Seilbahn Allerlei (1) (Reiseberichte)

ThomasK, Donnerstag, 24.10.2019, 02:13 (vor 1649 Tagen) @ Twindexx

Hallo!

Du schreibst (1):

Es hilft der Seilbahn aber wenig, wenn sie wegen Wind nicht fahren kann.


Ich dazu (1):
Völlig richtig; dies ist einer der Gründe, warum ich dagegen bin, ÖPNV-Seilbahnen als EUB auszuführen, sondern eine Ausführung als 3S-Bahn bevorzuge.

Eine EUB kann nur bis etwa 60 km/h Seitenwind fahren, aber eine 3S-Bahn bis etwa 100 km/h Seitenwind.

Die Tage, in denen mehr als 100 km/h Seitenwind herrscht, kann man jedoch im mitteleuropäischen Flachland zählen. Ich habe mal für München eine 10-Jahresanalyse gemacht, aus der nach den DWD-Daten hervorging, dass innerhalb von 10 Jahren lediglich an 2 Tagen die 3S-Bahn den Betrieb witterungsbedingt bei 100 km/h hätte einstellen müssen.

Als einmal, völlig unvorhergesehen in einer Unwetterzone bei Windgeschwindigkeiten von ca. 80 km/h aus dem Nichts während des Betriebs eine Windböe mit 147 km/h über die 3S-Bahn in Koblenz hinwegfegte, hat die 3S-Bahn das völlig unbeschadet überstanden, woraus sich ergibt, welche Reserven die 3S-Bahn hat.

Sind jedoch mehr als 100 km/h Windgeschwindigkeit im Anmarsch, dann wird normalerweise eingaragiert.

Wie extrem wichtig es ist bei 100 km/h Windgeschwindigkeit pro Fahrbahn zwei Tragseile zu haben, sieht man hier in Chamonix bei der Seilbahn auf die Aiguille du Midi, die, was ich bei dem Gelände absolut kirre finde, nur mit einem Tragseil pro Fahrbahn gebaut wurde:

https://www.youtube.com/watch?v=-gPBstF1DX4

In Deutschland wäre es völlig undenkbar, dass man beispielsweise die Seilbahn Zugspitze nur mit einem Tragseil pro Fahrbahn genehmigen würde.

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Und wer wirklich unbedingt darauf besteht, bei totalen Orkanböen koste es, was es wolle, unbedingt fahren zu wollen, der baut dann eben ein Funifor. Im ÖPNV wäre das aber totaler Schwachsinn, ein Funifor zu bauen. Ich persönlich halte es ja schon für eine Fehlentscheidung, auf das Schildhorn ein Funifor zu bauen. Meine Wahl wäre ganz klar eine 3S-Bahn in vier Sektionen mit Durchlaufbetrieb gewesen. Mit dem neuen Funifor stellt man übrigens einen neuen Weltrekord auf. Wenn die Bahn fertig ist, wird die erste Sektion eine Steigung von 58 Grad, also 160 % aufweisen.
Momentan fährt dort zwar eine einspurige Pendelbahn, die aber nicht für den allgemeinen ÖV offen ist. Aber 160 % Steigung ist auch für eine Seilbahn schon eine verdammt harte Nuss. Das BAV in Bern verlangt etliche Zusatzsicherungen:

https://www.youtube.com/watch?v=DoaFdSzDW9E


Du weiter (2):

Ich musste daher heute mein Programm umstellen. Trockener Steg-Kleines Matterhorn war wegen Wind ausser Betrieb. Die Gornergratbahn hat damit aber kein Problem. Hoffentlich ist dann am Freitag der Wind weg.


Ich dazu (2):

Das ist nicht ganz vergleichbar.

Der Gornergrat ist verhältnismäßig windgeschützt, da er von Osten, Süden und Westen durch eine Kette von Viertausendern sehr gut abgeschirmt ist und mit einer Höhe von 3089 m somit rund 1000 m niedriger liegt, als die ganzen Bergketten herum.

Ganz anders sieht die Situation am Kleinmatterhorn aus. Bei einer Westströmung jagen von Italien her über den Theodulpass und über Testa Grigia gewaltige Orkanböen nach Osten. Sowohl die Pendelbahn, als auch die 3S-Bahn, die mehrere hundert Meter über dem Gletscher schweben, müssen gegen völlig andere Luftverwirbelungen kämpfen, als eine am Boden fahrende Zahnradbahn, die zudem im verhältnismäßig windarmen Gebiet unterwegs ist.

Der kritische Knackpunkt bei der Pendelbahn ist die Stütze 3, wo anschließend eine Gegensteigung von 38 % erfolgt. Bei tosendem Sturm wird dann bei der Stützenüberfahrt auch mal von auf 3 m/s abgeregelt. In meterologischen Ausnahmefällen fährt man sogar nur mit 1 m/s über die Stütze 3.

Da das Kleinmatterhorn höher liegt als Testa Grigia, bekommt die in Nord/Süd-Richtung verlaufende Pendelbahn somit den Westwind mit voller Wucht ab. Es gab sogar schon einmal Situationen, wo die Italiener mit ihrer Pendelbahn auf die Testa Grigia ganz normal mit 12 m/s gefahren sind, aber auf Zermatter Seite alles stillstand. Die Seilbahn auf die Testa Grigia verläuft in West/Ost-Richtung und Längswind ist für die Seilbahn bei weitem weniger ein Problem als Querwind.

Hier der Blick vom Klein Matterhorn auf das 2,9 km lange freie Seilfeld der 100-PB bis zur Stütze 3. Bei einer Westströmung ist da die Hölle los; lässt man das Video weiter laufen bis 12:53, dann sieht man an der Doppelkuppe des Gornergrats, wie tief unten und windgeschützt der Gornergrat auf knapp über 3000 m liegt, wohingegen bei einer Westströmung auf dem Klein Matterhorn 800 m höher der Teufel los ist.

https://youtu.be/uMwaHa3NH3Y?t=12m6s

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass eine Zahnradbahn bis etwa 120 km/h Seitenwind fahren kann, d.h. sie ist gegenüber einer Pendelbahn und einer 3S-Bahn, die bis etwa 100 km/h Seitenwind fahren können, etwas im Vorteil. Allerdings relativiert sich der Vorteil auch wieder, weil unterhalb der Riffelalp links und rechts Bäume neben der Gornergratbahn stehen und bei 100 km/h - 120 km/h Seitenwind besteht ein ganz erhebliches Risiko, dass Zweige in die Oberleitung fliegen.

Um den Skifahrern auch bei Orkanen das Skifahren zu ermöglichen, hat man in Schottland mit der Standseilbahn Cairngorm eine Anlage geschaffen, die bei einer Spurweite von 2 Metern auch bei Windgeschwindigkeiten von 120 km/h ganz normal fahren kann. Da es dort keine Bäume gibt und auch die Standseilbahn keine Oberleitung hat, ist das technisch kein Problem, auch bei Orkan zu fahren. Ob man aber bei dem Wetter, wenn die Menschen im Freien umgepustet werden, wie die Fliegen, Wandern oder Skifahren will, ist dann eine andere Frage:

https://www.youtube.com/watch?v=NZWjCvFXS4Y

-Teil 2-


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