Vive Lyon! Von Traboules, Bouchons und Mâchons - 3/11 (Reiseberichte)

Bahne aus Leidenschaft, Donnerstag, 31.08.2023, 13:08 (vor 240 Tagen)

Im Oktober steht für mich der große Besuchermarathon an. Los geht es am ersten Oktoberwochenende mit einem, für Leser meiner beiden anderen Reiseberichte, weiteren alten Bekannten. Chris kommt mich für 4 Tage besuchen. Nachdem er donnerstagabends mit dem direkten TGV aus Karlsruhe ankommt, probieren wir das Steakhouse „Viand‘o Chwa“ in meiner Nähe aus. Zu sehr humanen Preis gibt es hier stattliches gegrilltes vom toten Tier. Für mich gibt es Entrecôte, für Chris ein Lammspieß. Hier werde ich noch öfter mit Besuchern einkehren.

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Freitags habe ich wieder frei und wir erkunden Lyon. Auf den Hügel Croix-Rousse fährt die Metrolinie C hoch, die als Besonderheit einen Zahnradabschnitt besitzt. An der Talstation wird dieses Modell von den Zahnradtriebwägen ausgestellt.
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Die Metro ersetzt eine vorher verkehrende Zahnradbahn. Im Vergleich zu dieser wurde die Metro von der ursprünglichen Endstation Croix-Rousse um zwei Station bis Cuire verlängert. Hier folgt sie dem Verlauf der ehemaligen Ligne des Dombes, mit der ich im vorigen Teil nach Bourg-en-Bresse gefahren bin. Bevor diese ins Tal runter nach Part-Dieu geführt wurde, war Croix-Rousse ihr Endbahnhof.
Croix-Rousse liegt zwischen den beiden Flüssen Rhône und Saône und wird von dem Tunnel unterquert, von dem ich im ersten Teil berichtet haben. Es ist ein altes Arbeiterviertel, in dem viele Seidenweber, die Canuts, lebten. Im 19 Jh. kam es zu drei gewaltsamen Aufständen der Seidenweber von Croix-Rousse, die die ersten sozialen Aufstände des Industriezeitalters in Frankreich waren. In der zentralen Straße gibt es tollen Markt, für den ich in den nächsten Monaten noch öfters den Berg hochkraxeln werde. Der Markt hat es vor einigen Jahren sogar zu einer Doku von Arte geschafft: https://www.youtube.com/watch?v=w4BXhqm0v5w
Hier findet sich auch mein absoluter Lieblingsmarktstand in Lyon, der Trippier von Croix-Rousse. Hier bekommt der Liebhaber von Innereien alles, was das Herz begehrt. Für diesen Stand werde ich noch öfters den Hügel erklimmen. Ich werde unter anderem Kalbs- und Lammbries, Andouilette (Kuttelwurst), schmackhafte Pasteten und Lammhoden ausprobieren. Für jedes seiner Produkt hat der Meister eine Zubereitungsempfehlung, eigentlich immer blanchieren, leicht mehlieren und in reichlich Butter goldbraun anbraten.

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Ein beliebtes Fotomotiv ist dieser Innenhof, in den man durch eine Traboule kommt.

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Die Maison des Canuts ist ein kleines informatives Museum über den Beruf der Seidenweber. Zu den Ausstellungsstücken gehört auch ein Jacquard-Webstuhl. Der Seidenweber und Erfinder Jacquard hat für ihn die automatisierte Erzeugung von Mustern die Lochkarte aus Karton erfunden und damit eine der Grundlagen für das Computerzeitalter geschaffen.

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Fährt man mit der Metrolinie C eine Station weiter nach Hénon steht man direkt vor dem Wandbild Mur des Canuts (Wand der Seidenweber). Lyon ist bekannt für seine zahlreichen Wandbilder der Gruppe CitéCreation. DIe Mur des Canuts ist das bekannteste. Unten links wird ein Seidenweberatelier gezeigt.

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Auch ein Veol’v und das gefürchtete Auto vom Stromversorger EDF sind zu sehen. Nach Auskunft meines Französischlehrers in Lyon gibt es für Franzoden keine schlimmeren Termine als die mit EDF. Wenn der EDF-Mann sich ankündigt, muss man alles stehen und liegen lassen (Klausuren, eigene Hochzeit, Beerdigung der Oma,Vorstellungsgespräch, …), sonst ist EDF sehr schnell damit, den Strom abzustellen.

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Wer hier versucht, Geld abzuheben, wird wenig Erfolg haben.
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Wieder unten in der Stadt wirbt Gerard Dépardieu für einen Feinkostladen. Chris und ich sind große Fans seine Reihe „Schlemmen mit Gerard Dépardieu“ auf Arte, von der es leider keine neuen Folgen mehr gibt.

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Am Samstag machen wir einen Ausflug ins Rhônetal nach Tain-l’Hermitage.

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Der TER verkehrt wieder mit Corailwägen und Nez Cassé. Tain-l‘Hermitage ist ein bekannter Weinort. Die wichtigste Weinlage ist am Berg Hermitage. Vor der Kirche steht ein kleines Denkmal für die Hochzeit des späteren Königs Karl V. mit Jeanne de Bourbon. Ähnlich wie der Prince of Wales in England war der Titel Dauphin mit der Herrschaft über ein konkretes Gebiet, der Dauphiné um Grenoble und Vienne zwischen der Rhône und den Alpen, verbunden. Somit war de Dauphin auch Landesherr von Tain-l’Hermitage.

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Dauphin ist auch französich für Delphin. Der erste Dauphin de Viennois nannte sich im 12. Jh. noch auch Latein Delfinus und nahm den Delphin als sein Wappentier. Warum ist nicht ganz klar. Der letzte Dauphin aus dieser Familie verkaufte das Gebiet an den französischen Kön. Um dies zu vermeiden hat der König die Herrschaft an seinen Enkel und Erben abgetreten, der dann den Lehnseid leistete. Nachdem Karl V. König wurde gab er die Dauphiné wiederum an seinen Sohn, was als Tradition bis 1830 fortgesetzt wurde. Wirklich vor Ort die Dauphiné regiert hat aber nur ein Dauphin, Karls Enkel der spätere Ludwig XI., nachdem er sich mit seinem Vater zerstritten und den königlichen Hof verlassen hatte.
Gegenüber der Rhône liegt das sehenswerte Städtchen Tournon. Im Sommer könnten wir von hier mit einer schmalspurigen Museumsbahn in die Berge der Ardèche fahren. Hinter der Altstadt verläuft, die rechte Rhônestrecke, die keinen planmäßigen Personenverkehr hat. Ein Güterzug kam durch, aber ich war zu langsam für ein Foto.

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Von den Türmen der Stadtmauer am Hang, einer mit Marienstatue, die man auf dem letzten Bild sehen kann, haben wir eine gute Aussicht über das die beiden Orte. Hinter Tain-l’Hermitage erhebt sich der namensgebende Hermitage-Berg. Im Gegensatz zu den anderen Bergen am linken Rhôneufer besteht er aus vulkanischem Gestein wie das Central Massif auf der anderen Flusseite.
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Unten in der Stadt kehren wir ein und essen Boeuf Bourguignon.

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Dann besichtigen wir noch die Burg. Auch sie hat Bezug zu einem Dauphin, jedoch keinen erfreulichen. Der älteste Sohn des Renaissancekönigs Franz I., ebenfalls Francois/Franz, starb 1536 überraschend auf der Durchreise hier in der Burg. Sein Sekretär gestand nach Folter, ihn vergiftet zu haben, was heute aber sehr umstritten ist. Bestattet wurde der Dauphin in der Kathedrale von Lyon. Somit wurde auch natürlich nicht er, sondern sein Bruder als Heinrich II. König. Dieser starb dann später vor den Augen seiner Familie bei der Hochzeit seiner Tochter bei einem Turnier. Die Lanze seines Gegners splitterte und ein Splitter drang durch das königliche Visier und das rechte Auge bis in das Gehirn ein.
Mit zwei Flaschen Crozes-Hermitage fahren wir nach Lyon zurück. Wir machen noch einen Stopp in Vienne, aber von hier habe ich ja schon berichtet.

Sonntags sind wir nochmal in Lyon unterwegs. Vormittags besichtigen wir das moderne Viertel La Confluence („der Zusammenfluss“) am Zusammenfluss von Saône und Rhône. Links die Saône, rechs die Rhône, in der Mitte das Musée des Comfluences:

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Links im Hintergrund sind die Brücken der ehemaligen Autobahn und dahinter der rechten Rhônestrecke über die Saône zu sehen. Etwas weiter nördlich überquert die Bahnstrecke ein Hafenbecken, leider wieder ohne Zug.

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Besonders viel Zugverkehr läuft auf der Strecke außer den TER von Lyon-Perrache nach Saint-Etienne. Bei meinen zahlriechen Besuchen von Confluences scheint mir kein einziges Bild mit Zug gelungen zu sein. Im Herbst stand hier in Confluences zu meiner Verwunderung für längere Zeit ein Frecciarossa von Trenitalia rum. Die Erklärung dafür kam dann im Dezember.
Der Stadtteil Confluences bedeckt den südlichen Zipfel der Halbinsel zwischen den beiden Flüssen und war bis vor wenigen Jahrzehnten ein Hafen- und Industriegebiet. Das markante Museum an der Südspitze ist ein Naturkunde- und Technikmuseum und hat einen relativen universellen Anspruch, alles über den Menschen und da Leben auszustellen. Das Ausstellungskonzept wirkt aber ziemlich willkürlich. Im gleichen Raum finden sich beispielsweise ein Dinosaurierskelett, ein Auto und ein Computer. Ein konservativeres Ausstellungskonzept mit strengerer thematischer Aufteilung fänden wir sinnvoller.

In der Nähe vom Bahnhof Saint-Paul zeigt dieses große Wandgemälde, das Fresque de Lyonnais, eine Auswahl berühmter Lyoner.

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Hierbei erlaube ich mir mal wieder einen kleinen Geschichte-Exkurs. In der oberen Reihe stehen zwei Märtyrer und Stadtpatrone auf dem Balkon: der heilige Irenäus, Bischof von Lyon, und die heilige Blandine. Irenäus gilt als einer der bedeutendsten frühen Kirchenlehrer des 2. Jh. und Verteidiger der katholischen Rechtgläubigkeit gegen die häretische Gnosis. Da die meisten eigenen Schriften der Gnosis verschollen sind, sind seine erhaltenen Polemiken gegen die Gnostiker heute eine wichtige Quelle über deren Glaubensvorstellungen.
In der dritten Reihe in der Mitte steht der Physiker André-Marie Ampère, Namensgeber der SI-Einheit für die Stromstärke. Der Botaniker mit der Pflanze in der unteren Balkonreihe links, ist Antoine de Jussieu. Den muss man nicht kennen, aber mein Wohnheim war nach ihm benannt. Rechts mit dem Filmprojektor stehen die Gebrüder Lumière, Erfnder des Films. Ihre Villa ist heute ein Museum und kann besichtigt werden. Ganz unten rechts von der Tür steht der vor wenigen Jahren verstorbene Starkoch Paul Bocusse, dessen Restaurant man bei der Einfahrt von Norden nach Lyon aus Richtung Dijon gut sehen kann. Ums Eck wäre könnte man neben Anderen den vierten römischen Kaiser Claudius und den Erfinder Marie-Joseph-Jacquard mit seinem mechanischen Webstuhl sehen.

Abends fängt es kräftig an zu regnen und wir können uns noch gerade so in ein Bouchon retten. Für Chris gibt es Quenelle des Brochets, ein fluffiger Hechtkloß mit Hummer/Flusskrebssauce. Der Fisch dafür kommt traditionell aus den Teichen der Dombes, wo ich auf dem Weg nach Bourg-en-Bresse durchgefahren bin. Was man auf einem Teller sehen kann, ist Tablier des Sapeurs ein paniertes Schnitzel aus einem großen Stück Rinderpansen.

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Da es nach dem Essen immer noch regnet, nehmen wir ausnahmsweise nicht das Velo’v zurück, sondern den ÖPNV. Für zwei Stationen nehmen wir die fahrerlose Metrolinie D.

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Kaum ist Chris am Dienstagmorgen heimgefahren, droht abends schon der nächste Besuch, diesmal meine Mutter mit Mann und Hund. Für die nächsten Tage kann ich mich also nach der Uni zum Abendessen einladen lassen :-). Am zweiten Abend entdecken wir mein zukünftiges Lieblingsbouchon Le Laurencin. Das Essen ist sehr solide und für einen Studenten besonders wichtig, man bekommt ein 3-Gänge-Menu für 15 € (2. Halbjahr 2021). Hier gibt es für mich Kalbsleber:

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Am Donnerstagnachmittag habe ich sowohl frei von der Uni als auch vom Besuch. Ich nutze das gute Wetter für einen kurzen Ausflug mit dem Rad nach Norden ins enge Saônetal. Die Kirche des ehemaligen Klosters auf der Île Barbe ist eine der ältesten von Lyon.

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Mein eigentliches Ziel liegt aber hinter der Insel auf dem Festland: die Boulangerie Jocteur, der Bäcker der auch Paul Bocusse für sein Restaurant belieferte. Trotzdem sind die Preise im üblichen Bereich.

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Ich decke mit leckeren Backwaren ein. Spezialität des Hauses ist links das Brioche de Pralines. Die Pralines roses de Lyon sind im Grunde genommen nur gebrannte Mandeln. Die markante rosa Farbe kommt ganz trivial von Farbstoff.

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Glücklicherweise muss ich für ansprechende Backwaren aber nicht immer so weit fahren. In meinem Viertel gibt es auch einen hervorragenden Bäcker mit bezahlbaren Preisen. Von ihm kommt zum Beispiel diese Religieuse:

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Am Samstag ist in dem römisches Theater ein Römerfestival mit historischem Lagerleben und Schauspiel auf der Bühne. Hinauf geht es mit der sehr gut ausgelasteten Standseilbahn Richtung Saint-Just.

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In der gemeinsamen Talstation in der Altstadt beginnt die auch die zweite Standseilbahn auf den Fourvièrehügel.

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Früher gab es vom Saint-Paul noch eine dritte Bergbahn nach Fouvière mit anschließender Tram zum Friedhof, mit der auch die Toten von Lyon befördert wurden. Auf der Trasse der Tram gibt es heute einen Panoramaweg. Leider ist der Ausblick nach Norden aufs Rhônetal ziemlich zugewachsen.
Kaiser Septimus Severus, der 197 n. Chr. bei Lyon einen Konkurrenten um den Kaiserthron besiegt hat, begrüßt uns mit seiner Frau, seinem Heer und seinem Hofstaat.

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Am Sonntag machen wir einen Ausflug mit dem Auto. Carinjo darf natürlich auch mit.

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Meine Mutter möchte nach Bourg-en-Bresse. Naja, da war ich schon. Glücklicherweise konnte ich sie aber davon überzeugen, von dort noch einen weiteren Abstecher in die Schlucht des Ain zum VIaduc de Cize-Bolozon zu machen.

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Im September hatte ich schon überlegt, ob ich einen Besuch des Viadukts irgendwie mit Anreise im Zug umgesetzt bekomme. Direkt östlich der Brücke liegt der Bahnhof Cize-Bolozon. Leider ist der Fahrplan der TER-Linie von Bourg-en-Bresse nach Oyonnax mit drei Zugpaaren am Tag, samstags nur einem, ziemlich unbrauchbar. Mit sehr frühem Start morgens in Lyon wäre es sogar machbar gewesen, aber die Lösung mit dem Auto war dann doch deutlich komfortabler.
Bis 2017 wäre es von Oyonnax noch weiter über die Regionengrenze ins Franche-Comté zur berühmten Ligne des Hirondelles, der Schwalbenlinie, gegangen. Gäbe es diese Verbindung noch, wäre ich auf jeden Fall hingefahren.
Neben den wenigen TER nach Oyonnax fahren seit 2010 die TGV Lyria von Paris nach Genf über die extra dafür mit starker fianzieller Unterstützung durch die Schweiz reaktivierte Ligne du Haut-Bugey und das Viadukt. Da die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten auf der ehemals stillgelegten Nebenbahn nicht sehr hoch sind, ist die Fahrzeitersparnis gegenüber dem Umweg über Ambérieu und Culoz aber nicht besonders groß.
Schließlich gelingt mir sogar noch ein Bild mit TGV Lyria Richtung Genf. Bei der gefühlten Schrittgeschwindigkeit des TGV war keine Eile geboten.

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Auf dem Rückweg machen noch einen kurzen Stopp in dem Dorf Pérouges. Da man den Ort an der Bahnstrecke von Lyon nach Genf relativ gut mit dem Zug erreichen kann und auch aus dem Zug sehen kann, nehme ich ihn in den Bericht mit auf. Die Bastide liegt auf einem Hügel über der Ebene und ist eine beliebte Touristenattraktion bei Lyon. Bastiden sind als Ortsbild im Südwesten Frankreichs in Aquitanien und Okzitanien häufig zu finden, in der Region um Lyon aber eher selten.

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