Reform EU-Fahrgastrechte (Fahrkarten und Angebote)
Anfang Oktober wurde hier im Forum über die Reform der EU-Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr berichtet.
Die neue EU-Fahrgastrechteverordnung wird zwar erst in mehr als 2 Jahren gelten, dennoch
möchte ich, nachdem der zuständige Ausschuss des Europaparlaments am 16.03.2021 dessen Plenum empfohlen hat, dem am 25.01.2021 vom Rat angenommenen "Standpunkt [...] im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (Neufassung)" (Link) ohne Änderungen zuzustimmen, ein paar Aspekte der vorgesehenen Neuregelung kommentieren:
- Weiterhin können Mitgliedsstaaten Schienenpersonenverkehrsdienste des Stadtverkehrs, Vorortverkehrs und Regionalverkehrs von der Anwendung einer Vielzahl von Artikeln der Verordnung ausnehmen.
- Die Definition der Verspätung im Artikel 3 ist gleich geblieben: "Zeitdifferenz zwischen der planmäßigen Ankunftszeit des Fahrgasts gemäß dem veröffentlichten Fahrplan und dem Zeitpunkt seiner tatsächlichen oder erwarteten Ankunft am Zielbahnhof"; hinzugekommen sind u.a die Definitionen der Ankunft als "Zeitpunkt, zu dem die Türen des Zuges am Bahnsteig des Bestimmungsorts geöffnet werden und das Aussteigen gestattet wird" und die des verpassten Anschlusses als "Situation, in der ein Fahrgast während einer in Form einer Durchgangsfahrkarte verkauften Eisenbahnfahrt einen oder mehrere Dienste infolge der Verspätung oder des Ausfalls eines oder mehrerer vorheriger Dienste oder der Abfahrt eines Dienstes vor der planmäßigen Abfahrtszeit verpasst", wobei Dienst seinerseits definiert wird als "Schienenpersonenverkehrsdienst, der zwischen Bahnhöfen nach einem Fahrplan betrieben wird, einschließlich Verkehrsdienste, die für eine Weiterreise mit geänderter Streckenführung angeboten werden".
Diese Definitionen sind zu begrüßen.
- Bei einer neuen Bestimmung aus Artikel 6 zu Fahrrädern "Hat ein Fahrgast eine Buchung für ein Fahrrad getätigt und wird die Beförderung des Fahrrads ohne berechtigten Grund verweigert, so hat der Fahrgast Anspruch auf Weiterreise mit geänderter Streckenführung oder eine Erstattung [...] eine Entschädigung [...] und Hilfeleistung" bleibt leider unklar, was einen berechtigten Grund darstellt.
- In Zugbildungen mit neuen Fahrzeugen und solchen, bei denen eine neue Genehmigung für das Inverkehrbringen von Fahrzeugen notwendig ist, stellen die Eisenbahnunternehmen sicher, dass es eine angemessene Anzahl von Fahrradstellplätzen gibt.
Angemessen ist noch unbestimmt, aber "die Mitgliedstaaten können für die angemessene Mindestanzahl von Stellplätzen [pro Zugbildung mit den oben genannten Fahrzeugen] bei bestimmten Arten von Diensten eine höhere Zahl als vier festlegen."
- Hinzugekommen ist in Artikel 7 der Satz "Vertragsbedingungen, die direkt oder indirekt vorgeben, dass die Rechte gemäß dieser Verordnung aufgehoben oder eingeschränkt werden oder davon abgewichen wird, sind für die Fahrgäste nicht verbindlich." Eine gute Ergänzung, wie ich finde.
- Bei den Informationen, die die Eisenbahnunternehmen dem Fahrgast auf Anfrage vor Fahrtantritt und ohne Anfrage während der Fahrt zu erteilen haben, sind hinzugekommen "Fahrpläne und Bedingungen für alle verfügbaren Fahrpreise", "Verfügbarkeit von Stellplätzen [...]für Fahrräder", "Störungen und Verspätungen (geplant und in Echtzeit)", "Verfügbarkeit von Bordeinrichtungen, einschließlich WLAN und Toiletten" sowie "Informationen vor dem Kauf darüber, ob die Fahrkarte oder Fahrkarten als Durchgangsfahrkarte gilt bzw. gelten." Während der Fahrt ist die Information über Bordeinrichtungen, einschließlich WLAN sowie über "Störungen [...](geplant und in Echtzeit)" hinzugekommen.
- Die Mitgliedsstaaten können laut Artikel 11, Absatz 4 vorschreiben, dass Fahrkarten ohne Aufpreis im Zug gekauft werden können, wenn es am "Abfahrtsbahnhof keinen Fahrkartenschalter oder keinen barrierefreien Fahrkartenautomaten und keine andere barrierefreie Möglichkeit, eine Fahrkarte im Voraus zu kaufen" gibt.
- Bezüglich der Durchgangsfahrkarten ist in Artikel 12 bestimmt: "Bei Fahrten, die einen oder mehrere Anschlüsse umfassen, ist der Fahrgast vor dem Fahrkartenkauf darüber zu informieren, ob die Fahrkarte oder Fahrkarten als Durchgangsfahrkarte gilt bzw. gelten." Durchgangsfahrkarten müssen angeboten werden, wenn Fernverkehrs- und Regionalverkehrsdienste von einem einzigen Eisenbahnunternehmen oder 100-prozentigen Tochtergesellschaften eines beteiligten Eisenbahnunternehmens oder von Eisenbahnunternehmen desselben Eigentümers betrieben werden.
- Bei der Erstattung oder Weiterreise mit geänderter Streckenführung im Artikel 18 ergeben sich einige Änderungen, nicht unbedingt zum Vorteil des Fahrgastes:
Zum ersten wird der Begriff der "vergleichbaren Beförderungsbedingungen" beibehalten, für den die EU-Komission in ihren leitlinien vom 04.07.2015 bereits erkannt hatte, dass "die Vergleichbarkeit der Beförderungsbedingungen von verschiedenen Faktoren ab[hängt] und [...]von Fall zu Fall entschieden werden [muss]".
Zum zweiten muss das Eisenbahnunternehmen dem Fahrgast die verfügbaren Optionen für eine Weiterreise mit geänderter Streckenführung binnen 100 Minuten nach der planmäßigen Abfahrtszeit des verspäteten oder ausgefallenen Verkehrsdienstes oder des verpassten Anschlusses mitteilen un die dafür notwendigen Vorkehrungen treffen, wobei dem Fahrgast keine zusätzlichen Kosten entstehen, wenn "eine vergleichbare geänderte Strecke von demselben Eisenbahnunternehmen betrieben wird oder ein anderes Unternehmen mit der Bedienung der geänderten Strecke beauftragt ist," und/oder "wenn die Weiterreise mit geänderter Streckenführung die Beförderung in einer höheren Klasse sowie die Benutzung alternativer Verkehrsmittel einschließt". Erst wenn diese Frist verstrichen ist, ist der Fahrgast berechtigt, "einen [...] Vertrag mit anderen Anbietern öffentlicher Verkehrsdienste mit der Eisenbahn, dem Reisebus oder dem Bus zu schließen [...], die es ihm ermöglichen, den Zielort unter vergleichbaren Bedingungen zu erreichen". Anschließend kann er sich vom Eisenbahnunternehmen, das den verspäteten oder ausfallenden Dienst betreibt, "die dadurch entstandenen notwendigen, angemessenen und zumutbaren Kosten" erstatten lassen.
Gewissermaßen ist der Fahrgast also auf den guten Willen des Eisenbahnunternehmens angewiesen; denn wann ist eine geänderte Strecke vergleichbar und wer definiert, die Notwendigkeit, Angemessenehit und Zumutbarkeit der entstandenen Kosten bei der Nutzung des alternativen Verkehrsmittels?
- Die Europäische Komission wird zum Geltungsbeginn der neuen FGR-Verordnung ein einheitliches Formular für Anträge auf Erstattung und Entschädigung erlassen, das jedoch vom Fahrgast nicht genutzt werden muss.
- Neu ist, dass das Eisenbahnunternehmen den Fahrgast bei der Klarstellung eines von ihm eingereichten Antrages auf Fahrpreisentschädigung unterstützen muss, wenn dieser nicht präzise genug ist.
- Dann folgt in Artikel 19 Absatz 10 die neue Einschränkung von Entschädigungszahlungen im Zusammenhang mit höherer Gewalt. Vollzitat: "(10) Eisenbahnunternehmen sind nicht zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet, wenn sie nachweisen können, dass Verspätungen, verpasste Anschlüsse oder Zugausfälle als direkte Folge von oder in untrennbarem Zusammenhang mit folgenden Umständen aufgetreten sind:
a) außerhalb des Eisenbahnbetriebs liegende, außergewöhnliche Umstände wie extreme Witterungsbedingungen, große Naturkatastrophen oder schwere Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die das Eisenbahnunternehmen trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen es nicht abwenden konnte,
b) Verschulden des Fahrgasts oder
c) Verhalten eines Dritten wie Betreten der Gleise, Kabeldiebstahl, Notfälle im Zug, Strafverfolgungsmaßnahmen, Sabotage oder Terrorismus, das das Eisenbahnunternehmen trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und dessen Folgen es nicht abwenden konnte.
Streiks des Personals des Eisenbahnunternehmens, Handlungen oder Unterlassungen eines anderen Unternehmens, das dieselbe Eisenbahninfrastruktur nutzt, und Handlungen oder Unterlassungen der Infrastrukturbetreiber und Bahnhofsbetreiber fallen nicht unter die Ausnahme nach Unterabsatz 1 Buchstabe c."
Eine schwere Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit dürften wir gerade haben.
Zur Präzisierung dürfte Erwägungsgrund 37 beitragen:
"Ein Eisenbahnunternehmen sollte jedoch nicht zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet sein, wenn es nachweisen kann, dass die Verspätung durch außergewöhnliche Umstände wie extreme Witterungsbedingungen oder große Naturkatastrophen, die den sicheren Betrieb des Verkehrsdienstes gefährdeten, verursacht wurde. Solche Ereignisse sollten im Unterschied zu normalen jahreszeitlich bedingten Witterungsbedingungen, wie Herbststürmen oder regelmäßig auftretenden städtischen Überflutungen aufgrund der Gezeiten oder der Schneeschmelze, außergewöhnliche Naturkatastrophen darstellen. Darüber hinaus sollte ein Eisenbahnunternehmen nicht zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet sein, wenn es nachweisen kann, dass die Verspätung durch eine schwere Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie beispielsweise eine Pandemie, verursacht wurde. Außerdem sollte das Eisenbahnunternehmen nicht verpflichtet sein, eine Entschädigung für eine Verspätung zu zahlen, die durch den Fahrgast oder durch bestimmte Handlungen von Dritten verursacht wurde. Eisenbahnunternehmen sollten nachweisen, dass sie weder derartige Ereignisse hätten vorhersehen oder vermeiden noch die Verspätung hätten verhindern können, selbst wenn alle zumutbaren Maßnahmen, einschließlich der geeigneten vorbeugenden Instandhaltung ihrer Fahrzeuge, ergriffen worden wären. Streiks des Personals des Eisenbahnunternehmens sowie Handlungen oder Unterlassungen anderer Eisenbahnbetreiber, die dieselbe Infrastruktur, denselben Infrastrukturbetreiber oder dieselben Bahnhofsbetreiber nutzen, sollten sich nicht auf die Haftung für Verspätungen auswirken. Die Umstände, unter denen Eisenbahnunternehmen nicht zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet sind, sollten objektiv gerechtfertigt sein. Wenn Eisenbahnunternehmen über eine Mitteilung oder Unterlage des Eisenbahninfrastrukturbetreibers, einer Behörde oder sonstigen von den Eisenbahnunternehmen unabhängigen Stelle verfügen, in der die Umstände angegeben sind, aufgrund deren das Eisenbahnunternehmen geltend macht, dass es von der Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung befreit ist, sollten sie die Fahrgäste und gegebenenfalls die betreffenden Behörden über diese Mitteilungen oder Unterlagen in Kenntnis setzen."
Da dürften dann die Eisenabhnunternehmen mit der Störungsmeldungen von DB Netze als Mitteilung für Umstände, die zur Befreiung von Entschädigungszahlungen führen, ankommen.
- Bei Verpätungen und auch im Falle eines Zugausfalls haben Eisenbahnunternehmen oder Bahnhofsbetreiber und, wenn ihnen diese Informationen vorliegen, auch Fahrkartenverkäufer und Reiseveranstalter, die Fahrgäste "über die Situation und die geschätzte Abfahrts- und Ankunftszeit des Verkehrsdienstes oder des Ersatzverkehrsdienstes zu unterrichten" bzw. diese Inforamtionen bereitzustellen.
- Wenn aufgrund einer Verpätung von 60 Minuten oder mehr ein Aufenthalt von mehreren Nächten in einer Unterkunft notwendig wird und die Verspätungsursache unter die Bedingungen nach Artikel 19, Absatz 10 fällt, kann das Eisenbahnunternehmen "die Dauer der Unterbringung auf höchstens drei Nächte begrenzen."
- Bei einer Unterbrechung eines Verkehrsdienstes wurde verbessert, dass das Eisenbahnunternehmen bereits dann so rasch wie möglich einen alternativen Verkehrsdienst für die Fahrgäste anzubieten und die dazu notwendigen Vorkehrungen zu zu treffen hat, wenn "innerhalb einer vertretbaren Frist keine Möglichkeit" zur Fortsetzung des Verkehrsdienstes besteht.
Wobei fraglich ist, was eine "vertretbare Frist" ist.
- Bisher haben die Eisenbahnunternehmen "auf Anfrage des Fahrgasts
auf der Fahrkarte im jeweiligen Fall zu bestätigen, dass der Verkehrsdienst verspätet war, zum Verpassen eines Anschlusses geführt hat oder ausgefallen ist."
Künftig müssen die Eisenbahnunternehmen die betroffenen Fahrgäste nur noch darüber informieren, "wie sie eine Bestätigung dafür beantragen, dass der Verkehrsdienst verspätet war, zum Verpassen eines Anschlusses geführt hat oder ausgefallen ist."
Anstatt einer einfachen Bestätigung auf der Fahrkarte nun also ein Antrag auf eine Bestätigung, da schwant mir böse Bürokratie. Wie und wo eine solche Bestätigung zu beantragen ist, entscheidet also das Eisenbahnunternehmen.
- Beschwerden im Zusammenahng mit den Fahrgastrechten an ein Eisenbahnunternehmen oder einen Bahnhofsbetreiber sind künftig "innerhalb von drei Monaten nach dem Vorfall, auf den sich die Beschwerde bezieht," bei diesem einzureichen.
- Die Berichte der Eisenbahnunternehmen über die erreichte Dienstqualität sind künftig nur noch zweijährlich zu veröffentlichen, enthalten aber neu Angaben zu Verpätungen "Verspätungen
i) Durchschnittliche Gesamtverspätung der Dienste als Prozentsatz nach Dienstart (Fern-, Regional-, Stadt-/Vorortverkehr);
ii) Prozentsatz der Verspätungen aufgrund von Umständen im Sinne von Artikel 19 Absatz 10;
iii) Prozentsatz der Dienste, die bei Abfahrt verspätet sind;
iv) Prozentsatz der Dienste, die bei Ankunft verspätet sind:
— Prozentsatz der Verspätungen unter 60 Minuten
— Prozentsatz der Verspätungen von 60 bis 119 Minuten
— Prozentsatz der Verspätungen von 120 Minuten und mehr"
sowie detaillierter Angaben zu Zugausfällen "
i) Zugausfälle als Prozentsatz nach Dienstart (internationaler Verkehr, inländischer Fern-, Regional-, Stadt-/Vorortverkehr)
ii) Zugausfälle aufgrund von Umständen im Sinne von Artikel 19 Absatz 10 als Prozentsatz nach Dienstart (internationaler Verkehr, inländischer Fern-, Regional-, Stadt-/Vorortverkehr)"
- Die Arbeit der Durchsetzungsstellen für die Fahrgastrechte wurde genauer geregelt und u.a festgelegt, dass "Eisenbahnunternehmen, Bahnhofsbetreiber und Infrastrukturbetreiber, Fahrkartenverkäufer und Reiseveranstalter den nationalen Durchsetzungsstellen auf Anfrage unverzüglich und spätestens innerhalb eines Monats nach Eingang der Anfrage alle einschlägigen Unterlagen und Informationen zur Verfügung [stellen] In komplizierten Fällen kann die nationale Durchsetzungsstelle diese Frist auf höchstens drei Monate nach Eingang der Anfrage verlängern."
Beschwerdeverfahren dürfen ab Eröffnung der Verfahrensakte höchstens 3 Monate dauern, in komplizierten Fällen höchstens 6 Monate, bei vom Verfahren umfassten Gerichtsverfahren länger.