Neues Zugsicherungssystem: RCAS (Allgemeines Forum)

Alphorn (CH), Dienstag, 28.06.2011, 10:58 (vor 4701 Tagen)

Das Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat sich in den Eisenbahnbereich gewagt und hat nach dem Vorbild des Luft-Kollisionswarnsystems TCAS ein ähnliches System für Bahnen entwickelt: RCAS.

Das Ding soll autonom seine Position bestimmen, mittels Videokamera auch das korrekte Gleis, und dann über Funk mit benachbarten Zügen kommunizieren, um drohende Kollisionen zu erkennen. Streckenseitige Installationen braucht es keine.

Meine Kritik: Viele Fehlerfälle werden durch dieses System nicht abgedeckt, zum Beispiel das Überfahren eines roten Signals vor einem nicht geschlossenen Bahnübergang oder eine auf Ablenkung gestellte Weiche, die nur mit viel geringerer Geschwindigkeit als der aktuellen befahren werden darf. Zudem ist die Zugvollständigkeit nicht garantiert, wenn also ein davor fahrender Zug einen Wagen verliert, fährt der folgende auf (ETCS Level 3 kämpft mit dem gleichen Problem). Und schliesslich ist das System erst einsetzbar, wenn 100% der Züge auf der Strecke damit ausgerüstet sind.

Meiner Meinung nach gibt es kaum Anwendungsgebiete für dieses System. Am ehesten wäre es auf relativ langsam befahrenen Nebenstrecken einsetzbar, aber dort gibt es noch simplere und vor allem billigere Alternativen: Es existiert ein "besser-als-nichts"-System (der Name ist mir grad entfallen), das allein mit GPS und GSM auskommt und für eingleisige Nebenstrecken absolut ausreicht.

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

deepfritz, Dienstag, 28.06.2011, 11:31 (vor 4701 Tagen) @ Alphorn (CH)

Nur ein kleiner Teilaspekt daraus:

Den Sinn der Zugintegritätsprüfung habe ich noch nie so richtig verstanden. Wenn im Zug irgendwo eine Kupplung reißt, wird doch ohnehin der ganze Zug gebremst.
Ist ja nicht so, dass da einfach ein Wagen "verloren" geht und der Rest fährt einfach weiter...

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

Anoj 1, Dresden (D) / Vbg. (A), Dienstag, 28.06.2011, 12:00 (vor 4701 Tagen) @ deepfritz

Hallo!

Nur ein kleiner Teilaspekt daraus:

Den Sinn der Zugintegritätsprüfung habe ich noch nie so richtig verstanden. Wenn im Zug irgendwo eine Kupplung reißt, wird doch ohnehin der ganze Zug gebremst.
Ist ja nicht so, dass da einfach ein Wagen "verloren" geht und der Rest fährt einfach weiter...

Was ist, wenn der Zug aus zwei Zugteilen besteht und der hintere liegen bleibt?

m b g,
Anoj

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

Frank Augsburg, Ansbach, Dienstag, 28.06.2011, 12:09 (vor 4701 Tagen) @ Anoj 1

Servus Anoj,

Was ist, wenn der Zug aus zwei Zugteilen besteht und der hintere liegen bleibt?

Das letzte Fahrzeug eines Zugverbandes muß gebremst sein, bzw. mindestens an die durchgehende HL angeschlossen, und wenn nicht gebremst, dann besetzt, um z. B. mit Hand- und/ oder direkter Bremse im Fall einer Störung die Kiste zum Stillstand zu kriegen. Da gibt es einen ganzen Eimer voller Vorschriften, unsere Betriebseisenbahner hier wissen da sicher mehr.

Und wenn das Stück dann in der Landschaft steht, sollte fahrwegseitig eine "Besetzt"- Meldung generiert werden, welche dann signaltechnisch wieder absichert, daß aus keiner Richtung ein Fahrzeug in den besetzten Abschnitt einfährt.

Beste Grüße
Frank

(Mahlzeit, i hob Hunga!)

--
"Die Ferne ist ein schöner Ort,
doch wenn ich da bin, ist sie fort.
Die Ferne ist wo ich nicht bin,
ich geh und geh und komm nicht hin."

(Silly, mit der leider viel zu früh verstorbenen Tamara Danz)

Zugintegritätsprüfung

Alphorn (CH), Dienstag, 28.06.2011, 12:31 (vor 4701 Tagen) @ deepfritz

Den Sinn der Zugintegritätsprüfung habe ich noch nie so richtig verstanden. Wenn im Zug irgendwo eine Kupplung reißt, wird doch ohnehin der ganze Zug gebremst.

Einige Problemfälle fallen mir ein: Erstens kommt es im Betrieb immer wieder mal vor, dass ein Bremsventil geschlossen gleibt und ein Teil der Wagen nicht mitbremst. Die könnten auch getrennt werden, ohne dass es auffällt. Zweitens haben Mehrfachtraktionen von Triebzügen glaube ich meist keine durchgehende Hauptleitung, da könnte der hintere Teilzug liegenbleiben, ohne dass der vordere gebremst wird. Drittens könnte es vielleicht Bedienerfehler geben: Ein Bauzug hängt einen Wagen ab und vergisst am Schluss, ihn wieder anzuhängen, wenn er weiterfährt.

Zugegeben, als ziemlich exotische Fälle.

Zugintegritätsprüfung

Frank Augsburg, Ansbach, Dienstag, 28.06.2011, 17:28 (vor 4701 Tagen) @ Alphorn (CH)

Servus,

kleine Richtigstellung:


... Erstens kommt es im Betrieb immer wieder mal vor, dass ein Bremsventil geschlossen gleibt und ein Teil der Wagen nicht mitbremst. Die könnten auch getrennt werden, ohne dass es auffällt.

Doch, das fällt auf, es sei denn, ausgerechnet am allerletzten Wagen fällt die Bremse aus und just in dem Augenblick reißt er so vom übrigen Zugverband, daß in allen anderen Wagen die HL- Luft erhalten bleibt (so eine Art spiegelbildlicher Vorarlberg- Effekt...)

Zweitens haben Mehrfachtraktionen von Triebzügen glaube ich meist keine durchgehende Hauptleitung, da könnte der hintere Teilzug liegenbleiben, ohne dass der vordere gebremst wird.

Nein. Wenn keine HL vorhanden ist, dann eine elektrische Sicherheitsschleife. Prinzip der gleichen Sicherheit... Ich meine, das gilt für den Fall der ungewollten Zugtrennung. Ist die Trennung gewollt, kann jeder beliebige Zugteil stehenbleiben, wo es verlangt wird.

Zugegeben, als ziemlich exotische Fälle.

Ja durchaus, zugegeben, aber eben nicht unmöglich, insofern liegst Du völlig richtig.

Viele Grüße aus Nürnberg
der Frank

--
"Die Ferne ist ein schöner Ort,
doch wenn ich da bin, ist sie fort.
Die Ferne ist wo ich nicht bin,
ich geh und geh und komm nicht hin."

(Silly, mit der leider viel zu früh verstorbenen Tamara Danz)

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

mrhuss, FKON, Dienstag, 28.06.2011, 12:40 (vor 4701 Tagen) @ deepfritz

Nur ein kleiner Teilaspekt daraus:

Den Sinn der Zugintegritätsprüfung habe ich noch nie so richtig verstanden. Wenn im Zug irgendwo eine Kupplung reißt, wird doch ohnehin der ganze Zug gebremst.
Ist ja nicht so, dass da einfach ein Wagen "verloren" geht und der Rest fährt einfach weiter...

Es kann trotzdem passieren, dass, aus welchem Grund auch immer, das mal versagt. Trotzdem ist in Zeiten von Gleisbesetztmeldern und Achszählern die Vollständigkeitsprüfung eher historischer Natur. Das stammt aus einer Zeit, wo von den Fahrdienstleitern noch per Sichtkontrolle geprüft wurde, ob der Zug vollständig ist. Aber trotzdem darf deswegen auch heute noch ein Zug nicht weiterfahren, wenn beide Schlusslichter ausgefallen sind und keine Zugschlussscheibe zur Hand ist.

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

ice-t-411, Dienstag, 28.06.2011, 18:12 (vor 4701 Tagen) @ deepfritz

Hi!

Bei einem langen Güterzug kann es durchaus vorkommen, dass ein Zugteil verloren geht ohne das der Zug effektiv gebremst wird. Zwar reißt zunächst die Hauptluftleitung, aber da diese bei Güterzüge u.U. dauerhaft Luft verliert und vom Kompressor kann es passieren, dass der Triebfahrzeugführer die gerissene HLL gar nicht oder erst mit großer Verzögerung erkennt.

Weiterhin kann der Zug zwar langsam abbremsen, der (oder die) verlorene Wagen steht aber in einem anderen Signalabschnitt. Das kann nur sicher durch Achszähler erkannt werden.

Anzumerken wäre da noch ein Unfall in Österreich letztes Jahr, bei dem ein Zug nahezu ungebremst in einer Kurve entgleiste, weil die HLL abgenkickt war und deshalb nur die Lok und die ersten Wagen bremsten. In so einem Fall wäre eine Zugtrennung auch nicht aufgefallen.

Gruß
Johannes

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

Steffen, Dienstag, 28.06.2011, 12:32 (vor 4701 Tagen) @ Alphorn (CH)

Ich würde sagen, in einem Computer ist ein paralleler Gleisplan abgebildet, wo die ganzen Bremspunkte definiert sind. Der Zug meldet dann also per Funk "ich bin an Pos (x,y), rechtes Gleis", der Computer schaut nach und sagt "Zug, hier darfst Du höchstens 40 fahren" und der Zug prüft das und reagiert entsprechend. So müsste man quasi jede Situation ohne feste Installation abbilden können.

Eine andere Sache ist das Besetztmelden von Gleisen - aber warum nich weiterhin klassische Gleisbesetztmelder verwenden? Zwar ist die Strecke dann nicht mehr ganz "ohne Installation", aber der Aufwand dürfte sich erheblich reduzieren. Weichenrückmelder etc. müssen ja auch installiert werden!

Wie bei jedem eigenständigen Zugsicherungssystem (z.B. ETCS) müssen entweder alle Fahrzeuge damit ausgerüstet sein, oder man muss noch eine Parallel-Infrastruktur aufbauen.

Ich denke für Bahnen im Inselbetrieb (Nebenbahnen oder Industriebahnen) dürfte dieses System interessant sein, für die "große" Bahn eher nicht - da muss ja jetzt ETCS her.

--
[image]

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

mrhuss, FKON, Dienstag, 28.06.2011, 12:38 (vor 4701 Tagen) @ Alphorn (CH)

Meiner Meinung nach gibt es kaum Anwendungsgebiete für dieses System. Am ehesten wäre es auf relativ langsam befahrenen Nebenstrecken einsetzbar, aber dort gibt es noch simplere und vor allem billigere Alternativen: Es existiert ein "besser-als-nichts"-System (der Name ist mir grad entfallen), das allein mit GPS und GSM auskommt und für eingleisige Nebenstrecken absolut ausreicht.

ERTMS Regional heißt das. Ist ein ETCS Level 3 System was zur Zeit auf einer Nebenstrecke in Schweden eingesetzt wird.

ETCS Level 3

Mecki, Mittwoch, 29.06.2011, 20:08 (vor 4700 Tagen) @ mrhuss

Meiner Meinung nach gibt es kaum Anwendungsgebiete für dieses System. Am ehesten wäre es auf relativ langsam befahrenen Nebenstrecken einsetzbar, aber dort gibt es noch simplere und vor allem billigere Alternativen: Es existiert ein "besser-als-nichts"-System (der Name ist mir grad entfallen), das allein mit GPS und GSM auskommt und für eingleisige Nebenstrecken absolut ausreicht.


ERTMS Regional heißt das. Ist ein ETCS Level 3 System was zur Zeit auf einer Nebenstrecke in Schweden eingesetzt wird.

Fast richtig, ETCS Level 3 bzw. das ETCS-Level-3-System ERTMS Regional dürfte eigentlich kein GPS verwenden. Der Zug meldet seine Position anhand der verlegten Balisen. GPS soll allerdings u.a. beim 'Positive Train Control Anwendung' finden.

Zur Zugintegritätsprüfung sagt Wikipedia:
"Bei ETCS Level 3 wird auf eine klassische, ortsfeste Gleisfreimeldung (mit Gleisstromkreisen oder Achszählern) verzichtet. Deren Sicherheitsfunktion gegen abgetrennte und unerkannt auf der Strecke verbleibende Zugteile wird von einem zu entwickelnden System zur Zugvollständigkeitskontrolle übernommen.

Damit entfällt die Einteilung der Strecke in Blockabschnitte, sodass die Streckenzentrale, in der Stellwerk und RBC integriert sind, fließend die Abstände der Züge kontrollieren kann, bis hin zum Fahren im relativen Bremswegabstand. Dieses ermöglicht eine höhere Auslastung viel befahrener Hauptstrecken."

Gruß
Mecki

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

Alphorn (CH), Donnerstag, 30.06.2011, 09:40 (vor 4699 Tagen) @ mrhuss

Es existiert ein "besser-als-nichts"-System (der Name ist mir grad entfallen), das allein mit GPS und GSM auskommt und für eingleisige Nebenstrecken absolut ausreicht.


ERTMS Regional heißt das. Ist ein ETCS Level 3 System was zur Zeit auf einer Nebenstrecke in Schweden eingesetzt wird.

Nein, es ist deutlich primitiver. ETCS L3 hat Balisen zur Positionierung und kann den Zug stoppen, beides fehlt beim erwähnten Primitivsystem. Ist nur etwas für kleine Nebenbahnen mit Inselbetrieb.

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

Fabian318, Münster i. W., Donnerstag, 30.06.2011, 09:42 (vor 4699 Tagen) @ Alphorn (CH)

Ist nur etwas für kleine Nebenbahnen mit Inselbetrieb.

Und für hochfrequente Netze - im Wesentlichen aber auch nur im Inselbetrieb, weil dort dann die entfallenden Blockabschnitte voll zur Wirkung kommen, zum Beispiel die S-Bahn München.

Neues Zugsicherungssystem: RCAS

Frank Augsburg, Ansbach, Dienstag, 28.06.2011, 12:59 (vor 4701 Tagen) @ Alphorn (CH)

Servus,

das klingt ja alles schön und gut, was da über RCAS zu lesen ist, aber kann es sein, daß die Entwickler einen ganz wesentlichen Punkt schlicht übersehen? Während es Flugzeugen und Schiffen jederzeit möglich ist, in praktisch 4 Richtungen "vom Wege abzukommen" (oben/ unten/ links/ rechts), stelle ich mir diese Freiheiten beim Schienenfahrzeug einigermaßen schwierig vor.
Und selbst wenn es möglich sein sollte, gleisgenau zu kommunizieren, so tritt das RCAS, wenn ich es richtig verstanden habe, erst in Aktion, wenn beide Züge kapiert haben, daß sie auf ein- und demselben Fahrweg aufeinander zu marschieren. Dann erlaube ich mir mal die Frage, was passiert, wenn RCAS versagt? Welche Instanz verhindert in dem Fall, daß die Kollisionsfahrt quasi erlaubt wird (man hat ja RCAS), genau selbige Kollision? Denn die herkömmliche Zugsicherung (sofern vorhanden), will ja genau den geschilderten Fall ausschließen: nämlich daß trotz aller stellwerksseitigen Absischerungen ein Konflikt auftritt - quasi als Doppelabsicherung genau an den Punkten, wo die letzte Fahrweg- oder Fahrzeitabweichung möglich wäre. Das würde aber im Umkehrschluß bedeuten, daß Strecken ohne PZB grundsätzlich ungesichert sind, so wie es der Artikel und anscheinend RCAS auch selber voraussetzt. Davon aber kann keine Rede sein, es fehlt "lediglich" eine überwachende Instanz.
Ich wüßte nicht, welches Äquivalent es in der Schiff- und Luftfahrt dafür gäbe.

Oder sehe ich das grundsätzlich verkehrt?

Viele Grüße aus Nürnberg Ost
Frank

(der zwei marinierte Heringe intus hat, unter diesen Umständen viel zu träge zum Arbeiten ist und deswegen erstmal spazieren geht - Gleitzeit sei Dank...)

--
"Die Ferne ist ein schöner Ort,
doch wenn ich da bin, ist sie fort.
Die Ferne ist wo ich nicht bin,
ich geh und geh und komm nicht hin."

(Silly, mit der leider viel zu früh verstorbenen Tamara Danz)

RSS-Feed dieser Diskussion
powered by my little forum