WET vs. Fernzugnutzung im Rahmen der Fahrgastrechte (Allgemeines Forum)

Giovanni, Montag, 06.09.2010, 10:10 (vor 4988 Tagen) @ Jogi

Vergleichbare Beförderungsbedingungen werden in den meisten Fällen als gleiche Wagenklasse verstanden.
Verschiedene Produktklassen o.ä. existieren in den meisten EU-Ländern nicht.

Nun, was bringt es mir in Deutschland, wenn in Portugal oder Serbien die Sache anders läuft? Wo ist denn bitte genau festgelegt, was „vergleichbare Beförderungsbedingen“ sind?

Genau das ist der Punkt: In der Fahrgastrechteverordnung ist das nicht genau geregelt.
Vergleichbar heißt allerdings auch nicht exakt gleich, zudem haben wir in Deutschland die Situation das die Produktklassen sich nicht zwangsläufig im Fahrpreis widerspiegeln - d.h. Produktklasse C kann erheblich teurer sein als ICE.

Ich gehe allerdings soweit, dass zu vergleichbaren Bedingungen keine im Alternativzug normalerweise kostenlos angebotenen Zeitungen oder Getränke gehören ;)

Übrigens ist in der EU-Verordnung nicht erwähnt, dass sich der Fahrgast ein neues Ticket kaufen müsste.

Aber in den AGB und BB der Bahn. In der Präambel steht: „ Diese Bedingungen ergänzen die gesetzlichen Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. EU Nr. L 315 S. 14) und die Bestimmungen der Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO) in der jeweils gültigen Fassung.“

Wenn die Fahrgastrechte nur durch erhebliche Vorleistungen in Anspruch genommen werden können, sind sie unzumutbar eingeschränkt.
Zudem wäre zu klären, ob - wenn das EVU das die Weiterfahrt durchführen soll mit dem ursprünglichen identisch ist - eine solche Regelung sittenwidrig wäre.

Nun einige Überlegungen dazu. Aus b) und c) lassen sich nicht zwangsweise eine Fernzugnutzung mit dem WET bei mehr als 60 Minuten Verspätung ableiten, denn der Passus „unter vergleichbaren Beförderungsbedingungen“ läuft dem eigentlich zuwider. Das würde ja heißen, man kauft Mineralwasser (= WET), bekommt aber als Entschädigung Champagner (= ICE-Nutzung).


Kauf O-Saft und bekommt Apfelsaft...
Champagner wäre die erste Klasse.

Wenn Du schon meine Metapher ummodellierst, dann wären ein paar erklärende Worte dazu nett.

Champagner ist teurer als Mineralwasser - das ist beim Vergleich zwischen SWT und ICE nicht zwangsläufig gegeben. Apfel- und O-Saft bewegen sich hingegen meist auf ähnlichem Niveau - wie Sparpreis und SWT.
Lediglich in der ersten Klasse zahlt man fast zwangsläufig mehr - und erwartet entsprechendes...

Besitzt ein Reisender einen Fahrausweis, der ausschließlich im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gilt und muss vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass der Reisende aufgrund des Ausfalls oder einer Verspätung des von ihm gem. Beförderungsvertrag gewählten Zuges mindestens 20 Minuten verspätet am Zielort seines Beförderungsvertrages ankommen wird, kann er die Fahrt mit einem anderen Zug durchführen, […]. Soweit der Reisende für den ersatzweise genutzten Zug weitere Fahrausweise erwerben muss, kann er […] den Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen.

Erwerben muss er nur, wenn der Fall nicht durch die EU-Fahrgastrechteverordnung abgedeckt ist. Die EU-Fahrgastrechteverordnung die ab 60min greift sieht jedenfalls keinen Zwang zum Erwerb eines neuen Fahrscheins vor.

Das Schöne-Wochenende-Ticket wird wie alle Fernverkehrsfahrscheine mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belegt. Zudem gilt es in allen Zügen der Produktklasse C, die bekanntlich nicht nur Nahverkehrszüge (Durchschnittliche Reiseweite <50km / durchschnittliche Reisezeit <1h) umfasst.
-> IRE Dresden - Nürnberg
-> als RE laufende IC

Was will uns das sagen? (Und was hat ein als RE laufender IC damit zu tun??)
Zunächst einmal gilt der ermäßigte Mwst-Satz gemäß § 12, Abs. 2 UStG für Fahrten bis zu 50 km Fahrtstrecke. Dabei ist die Zuggattung nicht festgelegt.
Zwei Frage hierzu: Welcher Mwst-Satz gilt für einen IC-Fahrschein Lüneburg – Hamburg? Welcher für den Normalpreis der PK C, von mir aus von Hamburg nach Hannover?

Ein als RE laufender IC ist, wie auch der IRE Dresden-Nürnberg, kein Zug des Schienenpersonennahverkehrs, da er die Definition nach § 2 Abs. 5 des AEG nicht erfüllt.
Daraus folgt, dass das SWT kein Ticket ist das ausschließlich in Zügen des SPNV gilt.

Handelt es sich bei dem Fahrausweis des verspäteten Reisenden um einen Fahrausweis mit einem erheblich ermäßigten Beförderungsentgelt, besteht der Anspruch auf die Durchführung der Fahrt in einem anderen Zug nicht. [...]

Eine Einschränkung der Fahrgastrechte bei erheblich ermäßigten Fahrscheinen ist gemäß EU-Verordnung nicht möglich (Ausnahme: Bagatellgrenze).

Dann beantworte bitte auch diese Frage: Warum wird von keiner Stelle (namentlich VCD, Pro Bahn, fahrgastrechte.info) deine Interpretation kommuniziert, dass ich bei mehr als 60 Minuten Verspätung am Zielort mit dem WET einen Fernzug benutzen kann?

Fahrgastrechte.info ist kein Fahrgastverband, sondern eine Homepage der Bahn-Lobby.
Ob VCD und Pro Bahn von der 20min-Regelung nicht geblendet sind?
Bei uns haben sich die Fahrgastverbände auch nicht großartig beschwert, das die neuen Automaten keine Tickets nach DB-Tarif verkaufen - man hatte mit den Zugausfällen genug zu tun.
Vielleicht wollte man aber auch nicht die Abschaffung des SWT riskieren...

Für den Reisenden mit einer Fahrkarte für die Produktklasse C gilt Nr. 9.1.1 mit Ausnahme von Satz 2 [= „Er kann dabei auch den Zug einer höherwertigen Produktklasse benutzen“].

Daraus folgt, dass Regionalfahrscheine grundsätzlich nicht in Fernzügen gelten. Weiter heißt es:

Der Reisende hat stattdessen bei Weiterreise im Zug einer höherwertigen Produktklasse zunächst den Fahrpreis für die benutzte Produktklasse zu zahlen. […]. Dies gilt nicht für Inhaber von Fahrkarten zu einem erheblich ermäßigten Fahrpreis. Welche Fahrkarten das sind, ist in den Beförderungsbedingungen der jeweiligen Angebote geregelt.

WET-Beseitzer haben also auch nicht die Möglichkeit, den Fahrpreis für eine mögliche FV-Nutzung bei Verspätung einzuklagen.

Aus der Verordnung geht nicht hervor, dass die SWT-Besitzer überhaupt neue Fahrausweise erwerben müssten.

Aber aus den ergänzenden BB.
Führen wir mal deinen Gedanken fort: warum sollte dann ein Besitzer eines NP der PK C überhaupt dafür zahlen, wenn er aber mehr als 20 Minuten Verspätung einen Fernzug nehmen möchte? Oder noch extremer: da man in dieser Situation den Zeitpunkt der Weiterfahrt ja selber bestimmen kann, könnte man sagen, wer diesen Zeitpunkt so wählt, dass er mehr als 60 Minuten später ankommt, der kann kostenlos (= kein anderes Ticket erwerben müssen) fahren. Kann das sein?

Warum auch nicht?
Der NP der PK C ist allerdings eine sehr seltene Ausnahme, da die meisten Kunden mit Zeitkarten, Verbundtickets oder Ländertickets unterwegs sind.

Dazu müssten diese oft ein Vielfaches des SWT-Preises in Bar mitführen - unzumutbar.

Ab eine gewissen Grenze ja. Wo die ist - keine Ahnung.

Würde dieser Umstand nicht dem Artikel 16 der oben zitierten EG-Verfassung zuwider laufen? Ich meine nein wegen des Passus „unter vergleichbaren Beförderungsbedingungen“.

Vergleichbare Beförderungsbedingungen = gleiche Wagenklasse. Oder?

Das ist die Frage, ob die „vergleichbaren Beförderungsbedingungen“ sich in D nicht (auch?) auf die Produktkategorie beziehen. Da hilft es auch nicht darauf zu verweisen, diesen „Schwachsinn“ gäbe es ansonsten nicht. So lange das der EG-Verordnung nicht zuwider läuft (und der Verweis auf Resteuropa ist da einfach nicht ausreichend), muss man das hinnehmen. Läuft es dem zuwider? Wohl eher nicht, da man
-> die 20-Minuten-Regel als Spezifikation der 60-Minutenregel sehen kann.
-> da man die Produktkategorisierung in D als (von mir aus starke) Differenzierung der "vergleichbaren Beförderungsbedingungen" sehen kann.

Die deutsche 20min-Regel ist keine Spezifikation der EU-60min-Regel, da sie weit weniger Rechte vorsieht als in der EU-Verordnung vorgesehen.


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