Immer derselbe Bahnhof, Teil 22.1 (Reiseberichte)
Moin!
Zu Beginn dieser Serie sorgte der Dienstag als Erscheinungstermin für Verwunderung. Das kann ich nachvollziehen. Der Grund für diese Entscheidung wird jetzt aufgelöst: Es ist der 31. Mai 1866. Genau heute vor 150 Jahren erhielt Neustadt in Holstein Eisenbahnanschluß, das letzte Ziel dieser Serie.
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Die Altona-Kieler Eisenbahn-Gesellschaft ist uns in den Bahnhofsportraits schon ab und an begegnet, als Bauherr der Christian VIII. Østersø Jernbane zwischen Altona und Kiel. Der größte Ort dazwischen ist Neumünster. Von dort aus wurde am 31. Mai 1866 eine Bahnstrecke über Ascheberg und Eutin nach Neustadt eröffnet und gleichentags auch die Verbindung Kiel - Ascheberg. Im Laufe der Zeit änderten sich die Verkehrswege, die durchgehenden Züge fuhren zwischen Kiel und Lübeck (Eutin - Lübeck 1873 eröffnet). Eutin - Neustadt hatte nur noch lokale Bedeutung. Im Sommer 1975 verkehrten hier noch sieben Zugpaare, darunter ein Eilzugpaar Neumünster - Neustadt. Allerdings wurden einzelne Güterzüge im Verkehr mit Skandinavien über diese Strecke geleitet. Am 22. Mai 1982 endete schließlich der Reiseverkehr, wenig später auch der Güterverkehr. Die Strecke wurde 1984/1985 abgebaut. Ein paar Bilder aus den letzten Jahren der Bahn - mitsamt dem allerletzten Zug - zeigt Horst Ebert.
Zweiter im Bunde war die heutige Vogelfluglinie, also die Verbindung zwischen dem Kontinent, Fehmarn und Skandinavien. Deren Geschichte ist ein wenig komplizierter, Skandinavien spielt anfangs keine Rolle: Am 30. September 1881 nahm die Kreis Oldenburger Eisenbahn (KOE) ihren Zugverkehr zwischen Neustadt und Oldenburg auf. Die Strecke wurde am 17. Januar 1898 über Lütjenbrode nach Heiligenhafen verlängert.
Lütjenbrode war Ausgangspunkt der Kleinbahn Lütjenbrode - Orth, die im Eigentum der KOE stand und am 23. Oktober 1903 den Betrieb zwischen Lütjenbrode und Großenbroder Fähre aufnahm, am 8. September 1905 auch zwischen Fehmarnsund, Burg und Orth. Die meisten Züge nach Fehmarn begannen in Heiligenhafen, später wurde bei Lütjenbrode ein Gleisdreieck gebaut. Die Betriebsführung der KOE lag anfangs bei der Altona-Kieler Eisenbahn-Gesellschaft. Nach deren Verstaatlichung übernahmen die jeweiligen Staatsbahnen die Aufgabe (mit ihren Fahrzeugen). Die Betriebsführung durch die Elmshorn-Barmstedt-Oldesloer Eisenbahn währte nur von 1924 bis 1931. Nun übernahm die KOE diese selbst und beschaffte auch eigene Fahrzeuge.
Am 1. Juni 1928 wurde endlich auch die direkte Verbindung zwischen Lübeck und Neustadt in Betrieb genommen. Das ist die sogenannte Bäderbahn, die die Badeorte an der Neustädter Bucht erschließt. Erste Pläne gab es 1887, diverse Gründe führten nicht zur Verwirklichung. Fünfundzwanzig Jahre später kamen die Parteien übereins, nun verhinderte der Weltkrieg den Bahnbau. 1919 begannen endlich die Arbeiten, nur um wenig später eingestellt zu werden. Am 1. Juni 1925 konnte endlich die erste Etappe in Betrieb genommen werden, von Bad Schwartau bis Timmendorfer Strand. Am 8. Juli wurde Scharbeutz erreicht, am 25. August Haffkrug. Noch bis Mitte Juni 1928 war ein Umstieg in Bad Schwartau erforderlich. Im Zusammenhang mit dem Bau der Bäderbahn sollte in Neustadt ein Durchgangsbahnhof für den Reiseverkehr entstehen, er wurde jedoch nie gebaut.
Die direkte Verbindung zwischen Hamburg und Kopenhagen verläuft über Fehmarn. Im Jahr 1863 wurde von dänischer Seite ein erstes Projekt für eine Eisenbahnverbindung auf dieser Strecke vorgelegt. Daraus wurde nichts, auch nicht aus Gedanken in den 1920ern. Nach der deutschen Besetzung Dänemarks wurde die Idee erneut aufgegriffen. Im Vorgriff auf den Bau wurde die KOE am 31. Juli 1941 verstaatlicht. Wenige Wochen später begannen die ersten Bauarbeiten für die Vogelfluglinie, die neben der Eisen- auch eine Autobahn umfassen sollte. 1943 mußten die Arbeiten abgebrochen werden. Für den Westen war nach der deutschen Teilung eine Fährverbindung nach Warnemünde nicht mehr sinnvoll. Ein Ausweichhafen wurde in Großenbrode gefunden, am 15. Juli 1951 wurde die Fährverbindung zwischen Großenbrode und Gedser in Betrieb genommen, vermutlich gleichzeitig das Gleisdreieck bei Lütjenbrode. Sie hatte natürlich Anschluß an die Eisenbahn, die KOE-Strecke war hierfür modernisiert worden.
1958 begannen dann die Arbeiten an der Vogelfluglinie, wie wir sie heute kennen. Diese wurde am 14. Mai 1963 in Anwesenheit beider Staatsoberhäupter feierlich eröffnet, der Fährverkehr von Großenbrode nach Gedser endete und auch das Trajekt über den Fehmarnsund war nun Geschichte. Schon am 2. Juni 1956 hatte der Reiseverkehr zwischen Burg und Orth geendet, Ende April 1963 war auch zwischen Fehmarnsund und Burg Schluß. Burg selbst erhielt jedoch per Gleisdreieck Anschluß an die Vogelfluglinie, noch bis zum Ende des Sommerfahrplans 1980 wurde der Kleinbahnhof durch einzelne Reisezüge bedient.
Der Güterverkehr auf Fehmarn ist schon lange Geschichte, am 1. Februar 1995 wurde das letzte Teilstück der Inselbahn stillgelegt. Jedoch wird Burg seit dem 31. Juli 2010 wieder von Reisezügen angefahren, der neue Haltepunkt liegt ein wenig nördlich des ehemaligen Bahnhofs. Die kurze Stichstrecke wird jenseits des Gleisdreiecks durch die AKN betrieben.
Der Reiseverkehr zwischen Lütjenbrode und Heiligenhafen wurde am 30. Mai 1976 eingestellt (der Sommerfahrplan 1975 nennt für Heiligenhafen nur noch den E 3121 Puttgarden - Lübeck mit Aufenthalt von 6:53 bis 7:01), Ende Oktober 1984 erfolgte die Einstellung des Güterverkehrs. Bereits am 1. Dezember 1968 waren die ersten Meter der KOE in Neustadt stillgelegt worden, Züge zwischen Neustadt und Fehmarn müssen seitdem im Neustädter Güterbahnhof Kopf machen. Die Eisenbahngeschichte in Neustadt ist zwar nicht gerade verworren, aber für Außenstehende doch schwer nachzuvollziehen. Hier zeigt Christoph eine Übersicht in Kartenform.
1997 endete der internationale Güterverkehr über Fehmarn, die Brücke über den Großen Belt ermöglichte nun das durchgehende Verkehren bis Kopenhagen. Der internationale Reiseverkehr beschränkt sich seit Dezember 2015 auf Züge der Relation Hamburg - Kopenhagen, neben ICE-D der Deutschen Bahn kommen auch deutschlandtaugliche IC3-Triebwagen der Dänischen Staatsbahnen zum Einsatz. Besonders im Sommer übersteigt die Nachfrage das dürftige Angebot. Neben dem geringen Fahrzeugbestand verhindert auch die Kapazität der Fähren, die nur noch über ein Gleis verfügen, längere Züge.
Derzeit laufen die Planungen für die Feste Fehmarnbeltquerung. Auf deutscher Seite ist eine Neubaustrecke in Autobahnähe vorgesehen. Mit Ausnahme von Neustadt, das weiterhin über eine Stichstrecke bedient werden soll, werden die Kurorte an der Neustädter Bucht dann ihren direkten Bahnanschluß verlieren. Der Tunnel zwischen Fehmarn und Lolland soll nach derzeitigen Stand 2024 fertiggestellt sein. Mal sehen, wie es dann mit den ergänzenden Maßnahmen auf deutscher Seite aussieht...
Der Regionalverkehr auf der deutschen Seite der Vogelfluglinie wird durch die DB-Tochter Regionalbahn Schleswig-Holstein betrieben. Die eingesetzten Triebwagen der Baureihe 648 fahren stündlich zwischen Lübeck und Neustadt und zweistündlich zwischen Lübeck und Puttgarden. Die Zugtrennungen finden hierbei im Güterbahnhof von Neustadt statt, in dem kein Fahrgastwechsel möglich ist. In Tagesrandlagen absolvieren einige Züge von/nach Fehmarn die Stichfahrt nach Neustadt. Neben den Regionalbahnen und den Fernzügen nach Dänemark verkehren saisonal einzelne IC-Züge nach Fehmarn und auch einzelne durchgehende Nahverkehrszüge zwischen Hamburg und der Inselstadt.
Neustadts Personenbahnhof besteht nur noch aus einem Gleis, einigen Gleisresten und dem Anschluß zur Bahnmeisterei. Der Güterbahnhof hat immerhin noch drei Gleise und verfügt über Formsignale.
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Neustadt wurde anno 1244 durch Graf Adolf IV. gegründet als „de Nyge Crempe, anders geheten Nyestad”. Und auch wenn sich der Name Neuenkrempe nicht durchsetzte, so heißt der Vorgängerort heute doch Altenkrempe. Er liegt nur wenig nördlich, am alten Bahnhof Hasselburg der Vogelfluglinie.
Neustadt war kein Mitglied der Hanse, das machte seinen Hafen für ausländische Kaufleute attraktiv. Im Mittelalter war gesalzener Hering ein beliebtes Exportgut der Region.
1864 wurde Neustadt österreichisch, nach dem Deutschen Krieg kam es zu Preußen. Am 3. Mai 1945 wurden nahe Neustadt die Cap Arcona, das einstige Flaggschiff der Hamburg Süd, und zwei andere Schiffe von britischen Flugzeugen angegriffen. Sie hielten die Schiffe für Truppentransporter. Hierbei starben etwa 7.000 an Bord befindliche KZ-Häftlinge, nur wenige überlebten. Neben weiteren Stätten erinnert der Ehrenfriedhof Cap Arcona am Strand bei Neustadt an das Geschehen.
Heute hat Neustadt in Holstein etwa 15.000 Einwohner und ist, wie auch andere Orte an der Neustädter Bucht, ein beliebtes Urlauberziel in den Sommermonaten. Die fahren mehrheitlich mit dem Auto, die Überquerung der Hauptstraße jenseits einer Ampel kann ein zeitaufwendiges Unterfangen sein. Jetzt gleich sind dann auch alle mit von der Partie, die den Text überscrollt haben.
Geht gleich weiter.