Ein Gebrochenes Herz (Allgemeines Forum)

ExpressFreak, Dienstag, 11.08.2009, 18:07 (vor 5374 Tagen)
bearbeitet von ExpressFreak, Dienstag, 11.08.2009, 18:08

„Wer von Deutschland sieben Tage lang nur Züge und Bahnhöfe sieht, sieht das Land mit anderen Augen!“ Das schreibt der Bild-Reporter Markus Pönitz, der eine Woche lang mit dem Zug quer durch Deutschland gereist ist. Zugegeben, da kann ich nicht mithalten, aber einen ganzen Tag der mich nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch einige Nachbarländer führte kann ich aufbieten.

Dienstag 04.08.09, 02:45 Uhr: Mein Wecker klingelt. Draußen ist es regnerisch, aber was soll’s, bei den vielen zu durchfahrenden Regionen die vor mir liegen, wird wohl auch mal schönes Wetter dabei sein.

Ein Kumpel der gerade 18 geworden ist fährt mich nach Regensburg zum Hauptbahnhof. Die Autobahn ist leer, wer kommt auch schon auf die Idee um diese Zeit zu verreisen?!
Auf Gleis acht steht der Alex nach München bereit. Im leeren 1. Klasse-Abteil versuche ich etwas zu schlafen, aber bei den harten Sitzen ist das nahezu unmöglich. Immer noch ist es draußen verregnet – ob das mal was wird mit dem guten Wetter?

Um 06:15 erreichen wir München, auf Gleis 23 steht ein funkelnder ICE nach Hamburg zur Abfahrt bereit – dass macht Lust auf ICE fahren, aber noch braucht es etwas Geduld.

07:00 Uhr: Keine Minute zu früh wird auf Gleis 21 der EC nach Zürich bereitgestellt. Das Abteil in dem ich mich einniste ist dreckig und abgenutzt aber im Gegensatz zu den Nachbarabteilen noch gut in Schuss. Pünktlich verlassen wir den Hauptbahnhof gen Süden. Ähnlich der Inneneinrichtung das Zuges, ist auch sein Fahrverhalten: Laut, unruhig und nervtötend. Eine Frechheit dem Kunden so ein Produkt als EC zu verkaufen!

Hinter Pasing dann die Fahrkartenkontrolle und die Zugbegleiterin ist verwundert über meinen Reiseweg…
…“Also übernachten sie in St. Gallen und fahren dann morgen weiter?“
„Nein heute noch!“
„Bis nach Zürich aber nur oder?“
„Nein bis nach Norddeutschland.“
„Na da haben Sie sich ja was vorgenommen, gute Fahrt!“

Bis zum Allgäurand nutze ich die eher unspektakuläre Strecke für ein Schläfchen. Hinter Kempten überkommt mich dann aber doch der Hunger, weshalb ich den Restaurantwagen aufsuche. Das Express-Frühstück das ich mir bestelle ist seinen Preis in Höhe von 9,60 Euro in Anbetracht der Größe nicht wert, aber wenigstens schmeckt es.

Es geht vorbei am großen Alpsee, durch Oberstaufen und ehe man sich versieht rollen wir in Lindau ein. Wo die fünf Minuten Verspätung trotz der überdimensionierten Fahrzeiten her kommen sind mir allerdings ein Rätsel.

Nach dem Lokwechsel geht es weiter am Bodenseeufer entlang, ein kleines Stückchen durch Österreich und dann über die Grenze in die Schweiz. Anscheinend hat die Schweizer Lok mehr zu bieten als die Deutsche, denn bis Zürich sind wir wieder planmäßig.

Der Übergang zu ICE 72 funktioniert reibungslos und ich nehme im hintersten Abteil, im letzten Wagen platz. Und dann ist es plötzlich da, das gewohnte ICE-Feeling: Der typische Geruch, die großen Bullaugen in den Türen und das neue Design, in den üblich frischen ICE-Farben.
Bis zur Abfahrt ist es Zeit für eine Zwischenbilanz: 490 Kilometer zurückgelegt, null Minuten Verspätung, dass kann sich sehen lassen.

Abfahrt ist pünktlich um 12:02 Uhr und – welch ein Wunder – sogar die Informationsbildschirme funktionieren einwandfrei.
Kurze Zeit später verdrücke ich im Bordrestaurant eine Portion Chili con Carne.
Ja, das ist schon ein Stück Lebensqualität, durch die Schweiz zu rauschen und bei Essen und Trinken die herrliche Landschaft zu genießen.

Bei Olten fahren wir dann das erste Mal 160 km/h, die kommen einem nach der ewigen Schleichfahrt im EC richtig rasant vor.

Hinter Basel geht es über den Rhein, vorbei an den Baustellen des Katzenbergtunnels und entlang der traumhaften Weinhänge. Alles läuft perfekt, sogar das Wetter ist sonnig geworden. Hinter Freiburg kommen wir kurz zum stehen, angeblich wegen Tieren auf der Fahrbahn, es geht aber sofort weiter.

Wir durchfahren Offenburg und dann geht es endlich auf die Schnellfahrgleise.
Ein gespannter Blick auf das FIS, doch das bleibt bei 160 km/h hängen. Enttäuschung macht sich breit. Wir erreichen Baden-Baden fünf Minuten zu spät, weiter geht’s mit + 8 Minuten, aber halb so wild, die lausigen Minuten wird der ICE schon wieder rausholen.
Falsch gedacht, auch hinter Karlsruhe wieder nur 160 km/h auf dem Display, kein gutes Omen.

Da kommt der Zugbegleiter vorbei:
„Sagen Sie, haben wir ein technisches Problem?“
„Nein…“
„Aber hier wird doch normalerweise deutlich schneller gefahren als 160?!“
„Ähm ja, da hat’s uns wohl erwischt, mehr als 160 ist heute nicht drin…“
Dann Stille, keiner sagt etwas, weder ich noch der Zub. Dieser nickt nur kurz und verschwindet dann.

Kurz daraufhin eine Durchsage: „Wegen technischer Störung dürfen wir heute nur 160 km/h fahren.“ Als ob man das nicht schon früher wusste. Und dann ist auf einmal alles im Eimer, egal wie die Fahrt bisher war, aus der Traum vom Geschwindigkeitsrausch, einem ICE-Fan bricht so etwas das Herz!

In Mannheim ein schneller Personalwechsel: „Wegen Tieren auf der Fahrbahn hat unser Zug zehn Minuten Verspätung“ – pure Lüge!

Hinter Fulda dann ein Hoffnungsschimmer: 154…161…167 – aber dann doch wieder nur 160. Schlimm, diese monotone Zahl. Und dafür habe ich monatelang mein Taschengeld gespart?!

Hinter Kassel kommen wir direkt neben der Werratalbrücke zum stehen. Ein rauschen, ein donnern und dann überholt uns ICE 786 mit über 200 km/h auf dem Nebengleis. Weiter geht’s im Schritttempo, die Autos auf der A 7 überholen uns mit links – das schmerzt!

Aufgrund der hohen Verspätung entscheide ich mich dazu bereits in Hannover umzusteigen und den IC nach Bremen zu nehmen. Daraus wird aber nichts, da wir irgendwo auf freier Strecke, genauer gesagt in Almstedt, zum stehen kommen. Begründung? Gibt es keine!
Der Zugbegleiter verteilt Frischetüchter: „Als kleine Entschädigung!“ Aber die machen die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht wieder wett und schon gar nicht die 40 Minuten Verspätung.

Aus den Zuglautsprechern ertönt eine Durchsage mit Anschlussmöglichkeiten, die aber keiner versteht weil der Mitarbeiter sehr undeutlich spricht.
„Ankunft ist um 18:52!“, fügt er noch hinzu. Tatsächliche Ankunft: 18:58.
Ausstieg in Fahrtrichtung links steht auf dem Display, ich hab’s gewusst, der Bahnsteig ist rechts!

Trotzig wünscht die Bahn „noch einen schönen Tag“ – na den werde ich haben, jetzt bleibt mir nichts anderes übrig als den überfüllten Regionalexpress nach Bremen zu nehmen.
Naja, immerhin fährt der Zug gefühlsmäßig keine 160 km/h mehr.


Viele Grüße aus Oberfranken,
ExpressFreak


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