Mitleid mit dem Personal. (Reiseberichte)

Der Blaschke, Donnerstag, 14.09.2023, 00:46 (vor 20 Tagen) @ Hustensaft

Hallo.

Wirklich bedenklich war aber:

Ein großer Teil des Personals der DB war sichtlich demotiviert

Ja klar! Stell dir vor, du erlebst das, was du da schilderst, täglich. Während der gesamten Schicht. Pausenlos. Ständig funktioniert nichts.

Dazu katastrophale menschenverachtende Dienstpläne. Die dir den Rest an Lebensqualität nehmen.

Das alles gepaart mit der Weltferne der Führung. Mein Kumpel mußte mal antreten und sich rechtfertigen, weil er keine Begrüßungsansage gemacht hatte. Weil niemand eingestiegen war. Nein, so ginge das nicht. Blubbert, fasel, sülz. Ihm war dann irgendwann alles egal, morgens um 5 wurde dann eben in epischer Breite und zweisprachig so vollgelabert, dass den allen der Kamm schwoll; Hauptsache, die Plüschetage ist zufrieden. Mittlerweile ist er, wie viele einst Engagierte, geflüchtet. Sitzt auf dem Stellwerk und hat seine Ruhe. Zumal jeder Vorgesetzte da froh ist, wenn der so doof ist und morgen wiederkommt - da verkneift man sich Kritik. Wenn er zum Hundersten Mal angerufen wird, ob er am freien Tag kommen könne, dann sagt er fröhlich: kein Problem - wenn mein Kind mitdarf bzw ihr drauf aufpasst. Am Ende beißt man in den Hörer und ist zwangsläufig stille. Natürlich kommt man aber nicht auf die Idee, dass die pausenlose Bettelei nervt.

Hier brennt nicht nur der Baum, sondern schon der Wald, hieß es mal. Da wies mein Kumpel, dass doch nicht er den angezündet habe, sondern andere - dann sollen die doch auch gefälligst löschen.

Wenn ihm das dann zu viel wird, dann muss er sich die Ruhe halt anderweitig verschaffen. Und damit ist er ja nicht allein. Ständig ist ja von hohem Krankenstand als Ausfallgrund die Rede. Nun ist ein hoher Krankenstand immer auch ein Zeichen für ein schlechtes Betriebsklima. Da könnte man in den Plüschetagen diverser EVU natürlich mal drüber nachdenken - aber dann müßte man was ändern. Lassen wir es also lieber - die Kundschaft hat sich an die karnevalistischen Zustände meist gewöhnt. Ich staunte immer, wie fröhlich die Leutchen bei den Befragungen mitmachen und wie friedlich sie alles über sich ergehen ließen; selbst im größten Chaos. Weil jeder weiß, daß System ist kaputt und bleibt es auch. Dass sich da wer wie du über 8 und 10 und 15 Minuten Verspätung aufregt, ist die absolute Ausnahme. Wozu auch? Es ändert sich nichts.
Ganz wenigen muss man das allerdings erklären. Wir hatten mal von Osnabrück Richtung Oldenburg, wie nachmittags normal, ca 10 Minuten Verspätung. Anschluß in Oldenburg Richtung Bremen weg. Ein Fahrgast bollert los. Ich käme gerade richtig. 9 Jahre pendele er und ständig, wirklich ständig, ja im Prinzip immer, klappe der Anschluß nicht. Und jetzt hätten wir schon wieder Verspätung. Ja klar, trotz unendlich vieler Kreuzungsmöglichkeiten ist der Fahrplan nur bei schönstem Schönwetter zu fahren. Ich fragte ihn ernsthaft, warum er sich aufregt. Wenn das doch seit 9 Jahren nicht klappe, warum er dann auf die Idee käme, warum das heute klappen könnte! Natürlich klappte es auch an dem Tagnicht und ich sagte ihm ehrlich, dass das auch noch mindestens mehrere Jahre so bleibe. Entweder rege er sich weiter auf und stürbe bald - oder er nehme es hin wie das ständige Versagen von Borussia Dortmund.

Oder er bleibt einfach weg; wie offensichtlich sehr viele - der Umstieg wird kaum nachgefragt.

Zurück zu den Mitarbeitern.

Wie sagte kürzlich mal eine Mitarbeiterin zu mir: ich bin ja mittlerweile schon froh, wenn die Schicht wenigstens planmäßig beginnt. Oft genug gehe es ja schon mit Chaos los.


Der Laden ist völlig abgewrackt; da ist nichts zu retten. Bei Regio ist es unterschiedlich; es gibt da bessere und schlechtere Regionen. Generell aber ist die DB für Personal an der Front kein Arbeitgeber, von dem man träumt.

Und so lavieren die meisten sich halt irgendwie durch. Wo soll denn da Motivation auch herkommen?

Das habe ich den Fahrgästen immer erklärt, wenn sie anfingen, ich würde doch die falschen Fragen stellen und so. Oder sie mir ihre Geschichten erzählten, so mit Nachdruck: Doch, das war so. Ich habe ihnen immer erklärt, dass ich das alles glaube - weil ich es doch auch erlebe. Und zwar nicht nur wie sie bei einer Hin- und Rückfahrt am Tag, sondern während der gesamten Schicht.

Da verstanden sie dann erst, dass wir im selben Boot sitzen. Und Fahrgäste und Mitarbeiter gemeinsam leiden unter der Unfähigkeit und dem Dilettantismus der Chefetagen.

Mir tut jeder Mitarbeiter leid, der bei DB Fern arbeiten muss. Da hat jeder mein vollstes Mitgefühl. Und auch, wenn es für mich ein Traumjob wäre, war ich immer klug genug, mich da nicht zu bewerben; ich wäre heute noch kaputter und am Ende als ich es derzeit bin.

Okay, manchmal ist die Lustlosigkeit nur indirekt ein Verschulden der Chefs. Wenn es z.B. mit der 'passenden' Kollegin in die Übernachtung geht. Bis 4 Uhr morgens war man aktiv, um 6 Uhr aber steht man aber wieder 'etwas' unausgeschlafen am Bahnsteig; da kann die Kundschaft an dem Tag schon nerven. Oder zu Nachtzugzeiten hatte mein Kumpel Tagesübernachtung in München. Ja, da geht man doch als Norddeutscher nicht ins Hotel zum schlafen. Action, Touriprogramm. Die Nacht der Rückfahrt war dann gefühlt doch seeeeeehr lang. Und dann hat ein Fahrgast Probleme mit dem Kissen oder sowas ...


Schöne Grüße von jörg

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"Zu Lebzeiten will ich gerne bescheiden sein; doch wenn ich tot bin, soll man natürlich anerkennen, dass ich ein Genie war." (Michel Audiard)


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