Die Verbindung Berlin – Wien im Wandel der Zeit (Teil 1) (Allgemeines Forum)

lokuloi, Donnerstag, 25.12.2025, 09:25 (vor 9 Stunden, 11 Minuten)
bearbeitet von lokuloi, Donnerstag, 25.12.2025, 09:27

Die Bahnverbindung Berlin – Wien: Auf Schienen durch die Geschichte

Die Verbindung Berlin – Wien ist aus mehreren Gründen interessant und deshalb lohnenswert sie sich im Laufe der Zeit und Geschichte genauer anzusehen.

Es ist die Verbindung zwischen den seit über 250 Jahren und damit auch im gesamten Zeitraum der Industrialisierung größten beiden deutschsprachigen Städten. Im “goldenen Zeitalter“ des Aufstiegs der Eisenbahn im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert waren es die Städte Nr. 4 und 5 weltweit (1870) bzw. kurz vor Beginn des 1. Weltkriegs gegen 1910 immer noch die 5.- und 6.-größte Stadt der Welt mit jeweils über 2 Millionen Einwohnern [1] Zugleich waren sie auch jeweils unumstrittenes Zentrum des Deutschen-Reichs und von Österreich-Ungarn.

Aus eisenbahntechnischer Sicht ist vor allem die Vielzahl der Routen zwischen den beiden Städten, die im Laufe von inzwischen deutlich über 100 Jahren befahren wurden, bemerkenswert.

Und nicht zuletzt war diese Verbindung auch von allen drei einschneidenden Veränderungen des 20. Jahrhunderts, also vom 1. und 2. Weltkrieg sowie der „Wende“ von 1989 stark beeinflusst.

Aber wann hat alles begonnen?

Die erste durchgehende Schienenverbindung zwischen Berlin und Wien gab es ab 1848, also bereits 13 Jahre nach der ersten Bahnstrecke in Deutschland. Am 1. September erreichte die preußische Wilhelmsbahn Oderberg (Bohumin). Die österreichische Kaiser-Ferdinands-Nordbahn erreichte von Wien kommend bereits 1847 die Grenzstadt. [2]

Am 8. April 1851 erreichte die k.k. Nördliche Staatsbahn die Landesgrenze Österreich – Sachsen nördlich von Bodenbach (heute der linkselbische Ortsteil von Decin) und stellte die Verbindung zum sächsischen Netz her. Damit war ab da auch die Verbindung über Brünn, Prag und Dresden durchgehend befahrbar, zwischen Berlin und Dresden damals noch ausschließlich über Falkenberg. [2]

1874 erreichte schließlich auch die österreichische Nordwestbahn die sächsische Grenze, zu diesem Zeitpunkt dann auch schon die Grenze zum gerade einmal drei Jahre alten Deutschen Reich. Sie führte über Iglau östlich an Prag vorbei und dann rechtselbisch bis Tetschen (heute Decin) und stellte dort dann den Anschluss an die schon bestehende linkselbische Strecke her. [4] Diese stellte damit die kürzeste Verbindung zwischen Wien und Berlin dar.

Leider lässt sich nicht herausfinden wann der erste durchgehende Zug zwischen Berlin und Wien fuhr und wie sich diese Verbindungen entwickelte, was Fahrzeit und Anzahl der Verbindungen betrifft.

Der erste umfangreiche Fahrplan, der dazu online auffindbar ist, ist der „Henschels Telegraph“ aus dem Mai 1914 [5]. Es stellt damit quasi den Höhepunkt der Verbindung am Vorabend des 1. Weltkriegs dar. Zu dieser Zeit gab es 11 tägliche Wagendurchläufe (teilweise Kurswagen) von Berlin nach Wien.

Von den 11 Verbindungen begannen 7 am Anhalter Bahnhof und 4 auf der Stadtbahn. In Wien war die Bahnhofsvielfalt noch größer. Die Züge aus Berlin kamen an 4 verschiedenen Bahnhöfen an: am Nordbahnhof, am Ostbahnhof, am Nordwestbahnhof und am Franz-Joseph-Bahnhof.

Einen Überblick über die Verbindungen liefert folgende Tabelle:

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Bei den an der Stadtbahn beginnenden Zügen ging es routentechnisch einfach und übersichtlich zu: alle 4 Zügen nutzten den Weg über Breslau und Oderberg, der damit die am häufigsten genutzte Route war. Ganz anders war es bei den am Anhalter Bahnhof beginnenden Zügen: die 7 Züge nahmen sage und schreibe 6 verschiedene Wege auf ihrem Weg in die Kaiserstadt an der Donau.

Als Hauptwege gab es einmal den direkten Weg über Dresden, Lissa (tschechisch: Lysa) und Iglau (heute: Jihlava), der 3-mal am Tag bedient wurde. Wobei hier zwar im Telegraph „Lissa“ unter „über“ angegeben wurde, aber nur einer der drei Züge auch tatsächlich dort hielt.

Ebenfalls 3 Verbindungen fuhren über Dresden, Prag/Praha und Brünn/Brno, aber nur 2 davon weiter über Lundenburg (heute Breclav) weiter zum Nordbahnhof; einer nutze ab Brünn den Weg über Laa zum Ostbahnhof.

Und nur ein Zugpaar am Tag fuhr von Prag aus weiter über Gmund zum Wiener Franz-Josephs-Bahnhof.

Da auch nördlich Dresdens munter zwischen den beiden Strecken über Falkenberg und Elsterwerda abgewechselt wurde, gab es am Ende 6 verschiedene Laufwege für die 7 Züge. Eine Besonderheit stellte die Abfahrt um 8:03 am Anhalter Bahnhof dar. Hier fuhren zwei Züge vereint als D 62 bis Schandau. Ein Teil fuhr weiter nach Bodenbach und dann weiter über Prag und Brünn als Zug 306, der andere Teil nach Tetschen und weiter über Iglau als Zug 4. Eine Trennung ist aus dem damaligen Fahrplan nicht ersichtlich, die Abfahrt im Schandau ist noch vereint und zeitgleich, als nächsten halten sie auch fast zeitgleich jeweils in Bodenbach und Tetschen. Die Trennung muss also unterwegs an einem Betriebshalt erfolgt sein, z.B. in Mittelgrund (heute: Prostřední Žleb)

Am schnellsten war der Nachtzug über Dresden- Iglau, der die Strecke in unter 12 Stunden schaffte. Ebenfalls recht schnell unterwegs mit ca. 12 ½ Stunden war ein Nachtzug über Breslau – Oderburg und ein weiterer nächtlicher Zug über Dresden und Iglau. Die Züge, die tagsüber fuhren, waren generell etwas länger unterwegs, da sie sehr oft hielten. Es gab auch Züge über Nacht die ebenfalls sehr oft hielten, auch mitten in der Nacht. Nicht alle Züge, die die Strecke über Nacht fuhren, führten auch Schlafwagen mit, die beiden schnellsten allerdings schon. Sie waren damit sicherlich die prestigeträchtigsten Züge auf dieser Strecke.

Am langsamsten waren die Züge über Prag und Brünn, die allesamt mehr als 14 ½ Stunden brauchten, sowie ein Zug über Breslau und Oderberg, der zwischen Charlottenburg und Wien Nordbahnhof sage und schreibe 36 mal hielt!

Die befahren Routen sind im Folgenden in einer Karte dargestellt:

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(zum Vergrößern anklicken)

Und zum Abschluss dann noch Fahrplantabellen zur Veranschaulichung:

Die Route über Breslau – Oderberg ist recht übersichtlich gestaltbar:

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Die Routen, die über Dresden führen, und dann auf verschiedenen Strecken in Richtung Wien weiterführen sind schon etwas komplexer:

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Quellen:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_gr%C3%B6%C3%9Ften_deutschen_St%C3%A4dte#Die_gr%...
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kaiser_Ferdinands-Nordbahn#Bau_der_Stammstrecke
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstrecke_D%C4%9B%C4%8D%C3%ADn%E2%80%93Dresden-Neustadt...
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichische_Nordwestbahn#Erg%C3%A4nzungsnetz_(Ne...
[5] https://www.deutsches-kursbuch.de/1914/894_hoch.htm


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