich war der erste, der dort war, erst nach der vereinbarten Ankunftszeit trudelte der Rest ein. Sind halt keine Schweizer, mit denen ich wandern würde.

5. Akt - Miniatur Schweizerland
Auf der Wanderung letztlich erlebte ich viele schöne Dinge. Als stets Lernender konnte ich zum siebten Mal bereits etwas interessantes dazu lernen, meinen Charakter stärken. Und was begleitete uns dabei so ziemlich jeden Tag? Selbstverständlich die Bahn! Sie war einfach überall, an Orten, wo man sie möglicherweise gar nicht erwartet, auf eine Weise, wie man sie eher in einer Modellbahnanlage vorfindet. Das Bahnnetz der Schweiz ist nicht nur dicht, sondern auch dicht frequentiert. Dito der Bus. Es ist erstaunlich, wo es überall auch Fernverkehr gibt.

Sehr oft konnte ich vor allem Traversos und Girunos sowie viele FLIRTs sehen. Aber einmal auch eine klassische Reisezugwagenkomposition. Tag, für Tag, Nacht für Nacht erlebt man ein Panorama, wo die Bahn nicht weit ist und wie ein gut geschmiertes Zahnrad das Uhrwerk der Region am Laufen hält.

Gleichzeitig sieht man, dass die Schweizer auch sich mit Autobahnen befasst haben. In einer spannenden Art sogar. Weil die Autobahnen recht spät kamen, wurden sie über gewachsene Ortsstrukturen hinweg auf Stelzen teils gebaut. Es ist erstaunlich, dass ein Land wie die Schweiz keine Samthandschuhe anzieht, wenn es darum geht, mit Autobahnen die Landschaft zu zerschneiden. Die Gotthard-Autobahn wäre so ziemlich das prominenteste Beispiel, wo sie sich gerne mal in direkter Nachbarschaft zu einem historischen Ortskern befindet.

Mir war jedenfalls klar, dass man in der Schweiz in der Regel keinen Fahrplan braucht. Egal wo, die Wahrscheinlichkeit, in relativ kurzer Zeit eine Verbindung zu kriegen, ist sehr hoch.
6. Akt - Nach Hause

Auf der Rückfahrt konnte ich in der S5 der ZB von Sachseln nach Luzern fahren. Auch wenn es nicht absolut notwendig war, wurde ich dann doch von Flüeli her zum Bahnhof gebracht. Am Sonntag ist der Takt in Flüeli-Ranft nicht 100% ideal, da es sich um einen Stundentakt mit Taktlücken handelt. Und diese Taktlücken befinden sich genau zu der Zeit, zu der ich den Bus gerne genommen hätte.

Aber das macht nichts, denn an Bord eines Triebwagens, der genauso klingt wie eine bestimmte Generation der Baureihe 423, die ich in München antraf, gab es für Reisende der zweiten Klasse einen ganzen Panoramawagen mit einer unbeschreiblich schönen Aussicht. In einer S-Bahn wohlgemerkt. Die Schweiz hat ein Panorama und die Bahnen machen was draus. Fantastisch.

In Luzern konnte man die Umsteigezeit für einen kurzen Spaziergang nutzen, das war schon reizend. Wozu sonst hat man denn auch einen Wanderrucksack als Reisegepäck? ;)

Von Luzern nach Zürich habe ich nun eben den Twindexx wieder erlebt. Wie erwähnt war hier die Klimaanlage als defekt deklariert worden. Ich bekam dann auch mit, dass es an den Toiletten gehapert hat.

Für mich war es genug, die 41 Minuten Fahrt waren ziemlich schnell um, die 50 Minuten Umsteigezeit in Zürich verbrachte ich ebenso mit einem Spaziergang, der leider nur ein Stück entlang der Limmat führte und dann in einen kurzen Einkauf - Rivella krieg ich nicht in Wien - reichte.

Für den Abschnitt bis Buchs habe ich eine Fahrkarte der zweiten Klasse gehabt. Diese nutzte ich dazu, um im Speisewagen mein Mittagessen einzunehmen und dann herauszufinden, dass meine Konstellation an Fahrkarten

1 Fahrkarte Sachseln - Buchs
1 Klimaticket
1 Aufpreis 1. Klasse
1 VorteilsCard (wegen der 50% Ermäßigung auf den Aufpreis)
1 Reservierung Business-Klasse

was ich alles in analoger Form präsentiert habe - nicht einmal das Verrückteste war, was es bei der Fahrkartenkontrolle gab. Anscheinend befand sich im Speisewagen eine erhöhte Konzentration an Spezialfällen. Jedenfalls konnte man nun auch einer Person aus der Schweiz das österreischische Klimaticket näherbringen.

In Buchs wechselte nicht nur Fahrtrichtung, sondern auch ich den Wagen. Bereits in Zürich habe ich meine Sachen in mein Abteil gestellt und konnte so gleich mich für die nächsten 7 Stunden gemütlich machen.

Es ist nun bald 21 Uhr und ich muss sagen, nach über 5 Stunden Fahrt mit kaum Aufstehen kann ich die Business-Klasse einfach nur weiterempfehlen. Nach der langen Wanderung ist das genau die Erholung, die man braucht, um morgen wieder frisch in der Arbeit zu starten.

Und ganz ehrlich? Ich bin froh, dass das Flugzeug für mich gar keine Option war (andere hätten das sehr wohl genommen... oder eben das Auto). Ich war zwar natürlich für mich alleine, aber selbst jetzt, wo ich diese Zeilen tippe, während es draußen dunkel ist und regnet und man mit 100 km/h durch die unsichtbare Landschaft braust, gibt es so ein Reisegefühl, so ein Erlebnis, was man nicht so leicht nachahmen kann.

Es ist das Gefühl, einen Teil seines Lebens in Bewegung zu verbringen, in ziemlicher Geborgenheit ob der Klasse. Man kann seine Gedanken schweifen lassen, muss nicht viel denken, kann an sich einen ganz normalen Tag haben, sich im Bad noch die Zähne putzen, rasieren, wenn man mag... vielleicht was arbeiten.

Oder... einfach nur draußen schauenm, wenn mal was los ist und man diese gelben Lichter etwa von einem Rangierbahnhof sieht. Die Spiegelungen an den Güterwagen, die Stationsschilder und hell erleuchteten Bahnsteige von Attnang-Puchheim, die erleuchteten Lichter an den Häusern entlang der Strecke, die vorbeibrausenden Züge...

...und man könnte selbst dann völlig in den Genuss kommen, wenn man die Augen verbunden bekäme. Diese Rollgeräusche, das Rauschen der Klimaanlage, der hörbare Fahrtwind bei hohen Geschwindigkeiten... die Vibrationen, die sich leicht auf den luftgefederten Wagen bei 160 km/h verteilen. Ein Stück weit ist es eine andere Form dessen, was ich auf der Wanderung erlebte. Ein gewisses Auskuppeln aus dem Alltag, aus der Welt da draußen, hin in eine kleine Welt, in der man vieles entdecken kann, nicht daran denken muss, was gibt's jetzt neues, warum ist die Queen gestorben, einfach nur ich, mein Zug, mein Sitz, meine Zeit, meine Gedanken... wenn man es kann, kann es sich lohnen, die längere Reisezeit als Vorteil zu sehen.

Wir leben doch in einer Welt, in der ständig was los ist, haben immer wieder was um die Ohren und verbringen das Leben oft stationär, ohne Bewegung, ohne ausbrechen zu können. Wie schön ist es doch, eine längere Zeit in Bewegung zu verbringen und dabei völlig entspannen zu können, diese Ruhe in der teils bis zu 230 km/h schnellen Bewegung zu gönnen?

Was ich jedenfalls mitnehme soweit und ich hoffe, es kommt jetzt nichts dazwischen auf der letzten Etappe, dass die Business-Klasse schlicht ein No-Brainer ist auf langen Strecken, die man alleine absolviert. Gerade mit Klimaticket. Ich bin eigentlich gespannt, ob das Klimaticket am Ende noch die Nachfrage in den höheren Klassen steigern kann. Nun kann man sich eher die Business-Klasse leisten, die Schwelle für Besitzer des Klimatickets sowie der VorteilsCard ist teils sehr gering geworden. Früher hätte ich mir jedenfalls nicht einfach mal beim Einstieg in den vollen Zug adhoc einen Klassenwechsel in die erste Klasse gegönnt.

Ich hab nicht einmal eine Ahnung, was in der zweiten Klasse los ist. In Zürich war sie jedenfalls ziemlich gut frequentiert.

Achja.

Gruß an Blaschke

Die Bahn in der Schweiz ist so ausgeklügelt, es gibt dort automatische Ansagen und Anzeigen, wenn eine Frequenzerhebung - in dem Fall durch das Personal des EVU selbst - ansteht. Die Instruktionen werden bereits bekanntgegeben, bevor der Frequenzerheber diese selbst erklären muss.

--
Reisehäppchen für zwischendurch gefällig?
[image]
(Bildquelle: ČD)


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