Fünfundzwanzig Jahre später, Teil 1 (50 Bilder), Abschn. 1 (Reiseberichte)
Guten Tag,
es ist bald 25 Jahre her, daß aus zwei deutschen Staaten einer wurde. Zeit also, sich dem Thema Wiedervereinigung auf der Schiene zu widmen: Ich möchte heute und in den kommenden Wochen die „Grenzbahnhöfe” der Strecken vorstellen, die heute Personenverkehr über die einstige innerdeutsche Grenze (ohne Berlin) anbieten. In einer früheren Serie wurde angeregt, doch auch mal in den Ort hineinzuschauen. Die Idee habe ich gerne aufgegriffen, soweit es der Zugfahrplan zuließ - denn wer weiß schon, wie es in Marienborn oder Mellrichstadt aussieht. Geplant ist, diese Serie im Wochenrhythmus jeweils sonnabends zu zeigen. Mit wenigen Ausnahmen entstanden alle Aufnahmen zwischen Juli und September 2015. Genug der Vorrede, kommen wir zur Einleitung.
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Im Jahre 1989 führten neun Bahnstrecken über die innerdeutsche Grenze, von denen zwei nur dem Güterverkehr dienten. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung sind es sechzehn, davon drei nur für den Güterverkehr. Die Mehrheit der 1945 unterbrochenen Strecken wurde allerdings nicht wiedereröffnet, bei den meisten von ihnen ist mehr als nur das grenzüberschreitende Teilstück von der Landkarte verschwunden. Ich werde sie und ihre Geschichte bei geographisch passenden Strecken kurz erwähnen, ebenso die heutigen Güterstrecken.
Meine Hauptquelle fürs Historische ist Ralf Roman Rossberg, Grenze über deutschen Schienen. Freiburg 1980 (also die Erstauflage). Daneben nutze ich auch andere Literatur, Kursbücher und Internetseiten.
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Wir beginnen unsere Reise in Schwanheide und Büchen. Die Bahnstrecke Berlin - Hamburg war die erste, die über die spätere innerdeutsche Grenze gebaut wurde: Am 15. Dezember 1846 wurde die Berlin - Hamburger Bahn vollständig in Betrieb genommen. Bereits seit 1842 bestand Verkehr zwischen Hamburg und Bergedorf, der Abschnitt Berlin - Boizenburg war am 15. Oktober 1846 dem Betrieb übergeben worden. Die Reise von der Spree an die Elbe dauerte anfangs 9 Stunden, im Jahr 2005 waren teilweise nur 90 Minuten vorgesehen. Die Bahnstrecke nahm im Deutschen Reich eine wichtige Rolle ein, auch die Rekordfahrten des Schienenzeppelins (230,2 km/h am 21. Juni 1931) und der 05 002 (200,4 km/h am 11. Mai 1936) fanden auf dieser Strecke statt. 1933 nahm die Reichsbahn den planmäßigen Betrieb mit Dieseltriebwagen auf, der Fliegende Hamburger ist sicherlich ein Begriff.
Nach 1945 dann der tiefe Fall. Die Vorkriegsfahrzeiten sollten erst gegen Ende des Jahrhunderts erreicht werden, die Strecke in der sowjetischen Zone wurde auf ein Gleis zurückgebaut. Im Rahmen der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit wurde die Strecke zunächst elektrifiziert und für 160 km/h ausgebaut sowie die Zweigleisigkeit wiederhergestellt. Seit dem 22. Mai 1997 bestand dann elektrischer Betrieb auf der Gesamtstrecke. Der nächste Umbau sollte nicht lange auf sich warten lassen. Nachdem im Jahr 2000 beschlossen wurde, keinen Transrapid zu bauen, wurde die Strecke für 230 km/h ertüchtigt.
Bereits 1958 wurde die Teilstrecke Hamburg - Bergedorf durch die Bundesbahn elektrifiziert, ebenso wie die Verlängerung bis Aumühle 1969 allerdings per Stromschiene für die Hamburger S-Bahn. Die wenigen Fern- und Güterzüge paßten dazwischen. Nach der Wende wurden S-Bahn und Fernbahn baulich getrennt.
Schwanheide ist ein kleines Dorf mit etwa 500 Einwohnern. 1560 wurde erstmals ein Meierhof erwähnt. Erst in der Mitte des 19.Jahrhunderts entstand aus ihm ein Dorf. Das erfuhr durch die Eisenbahn einen Aufschwung und wurde 1921 selbständig.
Das Dorf Büchen wurde anno 1230 erstmals erwähnt. Sein Bahnhof kam außerhalb auf der Flur des Dorfes Pötrau zu liegen. Hier kreuzt seit 1851 die Bahnstrecke Lüneburg - Lauenburg, die seit 1864 durch ein Trajekt und seit 1878 per Elbbrücke bis Lüneburg verlängert wurde. Mittlerweile ist um den Bahnhof Büchen herum ein neuer Ort entstanden, das alte Dorf liegt abseits und außerhalb.
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Die Berlin-Hamburger Eisenbahn erhielt im Jahr 1870 die Konzession für eine Strecke von Wittenberge nach Buchholz in der Nordheide. Sie führte bei Dömitz über die Elbe und weiter über Dannenberg und Lüneburg (wo man einen eigenen Bahnhof hatte). Eine anfänglich geplante Fortsetzung nach Bremerhaven wurde erst Jahre später gebaut, als die Bahn schon längst verstaatlicht war. Am 15. Dezember 1873 wurde die erste Teilstrecke von Wittenberge über Dömitz und Dannenberg bis Hitzacker eröffnet, am 31. Dezember 1874 ging die Reststrecke bis Buchholz in Betrieb. Die Dömitzer Brücke wurde am 2. April 1945 zerstört, am selben Tag endete auch der Reiseverkehr zwischen Wittenberge und Dömitz. Am 2. November 1947 endete auch der Güterverkehr, die Strecke wurde anschließend als Reparation abgebaut. Die Teilstrecke Dannenberg - Lüneburg ist noch in Betrieb, seit Dezember 2014 verkehrt hier Erixx im attraktiven Dreistundentakt.
Über die Dömitzer Brücke führte auch die Strecke von Ludwigslust nach Uelzen, beide teilten sich den Abschnitt Dömitz - Dannenberg Ost. Der Abschnitt Ludwigslust - Dömitz (am 27. Mai 2000 Einstellung des Reiseverkehrs, Stillegung 2001) wurde von der Friedrich-Franz-Eisenbahn erbaut, die Eröffnung fand um den Jahreswechsel 1889/1890 in zwei Etappen statt.
Zum Sommerfahrplan 1975 endete der Reiseverkehr zwischen Uelzen und Dannenberg. Erste Planungen begannen anno 1885, jedoch konnte diese Strecke erst 1924 fertiggestellt werden. Seit 1996 ist sie stillgelegt.
Hollenbek und Zarrentin sind die Bahnhöfe beidseits der Grenze auf der Strecke Hagenow Land - Ratzeburg, die am 15. August 1897 eröffnet wurde. 1939 verkehrten hier neben Nahverkehrs- und Eilzügen auch zwei tägliche Schnellzugpaare Berlin - Kiel. Nach Kriegsende hatte die Strecke noch eine gewisse Bedeutung, da bei Büchen kein Zugverkehr möglich war. Der Verkehr endete allerdings bereits im Herbst 1945.
Auf dem westdeutsche Abschnitt endete 1962 der Reiseverkehr. Mittlerweile ist hier auch der Güterverkehr schon lange Geschichte, zwischen Ratzeburg und Hollenbek gibt es heute eine Draisinenbahn. Der östliche Abschnitt zwischen Hagenow Land und Zarrentin ist noch erhalten, Personenzüge fahren nur noch bis Hagenow Stadt.
Ratzeburg muß ich nochmal erwähnen, denn hier begann mit der Strecke Ratzeburg - Klein Thurow der Ratzeburger Kleinbahn AG eine der beiden Bahnstrecken über die innerdeutsche Grenze, die schon vor der Teilung stillgelegt wurden.
Alles begann im Jahr 1903 mit einer kurzen Bahnstrecke zwischen Ratzeburgs Bahnhof und der Inselstadt. 1908 wurde sie über Groß Thurow nach Klein Thurow verlegt. Das war der letzte Ort im Lauenburgischen - eine Verlängerung nach Gadebusch findet sich nur auf der ziemlich langen „Liste der nie gebauten Bahnstrecken”. Die Wirtschaftskrise führte zum Ende: Ab dem 8. Oktober 1933 fuhren Busse und Ende März 1934 der letzte Güterzug. Im einstigen Einzugsbereich der Kleinbahn fand Ende 1945 eine Grenzkorrektur statt, seitdem kreuzt die Trasse die innerdeutsche Grenze nur noch ein- statt zweimal. Interessierte seien auf Wikipedia verwiesen und den dortigen Link zum Kreismuseum in Ratzeburg.
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Kehren wir zurück nach Büchen und Schwanheide. Das Angebot im Nahverkehr stellt heute der zweistündige Hanse-Express von DB Regio Nordost dar. Er verkehrt im Zweistundentakt zwischen Hamburg, Schwerin und Rostock. Eingesetzt werden Elloks der Baureihe 120 (derzeit in Umstellung auf Baureihe 182) mit Doppelstockwagen. Im Berufsverkehr verkehren zwischen Hamburg und Schwerin weitere Züge.
Die stündlichen ICEs Hamburg - Berlin sowie die zweistündlichen ICs Hamburg - Rostock halten weder in Büchen noch in Schwanheide. Während in Schwanheide gar kein Fernzug mehr hält, bestehen von Büchen aus immerhin noch einzelne EC-/IC-Verbindungen. Die weitesten Ziele sind Westerland und Budapest. Zum Fahrplanwechsel sollen die bisherigen Taktlücken geschlossen und die Verkehre wieder zum Zweistundentakt verdichtet werden. Die beiden von mir beobachteten Halte wurden ziemlich gut angenommen, es gibt Anschlüsse in/aus Lüneburg und Lübeck (DB Regio Nord, Stundentakt mit BR 648).
Geht gleich weiter.