Zwei Thermodynamiker sammeln Verspätung im IR Traianus (5/9) (Reiseberichte)

Bahne aus Leidenschaft, Sonntag, 26.01.2025, 16:09 (vor 323 Tagen)

Im letzten Teil waren wir in Orşova am Eisernen Tor: https://www.ice-treff.de/index.php?id=709990

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Tag 9: Orşova - Timisoara
Heute geht es an unserem letzten gemeinsamen Reisetag mittags mit dem Traianus weiter Richtung Heimat. Nach einer entschleunigenden Stunde in der Oktobersonne am Bahnhof Orşova kam endlich der Traianus, mit dem wir jetzt unsere letzte gemeinsame Zugfahrt bestreiten. Jonas muss nämlich am Montag wieder arbeiten und will heute bis Budapest durchfahren und von dort weiter nach Karlsruhe zurück. Mein Tagesziel Timişoara liegt an der gleichen Strecke aber noch in Rumänien.
Erster Zwischenhalt ist Baile Herculane, dessen Ortskern in einiger Entfernung zum Bahnhof dort hinten in dem Seitental liegt.
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Jetzt geht es durch die Karpaten. Die Bahnstrecke folgt einer jahrhundertealten Route durch das Cerna- und das Temeschtal, auf der schon die Österreicher im Großen Türkenkrieg um 1700 in die Walachei vorgestoßen sind. Kehrschleifen und Hochgebirge wie vor vier Tagen von Braşov nach Süden hat die niedrige Passhöhe an der Poarta Orientala nicht zu bieten, zu verachten ist die Aussicht trotzdem nicht.
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Endlich mal eine Baustelle, an der Arbeiten zu sehen sind, wenn sie auch nicht übermäßig effektiv wirken.
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Was mir bis zur Einfahrt unseres Zugs gar nicht bewusst war, ist dass der Traianus ein Bistro hat, dessen Getränkeangebot wir gerne annehmen.
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Hinter dem Tresen ist das reichhaltige Angebot präsentiert.
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Warme Speisen sind auch im Angebot. Wofür die professionelle Kochplatte und Pfanne sind, weiß ich jedoch nicht. Für die angebotenen warmen Sandwichs gibt es nämlich einen eigenen Sandwichmaker. Ob die Küchentechnik beim deutschen EBA zulässungsfähig wäre, wage ich mal zu bezweifeln.
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Man beachte den Campingstuhl. :-)
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Eine Runde geht noch, bevor ich raus muss.
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Bis Timişoara dauert es noch über eine Stunde, aber ich spiele mit der Idee, schon in Lugoj auszusteigen. Mein Hauptprogrammpunkt für morgen in Timişoara ist eine Fahrt im Malaxatriebwagen. Bei der Reiseplanung ist mir ein Regionalzug von Lugoj über die parallele Nebenstrecke nach Timişoara aufgefallen, der laut Vagonweb mit einem Malaxa fährt. An über zwei Stunden Aufenthalt in Lugoj hatte ich aber wenig Interesse, vor allem wenn dann plötzlich außerplanmäßig ein Desiro käme. Praktischerweise verkürzt die Verspätung die Umsteigezeit enorm, sogar so weit, dass ich beim schon Ausstieg schon sehen könnte, ob ein Malaxa oder ein Desiro bereitsteht. Ein außerplanmäßiger Halt kurz vor Lugoj und eine anschließende Schleichfahrt, lassen mich sogar um den Anschluss bangen. Für alle Fälle verabschiede ich mich aber schon mal von Jonas.
Jackpot! Erfreulicherweise wartet der Anschluss, da er unser Gleis kreuzen muss. ITF auf Rumänisch ;-)
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Ein wenig habe ich Probleme, den Eingang zu finden, was aus Jonas’ Perspektive so aussieht:
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Grund für die Schleichfahrt des Traianus bei der Einfahrt dürften diese Bauarbeiten gewesen sein.
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Die Zugtoilette dürfte selten defekt sein.
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Nicht so begeistert bin ich von der Tatsache, dass ich ein Ticket nachlösen muss. Mein Fernverkehrsticket ist wohl nicht abwärtskompatibel. Arm macht mich der Fahrscheinkauf jedoch nicht.
Mehrmals nutze ich den Blick aus dem hinteren Führerstand.
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Perfekt, dass es heute schon mit dem Malaxa geklappt hat. Der Fahrplan auf der anderen Malaxa-Strecke von Timişoara nach Stamora Moldavita wäre am morgigen Samstag mit zwei Zugpaaren sehr dünn gewesen und laut Vagonweb gemischt mit Malaxas und Desiros. Den Ausflug kann ich mir morgen sparen. Im Überschwang der Gefühle, beschließe ich morgen früh nach Ungarn weiterzufahren und ändere meine Reservierung in Timişoara von zwei auf eine Nacht. Die fast zwei Stunden Fahrt im Malaxa reichen mir dann nämlich auch. Die Gleislage ist ähnlich schlecht wie bei unserer Fahrt mit dem Corona über Carei vor einer Woche. Beim Malaxa ohne Drehgestelle, aber dafür Hartschalensitzen wird jedoch jede Erschütterung direkt und quasi ungefedert auf den Fahrgast übertragen, mit anderen Worten ein unvergleichliches Erlebnis. Schade, dass hier kein Reisebericht mit allen Sinnen möglich ist.
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In Sacosu Mic – zumindest glaube ich, dass es dort war – kreuzen wir den Gegen-Malaxa. Der Lokführer hält Unterlagen für den Bahnhofschef bereit.
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Nachdem diese entgegengenommen sind, ist noch Zeit für einen kurzen Plausch.
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Nicht schön, aber besonders: der Malaxa von innen. In dem Kabuff auf der linken Seite, versteckt sich der Motor, interessanterweise nicht abgeschlossen, wie ich während der Fahrt entdecken durfte.
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Malaxa-Treffen in Timişoara Nord. Auch nach Stamora Moravita wäre heute also ein Malaxa gefahren.
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Ein GT4 aus Bremen begrüßt mich vor dem Bahnhof. Wie im Hintergrund zu sehen, wird dieser aktuell kernsaniert.
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Von der Altstadt von Timişoara bin ich absolut begeistert. Timişoara war im vergangenen Jahr europäische Kulturhauptstadt 2023 und man sieht ganz eindeutig, dass viel EU-Geld in die Sanierung der Innenstadt geflossen sein muss. Wenn das das Ergebnis ist, finde ich es aber sehr gut investiert. Es gibt eine saubere Fußgängerzone und es ist nicht so chaotisch wie in Bukarest. Hier gefällt es mir ausgezeichnet.
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Früher hatte Timişoara mit den Banater Schwaben und Ungarn eine mehrheitlich katholische Bevölkerung. Nach der Auswanderung der meisten Banater Schwaben dürfte die katholische Kathedrale an der Piața Unirii etwas überdimensioniert sein.
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Zum Abendessen gibt es bei mir heute Spareribs vom lokalen Schwein.
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Jonas schickt derweil ein Bild von seinem Sandwich aus dem Sandwichmaker des Traianus, das ihn sehr überzeugt hat. Eine Mahlzeit bei der rumänischen Bordgastronomie hat er mir damit voraus.
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Auf sein Sandwich musste er ganz schön lange warten, da der Zug fast zwei Stunden ohne Lok am Grenzbahnhof Lökösháza stand. Trotz der in Summe über eine Stunde langen Aufenthaltszeit auf beiden Seiten der Grenze war der ungarische Trägerzug wegen der großen Verspätung schon ohne die rumänischen Wagen losgefahren und die Fahrgäste des Traianus müssen deshalb auf den Folgetakt zwei Stunden später warten. Fahrgäste oder doch er her Fahrgast? In seinem Wagen ist Jonas zumindest abgesehen von den beiden Bistromitarbeitern allein. Entsprechend schnell waren die Grenzkontrollen erledigt.
Der Bistromitarbeiter kommt derweil in richtige Redelaune, unter anderem ereiferte er sich über die unfähige ungarische Bahn, die den Traianus regelmäßig hier stehen lässt. Ganz schön wagemutige Worte vonseiten der rumänischen Bahn. Kurz vor 23 Uhr kommt er in Budapest an, wo ihn seine erste Übernachtung in einem Hostel überhaupt. Was hat der Junge nur während seines Studiums gemacht? Doch nicht etwa lernen!?

Tag 10: Timişoara – Budapest
Mein ursprünglicher Plan war, heute Morgen um halb 8 (plus 60-120 Minuten Verspätung) den Muntenia nach Ungarn zu nehmen, aber nicht bis Budapest durchzufahren sondern noch Szeged und Kecskemét mitzunehmen. Das Erlebnis von Jonas gestern und die Verspätung des aller Züge auf der Strecke über Craiova und Timişoara an den Vortagen lassen mich aber zweifeln, dass der Anschluss in Békécsaba nach Szeged funktioniert. Viel mehr sehe ich mich am Vormittag stundenlang in Lökösháza dumm rumstehen. Außerdem hat mir die Innenstadt von Timişoara gestern Abend so gut gefallen, dass ich es schade fände, sie nur im Dunkeln zu sehen. Last but not least möchte ich ein Sandwich, wie es Jonas gestern hatte. Deshalb schaltete ich gestern Abend den Wecker wieder aus und plane, am Nachmittag den Traianus zu nehmen.
Jonas hat sich derweil gegen einen Tag in Budapest entschieden und ist nach sehr kurzer Nacht schon im Railjet nach Wien, von wo er auf direktem Weg über München nach Karlsruhe zurückdüst.
Ich verspüre heute Morgen eine beginnende Erkältung, weshalb ich es heute etwas ruhiger angehen möchte. Vielleicht war es vorgestern auf der Donau etwas zu zugig. In aller Ruhe starte ich meinen Stadtrundgang. Am Rand der Altstadt steht die erst nach dem 1. Weltkrieg errichtete rumänisch-orthodoxe Kathedrale.
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Dahinter fließt die kanalisierte Bega, auf der Boote im öffentlichen Nahverkehr verkehren.
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Der Straßenbahnbetrieb hat nicht nur alte GT4 aus Bremen, sondern auch zahlreiche moderne Trams.
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Im Park stehen zahlreiche Büsten historischer Persönlichkeiten mit Bezug zur Stadt. Darunter sticht durch die Blumen Prinz Eugen von Savoyen, der edle Ritter, heraus. Der im großen Türkenkrieg großen Anteil an der Rückeroberung des Banats und Ungarns im Allgemeinen von den Osmanen hatte. Auch eine Straße in der Fußgängerzone trägt seinen Namen.
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Einige Gebäude warten noch auf ihre Sanierung.
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Im Allgemeinen zeigt sich die Piața Victoriei aber frisch saniert.
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Timişoara ist die Partnerstadt meiner etwa gleich großen Wahlheimat Karlsruhe, woran diese Gedenktafel erinnert.
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Mein zweiter Bezugspunkt zu Timişoara ist die medizinische Universität. Hier hat der sehr geschätzte Zahnarzt meiner Familie studiert, der zu unserem großen Bedauern zum Jahresende in Rente ging.
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1989 begann in Timişoara die rumänische Revolution gegen das Ceausescu-Regime, woran ein Museum erinnert. Der Beginn der Ausstellung behandelt die Diktatur und den Personenkult um Ceausescu, der die Leser von der Umschlagsseite jedes Buchs beobachtete.
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Im Gegensatz zu den anderen Revolutionen im Warschauer Pakt 1989 verlief die rumänische nicht friedlich. Diese Menschen fanden in Timişoara den Tod.
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Der Sieg der Revolution in Timişoara wurde nicht nur auf Rumänisch, sondern auch auf Ungarisch und Deutsch verkündet.
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Was genau bei der Revolution passierte und ob sie nicht eher ein parteiinterner Putsch war, ist heute umstritten. Der neue starke Mann des Landes i den 90er-Jahren Ion Iliescu war jedenfalls ein hochrangiger KP-Funktionär und es gab keinen sauberen Schnitt in der Regierung des Landes.
Die Revolutionäre schnitten das sozialistische Wappen aus den Nationalflaggen.
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Die Piața Unirii mit der katholischen Kathedrale bei Tageslicht.
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An der gegenüberliegenden Seite des weitläufigen Platzes steht die serbisch-orthodoxe Kathedrale.
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Bei dem schönen Wetter kehre ich zum Mittagessen auf der Terrasse eines der zahlreichen Lokale an dem Platz ein. Es gibt geschmorte Rinderbäckchen und ein paar Vitamine.
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An der ebenfalls schönen Piața Libertate wird an die europäische Kulturhauptstadt erinnert.
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Der Traianus hat zwar wieder etwas 90 min Verspätung, aber darauf möchte ich mich wieder nicht zu stark verlassen. Deshalb wird es nach dem Mittagessen langsam Zeit, zum Bahnhof zu gehen.
An der reformierten Kirche am südlichen Flussufer begannen 1989 die ersten Proteste gegen die geplante Strafversetzung des regimekritischen Pastors, aus der sich schließlich die Revolution entwickeln sollte.
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Die Straßenbahn würde mich auch zum Bahnhof bringen, ich wähle jedoch eine exotischere Form des ÖPNV, das Schiff. Die Auslastung ist gut, wie es mir scheint überwiegend Wochenendausflügler. Mit einem Fahrpreis von nur einem Leu, also etwa 20 Cent, bietet die Boote eine unschlagbar günstige Option für ein Nachmittagsausflug bei gutem Wetter.
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Schon in Braşov fiel uns der baugleiche Bücherautomat im Bahnhof auf. Die Auswahl ist etwas speziell, hohe Literatur wie Dostojewskij und Philosophie wie Platon und Spinoza auf der einen Seite, aber dann auch ein Buch über Geheimorganisationen, das eher nach Pseudowissenschaft klingt.
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Gerade noch so kann ich ein Caravelle von Regio Calatori Richtung Resita ausfahren sehen. Zahlreicher sind aber inzwischen die ehemals hessischen „Neufahrzeuge“. Man beachte, wie wunderbar die Einstiegshöhe zur Bahnsteighöhe passt.
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Alt trifft neu. Im Vergleich zum Malaxa der CFR auf dem Nachbargleis ist der Hesse tatsächlich noch quasi fabrikneu.
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Ob und wann der Traianus endlich kommt erfahrt ihr dann im nächsten Teil.

Pepsi im Traianus ...

Der Blaschke, Bissendorf-Wissingen, Montag, 27.01.2025, 06:56 (vor 322 Tagen) @ Bahne aus Leidenschaft

Huhu.

Der hintere Wortteil beschreibt's passend ...

Schöne Grüße von jörg

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"Zu Lebzeiten will ich gerne bescheiden sein; doch wenn ich tot bin, soll man natürlich anerkennen, dass ich ein Genie war." (Michel Audiard)

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