Diskussion: mehr Direktverbindungen oder dichterer Takt? (Allgemeines Forum)
Hallo ICE-Fans,
nachdem "Eingleisigkeit" hier die Fahrplanvorhaben 2012 veröffentlicht hat, entstand bei mir den Eindruck, dass DB Fernverkehr nach und nach den Taktfahrplan verabschiedet zugünsten mehr Direktverbindungen. Einserseits kann man das gut finden, andererseits nicht. Daher dieser Diskussionsansatz.
Stellungnahme 1: Deutschland braucht mehr Direktverbindungen
Es gibt viele Gründe warum Leute nicht mit der Bahn fahren. Einer davon ist der Umstieg. Die Verfasser des Bahnsurvivalbibels "Zänk yu för trawelling" haben das sogar als Hauptregel dargestellt: die Entscheidung Bahn ja/nein wird erstens dadurch bestimmt, ob man für die Wunschverbindung umsteigen muss ja oder nein.
Umsteigen bedeutet ja das Antworten eines ungeschriebenen Fragebogens:
- wo soll ich umsteigen?
- wann soll ich umsteigen?
- wieviel Zeit soll ich für den Umstieg haben?
- auf welchen Gleis soll mein Zug Einfahrt haben?
- auf welchen Gleis soll mein Anschlußzug abfahren?
- wo soll der Wagen sein, in dem ich einen Platz reserviert habe?
Und das ist "the easy part", denn das ist die Soll-Situation. All diese Fragen kann man nämlich schon vor Fahrtantritt antworten
"The hard part" ist die Ist-Situation, denn diese Fragen lassen sich nur während der Fahrt antworten:
- wo muss ich wirklich umsteigen? (ist mein Zug nicht irgendwie umgeleitet worden?)
- wann soll ich wirklich umsteigen? (haben wir nicht irgendwelche Verspätung?)
- auf welchen Gleis fahren wir wirklich ein? (gibt es irgendwelche Gleisänderung?)
- auf welchen Gleis fährt mein Anschlußzug wirklich ab?
- werde ich den Anschluß noch erreichen?
- ist mein Anschlußzug normal gereiht, oder nicht etwa andersrum?
- ist der Wagen, in dem ich einen Platz reserviert habe, dabei, oder fehlt er?
Fast alles Fragen, die der Direktreisende sich nicht zu stellen braucht.
Eine Bahn kann zwar stündlich fahren (oder halbstündlich, wie die unsere), aber von etwa 16 (32) Fahrten pro Tag ist Otto Normalbahnfahrer in nur eine interessiert: seine Wunschverbindung. Was da ansonsten noch alles an Zügen fährt, zuvor oder danach, die restlichen 15 (31) Fahrten können ihm egal sein.
Wenn Otto von Düsseldorf nach Oberstdorf verreisen möchte, wird er ausnahmslos IC 2013 nehmen. Das ist nämlich eine Direktverbindung. Dass auf allen Teilabschnitten Stundentakt herrscht und in Mannheim Korrespondenzanschlüsse bestehen, was soll's?
So betrachtet: eine Bahn, die möglichst viele unterschiedliche Direktverbindungen hinkriegt, wird viel attraktiver sein und also viel mehr Kunden gewinnen können als eine hochfrequentierte Taktbahn wie die unsere, wo für eine Reise Houten-Bilthoven (20 km) schon ein Umstieg (in Utrecht) erforderlich ist.
Stellungnahme 2: Deutschland braucht dichteren Takt
Zwei sehr erfolgreiche Bahnen Europas (SBB, NS) fahren nach einem strikten Taktfahrplan, und eine dritte (SNCF) möchte das tun.
Unsere Bahn gilt als Extrembeispiel eines Linienbetriebs: Streckenabweichungen wie in Deutschland gibt es bei uns nicht. Die Zeit, in der man im Sommer aus fast jedem Ort umsteigefrei mit dem IC nach Zandvoort reisen konnte, ist vorbei; ein Umstieg in Amsterdam und/oder Haarlem ist erforderlich.
Und der Trend geht weiter: ab 2020 wird ein Korridorfahrplan eingeführt, wobei Verkehrsströme gebündelt werden und noch mehr Direktverbindungen entfallen. Dies führt z.B. dazu, dass man ab Eindhoven keine Direktverbindung mehr mit Schiphol haben wird; die ICs fahren immer nach Amsterdam Centraal; wer nach Schiphol reisen möchte, muss in Utrecht umsteigen.
Heute wird zumindest noch alternierend nach Amsterdam und Schiphol gefahren, jeweils halbstündlich. Auf Eindhoven-Utrecht gibt es 15-Minutentakt. Theoretisch auf Eindhoven-Amsterdam-Alkmaar und Nijmegen-Schiphol auch. Aber in der Praxis? Nein.
Wenn ich um 7:02 von Eindhoven nach Schiphol reisen möchte und ich verpasse in Utrecht den Anschluß, muss ich in Utrecht den nächsten IC nehmen. Gut, sind ja nur max. 15 Minuten Wartezeit. Aber woher kommt dieser IC? Genau, aus Eindhoven! Der war dort ja 7:17 losgefahren. Ich hätte also auch gleich 15 Minuten später in Eindhoven losfahren können.
Allerdings wird der heutige Linienfahrplan nicht mehr ausreichen. Die abwechselnde Lienenführung Eindhoven/Nijmegen - Amsterdam/Schiphol führt zu ständigen Wechsel auf Infrastruktur. Der aktuelle 15-Minutentakt in der Randstad wird eines Tages nicht mehr ausreichen; jetzt schon muss ich trotz Einsatz 12-Wagen-IC-Dostos mal stehen. Bei Verdichtung auf 10-Minutentakt ist der Linienfahrplan nicht mehr umzusetzen; schon bei Sekundenverspätungen durften Trassenkonflikten entstehen, und Folgeverspätungen von 5 Minuten bedeuten schon einen halben Takt!
Dennoch: bei einem solchen Korridorfahrplan sind die absoluten Zeitverluste eines verpassten Anschlusses nur marginal, und Umstiege werden damit verkraftbar.
Sozusagen durfte die hohe Frequenz der Zugfahrten Bestandteil des Folgs von SBB und NS sein.
Stellungnahme 3: Deutschland braucht beide
Für beide Verfahren ist etwas zu sagen; manchmal ist das eine besser, manchmal das andere. Man muss allerdings das richtige Verfahren einsetzen. Innerhalb VRR-Gebiet kann man nicht unendlich viele Direktverbindungen anbieten. Dagegen ist ein 10-Minutentakt Immenstadt-Oberstdorf oder etwa Lindau-Bregenz-Feldkirch auch nicht sinnvoll.
Erstrebenswert wäre die Einpassung der Direktverbindungen in einen Taktrahmen. Dann ist der Zug auf allen Teilabschnitten Bestandteil eines Taktes. Klar wird es dann so sein, dass IC 2013 als RE 2013 zwischen Ulm-Oberstdorf verkehrt. Allerdings denke ich, dass das einerseits nicht immer möglich (RE 2013 läßt einige Halte des "normalen" RE aus) und andererseits nicht gewollt ist (keine Konkurrenz vom eigenwirtschaftlichen Fernverkehr durch subventionierten Nahverkehr).
Auch durfte das Verfahren ziemlich verspätungsanfällig sein; wenn ich sehe, wie bei uns etwa 1 von 7 Korrespondenzanschlüssen Schiphol/Amsterdam - Eindhoven/Nijmegen in Utrecht fehlschlägt...
Dennoch denke ich, dass ein 10-Minutentakt in NRW Sinn machen würde, vor allem wenn man bedenkt, dass die heutigen Züge auf 175 m (146 + 6 Dostos) beschränkt bleiben müssen. Allerdings bleibt der Nachteil, dass man wahrscheinlich Direktverbindungen aufgeben muss, um die Verspätungsanfälligkeit zu reduzieren.
Zudem sind bei uns die "IC"s auch mit normalen Fahrscheinen benutzbar. So ein "IC" fährt eine 20-40 km Strecke wie Utrecht-Amersfoort oder Utrecht-Gouda nonstop, und das in 15-Minutentakt. Dagegen sind deutsche ICs zuschlagpflichtig, und in Deutschland halten die REs wesentlich öfter als unsere "IC"s.
Auch wäre es sinnvoll, z.B. vier zweistündliche Linien so zu bündeln, dass ein Halbstundentakt entsteht, oder zumindest zwei stündliche Linien entstehen. Dann braucht man nur die Minute zu memorieren.
Ein übersichtlicher Fahrplan ist auch Bestandteil des Erfolgs, ich möchte mal wieder auf SBB und NS hinweisen. Für mich ist es hier in Utrecht halt: Eindhoven '07 Gleis 15, Nijmegen '07 Gleis 14, Amsterdam '10 Gleis 7, Schiphol '13 Gleis 5, alles jede 15 Minuten.
Was meint Ihr dazu?
gruß,
Oscar (NL).
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Mit den neuen IC-Triebwagen wird alles besser !!
Trans-Europ-Express 2.0? Abwarten und TEE trinken!
Schienenstränge enden nicht an einer Staatsgrenze, sondern an einem Prellbock.