Kapitel 2: Balkan und Ungarn. Teil 2 (Reiseberichte)

Krümelmonster, München, Samstag, 26.01.2019, 17:15 (vor 2511 Tagen) @ Krümelmonster

Morgens am Bahnhof fotografierte ich erst den Zug, dann suchte ich zu öffnende Fenster. Ich fragte den dicken Zub (auf Serbokroatisch), der schnauzte mich an: „Nirgends!! Hast du ne Reservierung!!!!“. Klar. Er fauchte: „Dann setz dich da hin!!!“. Reservierungen auf dem Balkan sind bloß Deko (auch nirgends markiert), ich nahm Platz in meinem Abteil im letzten Wagen, das nicht zur Aussichtsseite zeigte. Die Scheiben waren nicht dreckiger als oft in Deutschland. Kurz vor Abfahrt kam ein Paar mit Tochter ca. Anfang 20 ins Abteil, sie schliefen erstmal weiter.
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24 Lok
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25 Da ist das Ding
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26 Hochwertiges Zuglaufschild^^
Pünktlich setzte sich der Zug kurz nach sieben in Bewegung und zuckelte zunächst ein Stück entlang der Küste. Dann wurde es dunkel, der Sozina-Tunnel ist mit über 6 km der längste der insg. 254 Tunnel. Zudem weist die Strecke 435 Brücken auf. Klingt eindrucksvoll – ist es auch! Hinter dem langen Tunnel durchschnitt ein Damm, darauf die Bahnstrecke, den Skutarisee, den größten See auf dem Balkan, mit weiten Schilfwiesen. Dann hielt der Zug 5 min in der Hauptstadt Podgorica, ich stieg kurz aus. Einen Moment schaute ich weg, prompt bekam ich einen Bodycheck vom dicken Zub, der mich gleich auf Serbokroatisch zubrüllte, was mir offenbar Mitleidsbekundungen einer älteren Reisenden einbrachte – auf beides hätte ich verzichten können.^^ Später stand ich während der Fahrt bei den Durchgangstüren, sah das Zub anstampfen und machte Platz. Daraufhin hat er mich wirklich zusammengeschissen, und zwar so richtig. Ich habe absolut keine Ahnung, was sein Problem war. Noch sah ich davon ab zurückzubeleidigen, da ich befürchtete, er würde mich dann ärschlings aus dem Zug schmeißen. Ich hatte mir aber vorgenommen, mein Verhalten bei seiner nächsten Attacke zu ändern. Es gab keinen Showdown, kein Aufeinandertreffen mehr. Die Mitreisenden fanden das vielleicht schade, ich nicht.^^ Dass immer Leute in den Türbereichen rauchten, störte ihn nicht. Am Zugschluss, wo man die Zigaretten nicht in die Wagenübergänge werfen konnte, hatte jemand einen Plastikbecher für die Allgemeinheit hingestellt.^^
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27 Letzter Blick auf die Küste
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28 – 30 Skutarisee
Die Strecke zählt definitiv zu den schönsten mir bekannten! Schnell hinter Podgorica begann die Morača-Schlucht. Die meiste Zeit verbrachte ich stehend im Gang und wartete auf ein Loch zwischen den Tunneln. Richtung Bijelo Polje flachte die Landschaft ab, der spektakulärste Teil war vorbei. Ich kam ins Gespräch mit der Familie in meinem Abteil, die sehr gut Deutsch konnten. Sie und viele andere Reisende, auch das dicke böse Zub, stiegen in Bijelo Polje aus, das wir nach dreistündiger Fahrt mit ca. + 15 erreicht hatten. Hier waren planmäßig 32 min Aufenthalt für Lokwechsel und montenegrinische Ausreisekontrolle.
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31 Kurz hinter Podgorica
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32 Das Mala-Rijeka-Viadukt, die höchste Bahnbrücke Europas
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33 Ausblick von dort
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34 Bergpanorama
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35 Zugkreuzung
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36 – 38 Imposante Bergwelt
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39 Bei Bijelo Polje
Ab Bijelo Polje fuhr der Zug gut 10 min über die Grenze nach Vrbnica, wo er wieder 25 min stehen sollte für die serbische Einreisekontrolle. Auch diese ging schneller als gedacht, sodass wir mit + 0 weiterfuhren. Die Strecke führte entlang des Flusses Lim durchs Tal. Die Menschen hier waren wirklich arm, teilweise hätte ich gedacht, dort draußen sei ein Freilichtmuseum. Hinter Priboj fuhr der Zug ohne Halt knapp 10 km durch Bosnien. Am dortigen Bahnhof hält nur ein Zugpaar am Tag, die Zollkontrolle erfolgt tatsächlich nur für diejenigen, die den Bahnhof verlassen. Ich kam mit einem Tschechen ein paar Abteile weiter ins Gespräch, der auf dem Rückweg aus dem Urlaub von Sutomore nach Franzensbad war. Er hatte auf dem Hinweg mit dem Nachtzug 5 h Verspätung. :D In Montenegro war der Zug meistens 50 – 60 km/h gefahren, das war schon zermürbend. Aber in Serbien fuhr er im Freien nur 30, in längeren Tunneln manchmal 50 km/h – auf Dauer kann einen das fast zur Weißglut bringen. :D Seit Bijelo Polje hatte ich ein Einzelabteil, kein Internet, und der Speisewagen hatte auch kein wirkliches Angebot, diese Fahrt war wahrlich langwierig.
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40 Der ŽS ist ein gepflegtes Erscheinungsbild sehr wichtig ;-)
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41 Kloster beim serbischen Grenzbahnhof Vrbnica
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42 Auch in Serbien geht es bergig weiter
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43 Im Süden Serbiens
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44 Bei Prijepolje
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45 Orthodoxe Kirche in Priboj
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46 Moschee in Priboj. Im Südteil Serbiens gibt es zahlreiche Muslime.
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47 – 48 Teilweise denkt man, dort draußen wäre ein Freilichtmuseum...
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49 Štrpci, der einzige Bahnhof auf bosnischem Gebiet
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50 Blick auf Bosnien
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51 Diesmal keine Berge^^
Gut 3,5 h schlich der Zug pünktlich durch Serbien (bzw. ein kleines Stück durch Bosnien), dann blieben wir auf freier Strecke stehen, der serbische Zub kam und schaltete die Klimaanlage aus, da dachte ich schon: ‚Oh oh…‘. Nach 20 min ging es zum nächsten Bahnhof, wo wir stehen blieben. „Bahnhof“ ist übertrieben, Stapari ist eine bessere Ausweiche. Ich versuchte herauszubekommen, woran es lag, aber sonst konnte niemand Englisch. Der Schaffner erklärte es mir zwar genau, aber ich verstand nur „problemi“.^^ Selbst eine junge Serbin (vielleicht 18) sprach kein Englisch, sprach aber immerhin so deutlich, dass ich verstand: „Čekamo drugi voz“ (Wir warten auf einen anderen Zug). Die gesamte Strecke ist eingleisig. Wir machten es uns draußen gemütlich. Nach einer Stunde brüllte der Zub „Drugi voz!“, und alle Reisenden eilten zurück zum Zug. Es kam ganz, ganz langsam ein Güterzug, der für 5 min anhielt, damit die Personale einen Plausch halten konnten – Balkan halt.^^
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52 Stapari. Gnädigerweise habe ich auf ein Bahnhofsrätsel verzichtet. ;-)
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53 Der Zug in seiner ganzen Pracht^^
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54 Drugi voz!
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55 Irgendwann ging’s weiter
Kurz darauf wurde mit + 85 Užice erreicht, wo sich der Zug beträchtlich füllte. Mittlerweile war es kurz vor fünf, ich war seit fast 10 h unterwegs. Zwei junge Serben waren nun in meinem Abteil, wo ich mich aber meistens nicht aufhielt, ich wollte ja die Landschaft knipsen. In Užice war nochmal Personalwechsel, das neue Personal konnte ein paar Brocken Englisch, aber nicht viel. Ich versuchte, sie dazu zu bewegen, die Klimaanlage wieder einzuschalten, aber egal ob Englisch oder Serbisch, auf meinen Einwand „Entschuldigung, die Klimaanlage ist aus.“ kam immer nur: „Ja, sie ist aus.“, aber keine Handlung. :D In Požega stieg einer der Jungs im Abteil aus, mein Hunger wurde zu groß, ich holte mir aus dem „Speisewagen“ voller Raucher und Trinker ein Sandwich. Man kann ja sehr gut Vokabeln lernen, indem man sich total blamiert: Wieder im Abteil biss ich ins Sandwich, und der Serbe meinte: „Prijatno!“. Ich fragte auf Serbisch: „Ah, du bist Prijatno?“. Dann erklärte er mir auf Englisch, prijatno heißt Guten Appetit. Natürlich interessierte auch er sich brennend für meine Reise. Wir waren ja auf dem Balkan, da kommt man um das Thema auf Dauer nicht herum, irgendwann kamen wir auf den Krieg zu sprechen. Seine Ansicht war ganz anders als die des Kroaten, er nannte den Krieg völlig unsinnig und meinte, dass er die Montenegriner und Kroaten ganz gut möge, Bosnier habe er bisher noch keine getroffen, aber warum sollten die alle böse sein? Streben nach Vormacht auf dem Balkan klingt ganz anders! Er war 1993 geboren. Sicher war es keine Frage der Nationen, sondern eher der Generationen, aber ich hörte hier etwas völlig Anderes, als der ältere Kroate im Bus erzählt hatte. Es war ein sehr interessantes Gespräch!
In Valjevo stieg er aus, da hatte ich wieder ein Einzelabteil…
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56 – 57 Užice
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58 Neuer Zug
Seit Užice vergrößerten wir unsere Verspätung stetig. In Valjevo war kurz nach sieben Sonnenuntergang, ab hier war bis vor kurzem mehrere Monate SEV bis Belgrad, um die Strecke zu modernisieren. Tatsächlich beschleunigte der Zug kurzzeitig auf 100, aber bald ging es wieder mit 50 km/h weiter. Immerhin, besser als Tempo 30…^^ Kurz vor dem letzten Zwischenhalt Rakovica, wir waren nun bei + 115, verwandelte sich die Lok in eine Schildkröte, das letzte Stück von Rakovica bis Belgrad ging es gefühlt nur im Schritttempo voran, sodass wir Belgrad zwanzig nach neun mit 125 min Verspätung erreichten. Srbija Voz ist DB Fernverkehr in der zweiten Potenz!
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59 Kirche in Valjevo im Sonnenuntergang
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60 Angekommen!
Die heutige Fahrt hatte für knapp 470 km über 14 h gedauert, und ich war echt fertig!
Ich hob Geld ab und kaufte gleich das Ticket zwei Tage später nach Budapest, bevor der Liegewagen ausverkauft war.

Belgrad selbst folgt gleich.

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Was Du suchst, ist in Dir. Ansonsten ist es im Kühlschrank. Oder in der Kekspackung. :)

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