Der Mittwochsbahnhof, Teil 9.1 (Reiseberichte)
Moin.
Bahnhof und Altstadt liegen hoch überm Tal der Espolde. Leider auf unterschiedlichen Seiten.
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Espolde. Sollte man sie kennen, müßte man es nicht vielleicht sogar? Für Heimatforscher aus Nörten-Hardenberg und aus Hardegsen ist sie ein absolutes Muß. Denn der 16.100 Meter lange linke Nebenfluß der Leine durchfließt diese beiden Kommunen. Sie entspringt auf 311 Metern Höhe nahe dem Dorfe Espol. Zwischen Solling und Weper durchfließt sie Üssinghausen und Trögen. Dann atmet sie kurz den Duft der klein gewordenen großen weiten Welt, denn sie wird von der Sollingbahn unterquert. Der Dampf der schweren Güterzüge hat sich längst verzogen, auch langlaufenden Reiseverkehr sieht die Strecke nicht mehr. Alle zwei Stunden kommt der Bummelzug von Nordhausen nach Bodenfelde, alle zwei Stunden der Bummelzug von Bodenfelde nach Nordhausen. Dazu noch ein paar Züge für Schüler und Pendler. Das war es. Langweilig. Weiter fließt sie bergab. Hardegsen folgt, die größte Ansiedlung an ihrem Lauf. Hevensen, Wolbrechtshausen, Lütgenrode. Kleine Dörfer. Der Gestank der modernen Welt, die Autobahn von Flensburg nach Füssen. Und schon ist die Leine erreicht. Die Wasser vermischen sich und fließen gen Norden, wir aber kehren zurück zur Eisenbahn.
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Am 15. Januar 1878 wurde die Bahnstrecke zwischen Ottbergen, Bodenfelde und Northeim feierlich eröffnet. Das war schon 13 Jahre, nachdem es in der Region ein erstes Eisenbahnprojekt gegeben hatte. Das wollte die Hannöversche Südbahn bei Nörten-Hardenberg mit der Weser bei Karlshafen und der dortigen Bahnstrecke in Richtung Kassel verbinden. Zwei Jahre später, 1867, brachte die Bergisch-Märkische Eisenbahn (BME) die Idee einer Eisenbahn von Northeim über den Solling nach Karlshafen ins Spiel. Dieses Projekt modifizierte sie später zu einer Verbindung von Kreiensen über Einbeck quer durch den Solling nach Karlshafen. Diese Strecke wurde vermessen, die Konzession erteilt. Quer stellte sich der Preußische Landtag: Er verweigerte der BME ein Darlehen zum Bau der Strecke.
Die Städte am Südrand des Sollings zeigten seit 1869 Interesse an einer Eisenbahn, auch Preußen war mit von der Partie. Nach einer kriegsbedingten Unterbrechung kam Bewegung in die Sache, 1872 kamen zwei Linienführungen in die engere Wahl: Einmal eine Verbindung von Ottbergen über Bodenfelde, Uslar und Hardegsen nach Northeim. Nachteilig war, daß diese Linie weit nach Süden ausholte und dass ein Tunnel und eine Brücke über die Weser erforderlich waren. Alternativ war eine nördliche Linie vorgesehen. Diese sollte zwischen Höxter und Holzminden die bestehende Bahn verlassen und über Dassel nach Northeim führen. Für diese wären große Erdbewegungen erforderlich gewesen, auch hatte sie, abgesehen von Dassel, keinerlei Erschließungsfunktion. 1872 fiel die Wahl auf die Südvariante, 1873 wurde die Konzession erteilt. Besorgte St.-Florians-Wutbürger waren damals noch nicht erfunden, so daß noch im selben Jahr die Bauarbeiten begonnen. Die Frage des Anschlusses an die benachbarten Strecken war zwar noch nicht ganz klar, aber man legte schonmal los. Sicher nicht verkehrt, den Tunnel zu bauen geht nicht so schnell. Und davon waren es mittlerweile zwei. Der Ertinghäuser Tunnel (westlich von Hardegsen) war von Anfang an gesetzt, im Sinne einer geraderen Linienführung war nun auch einer zwischen Bodenfelde und Karlshafen dazugekommen. Die Arbeiten verliefen nicht frei von Problemen, es gab einige Tote. 1876 wurden beide Tunnel durchbrochen, im Herbst 1877 war die Strecke fast fertig. Mit der Eröffnung bestand eine vor allem im Güterverkehr bedeutende Direktverbindung zwischen dem Ruhrgebiet und dem Raum Halleipzig. Zwischen Ottbergen und Northeim verkehrten zunächst nur zwei Reisezugpaare. Anfangs eingleisig, wurde der schon beim Bau berücksichtige zweigleisige Ausbau der Strecke schon 1886 vollendet.
1891 verkehrte kurzzeitig ein Eilzugpaar Soest - Nordhausen, das jedoch mangels Inanspruchnahme schnell wieder aus dem Kursbuch verschwand. 1903 waren zwischen Northeim und Bodenfelde neun Züge unterwegs, zumeist Durchläufer Nordhausen - Ottbergen. Anfang der 30er Jahre wurde erneut ein Eilzugpaar über die Strecke geführt, sein Laufweg war Paderborn - Nordhausen. Im selben Jahrzehnt wurde auch ein Nachtschnellzug Düsseldorf - Dresden eingeführt, das den Weg über Hardegsen nahm. Es hielt zwischen Paderborn und Northeim nicht, die beiden Züge begegneten sich gegen 3:35 Uhr morgens irgendwo zwischen Hardegsen und Northeim (Sommer 1939). Nach dem Krieg lag vieles in Trümmern. Erst nach Wiederaufbau der Wehrdener Weserbrücke bestand wieder durchgehender Reiseverkehr, darunter ein Eilzugpaar Münster - Walkenried. Mit dem beginnenden Wirtschaftswunder und der wachsenden Motorisierung machte sich die zum Teil recht abseitige Lage der Bahnhöfe negativ bemerkbar, am dem Sommerfahrplan 1952 kamen daher im Nahverkehr neue Schienenbusse zum Einsatz. Ab den 1970ern wurden einzelne Halte aufgelassen, schwach nachgefragte Züge fuhren nicht mehr. Die Fahrzeuge und Zugläufe änderten sich. Mitte der 1980er und nochmals nach der Jahrtausendwende gab es Stillegungsabsichten, die jedoch abgewendet werden konnten. Seit 1988 wird der Abschnitt Ottbergen - Northeim nur noch eingleisig bedient. Gleichzeitig wurden die Zugläufe gekürzt, so daß Zugfahren durch notwendige Umstiege länger dauerten und unbequemer wurden. 1993 wurden die Züge der Strecke auf die Baureihe 628.4 umgestellt. Nach einer Ausschreibung wurden diese 2004 durch die Baureihe 648 abgelöst. Seit Dezember 2013 werden die Züge grundsätzlich in Bodenfelde gebrochen, da nunmehr die Verbindung Göttingen - Ottbergen stündlich gefahren wird.
Auch der Bahnhofs Hardegsen liegt eher abseits. Das Empfangsgebäude ist in Privatbesitz. Im April 1993 wurden die beiden mechanischen Stellwerke Ho und Hwf außer Betrieb genommen, 90 Jahre nach ihrer Inbebetriebnahme. Ins Fahrdienstleisterstellwerk zog das neue Stellwerk Hf ein. Seit Oktober 2008 ist der Bahnhof an das ESTW Göttingen angeschlossen. Stellwerk Hwf steht noch, Ho scheint abgerissen zu sein. Das Anschlußgleis, über das dem Zementwerk Braunkohlestaub zugestellt wurde, ist auch Geschichte. Kurzum: Ein Landbahnhof wie so viele andere.
(Die Schilderung der Streckengeschichte erfolgte überwiegend anhand Josef Högemann, Die Eisenbahn Altenbeken - Nordhausen. Nordhorn 1994.)
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Geht gleich weiter.