Mit ES 453 von Brüssel nach Berlin - ein Reisebericht (Reiseberichte)

Destear, Berlin, Donnerstag, 11.12.2025, 11:18 (vor 4 Tagen)
bearbeitet von Destear, Donnerstag, 11.12.2025, 11:21

Hallo in die Runde,

das mit den Fotos können andere Nutzerinnen und Nutzer hier besser als ich - deshalb bleibt es bei meinem Reisebericht beim bloßen Text, der vielleicht und hoffentlich den ein oder anderen interessiert.

Anfang November stand für mich eine Fahrt mit dem European Sleeper (ES 453) von Brüssel nach Berlin auf dem Programm. Schon im Vorfeld passierte mir ein kleines Missgeschick: Beim Buchen hatte ich mich vertan und statt ab Brüssel versehentlich ab Antwerpen reserviert. Die Reaktion von European Sleeper darauf war überraschend kulant – unkompliziert wurde mir ermöglicht, trotzdem schon in Brüssel einzusteigen. Ein sehr angenehmer Auftakt.

Gebucht hatte ich ursprünglich ein Classic-Privat-Abteil im Liegewagen, also ein Fünf-Liegen-Abteil zur alleinigen Nutzung. Etwa zehn Minuten vor Abfahrt stand der Zug bereits am Bahnsteig, ein bunter Exot zwischen den Standardzügen anderer Betreiber: alte Wagen unterschiedlicher Herkunft, dazwischen die silbernen Schlafwagen mit ihrem herrlich aus der Zeit gefallenen Äußeren. Der erste Eindruck war eine Mischung aus Nostalgie und Neugier.

Ganz klassisch mit heruntergelassenem Fenster ging es los. Das Liegewagenabteil selbst war sauber und in Ordnung, aber eben auch deutlich in die Jahre gekommen – ein wenig betulich, es roch nach Heizung und ganz allgemein so, wie ältere Züge eben riechen. Kurz nach Abfahrt gab es eine freundliche Begrüßungsansage samt Hinweis auf mögliche Upgrades in den Schlafwagen.

Der Check-in durch den Zugbegleiter war ausgesprochen professionell: digital, effizient und gleichzeitig sehr freundlich. Beim Probeliegen stellte ich allerdings fest, dass die Liege für mich doch zu hart war. Also erkundigte ich mich nach einem Upgrade. Der Zugbegleiter holte den Zugchef hinzu, der mir in angenehm niederländisch gefärbtem Deutsch sein Angebot vorstellte: 50 EUR für ein 3er-Abteil bzw. 100 EUR für ein Single-Abteil im Schlafwagen. Ich entschied mich für Letzteres – man gönnt sich sonst nichts – und wurde vom Personal direkt in mein neues Abteil geschickt. Alles wirkte eingespielt und ausgesprochen serviceorientiert.

Im Schlafwagen angekommen, fühlte ich mich um mehrere Jahrzehnte zurückversetzt. Der Wagen soll in den 1990er-Jahren ein Redesign erfahren haben, die merkwürdigen Pastellfarben tragen ihren Teil zum Retro-Charme bei. Kultig ist das richtige Wort. Das Abteil wirkte wie auch der ganze Wagen wirklich richtig alt, aber in seiner Eigenart stimmig. Der Stewart klappte das Bett für mich herunter; währenddessen stellte sich heraus, dass die Rollos der Fenster nicht hielten und immer wieder hochschnappten. Auch hier wurde ohne Bürokratie und Diskussion sofort reagiert: Ich erhielt ein anderes Abteil. Der gesamte Wagen schien sehr leer zu sein – möglicherweise war ich allein an Bord dieses Wagens, denn gehört oder gesehen habe ich sonst niemanden.

Die Laufruhe des Schlafwagens ließ allerdings zu wünschen übrig. Dazu kam, dass es im Abteil kein Wasser am Waschbecken gab und die Toiletten im Schlafwagen außer Betrieb waren. Angeblich seien sie auf der befahrenen Strecke nicht nutzbar gewesen – ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Da zugleich im Liegewagen ebenfalls einzelne Toiletten defekt waren, bedeutete das teils längere Wege durch einen recht stark ruckelnden Zug. Die Toiletten selbst waren im übrigen immer sauber, abends und morgens.

Ab einem bestimmten Bahnhof konnte man per QR-Code Snacks und Getränke bestellen; die Preise wirkten vernünftig. Ich habe den Service aber nicht genutzt und mich direkt schlafen gelegt. Die Matratze war in Ordnung, das Bettzeug sauber und angenehm – und trotz des Gerumpels konnte ich nahezu durchschlafen, bis ungefähr eine Stunde vor Berlin.

Kurz vor Ankunft wurde im Schlafwagen das inkludierte Frühstück verteilt: eine Box mit Heißgetränk, Saft und kleinen Speisen (Brötchen, Cracker, Butter, Frischkäse, Aufstriche wie Nutella usw.). Praktisch zusammengestellt, sodass man sie problemlos mitnehmen kann.

Fazit:
Der Zug traf pünktlich um 6:16 Uhr in Berlin ein. Der Service und die Freundlichkeit des Personals lagen deutlich über dem, was man im europäischen Nachtzugbetrieb sonst häufig erlebt. Die Fahrzeuge sind unbestreitbar alt, aber European Sleeper kommuniziert genau das – retro inclusive.

Der Preis für mein ursprüngliches Privatabteil im Liegewagen belief sich auf 239,99 EUR (Easy Night, nicht stornierbar). Mit dem Upgrade von 100 EUR lag die Gesamtinvestition also bei 339,99 EUR für eine Nacht im Einzelabteil des Schlafwagens. Angesichts dessen, dass vergleichbare ÖBB-Nachtzugangebote zwischen Berlin und Brüssel früher eher Richtung 500 EUR tendierten, fand ich den Preis gerade noch angemessen.

Die frühe Ankunftszeit ist anspruchsvoll, kann aber für Geschäftsreisende sogar ein Vorteil sein. Wer den Zug bis Prag nutzt, dürfte dank der späteren Zeiten sicherlich eine entspanntere Nacht verbringen.

Würde ich das wieder so machen? Ja. Für mich war es ein schönes Erlebnis – nicht luxuriös, aber charmant, authentisch und getragen von beeindruckend gutem Personal.

Man sollte wissen, auf was man sich einlässt, und eine gewisse Affinität zu Nachtzügen mitbringen. Ich wünsche European Sleeper jedenfalls Erfolg und hoffe, dass die wirtschaftliche Basis bald groß genug ist, um perspektivisch auch moderneres Rollmaterial einsetzen zu können.

Der nachtverkehrliche Anschluss Brüssel–Berlin hängt inzwischen ja ausschließlich an diesem Unternehmen – umso mehr hoffe ich, dass dieses Angebot langfristig Bestand hat.

Mit ES 453 von Brüssel nach Berlin - ein Reisebericht

bahnfahrerofr., Donnerstag, 11.12.2025, 14:43 (vor 4 Tagen) @ Destear

Danke für den Erfahrungsbericht.
Schön, dass sie wenigstens gutes Personal haben - da mangelt es bei den ÖBB Zügen nämlich gewaltig.

Nicht immer mangelts da ;)

Matze86, München, Donnerstag, 11.12.2025, 16:10 (vor 4 Tagen) @ bahnfahrerofr.

- kein Text -

Mit ES 453 von Brüssel nach Berlin - ein Reisebericht

sflori, Donnerstag, 11.12.2025, 14:48 (vor 4 Tagen) @ Destear

Danke auch von mir. :) Schöne Ergänzung zu dem Investitionsthema!
https://www.ice-treff.de/index.php?id=722743


Bye. Flo.

Mit ES 453 von Brüssel nach Berlin - ein Reisebericht

Lötschberger, Freitag, 12.12.2025, 10:01 (vor 3 Tagen) @ Destear
bearbeitet von Lötschberger, Freitag, 12.12.2025, 10:03

Danke für den aussagekräftigen Bericht. Schön, dass die kürzlich für Juni 2025 angekündigte neue ES Verbindung Brüssel/Amsterdam - Mailand über Bern fahren soll. Dann habe ich auch mal die Chance, das Retro-Feeling zu erfahren. ;)

Geschäftsreisende ohne Duschmöglichkeit + Takt + Buchung

BGSMH, Sonntag, 14.12.2025, 11:11 (vor 1 Tag, 4 Stunden, 11 Min.) @ Destear
bearbeitet von BGSMH, Sonntag, 14.12.2025, 11:13

"Die frühe Ankunftszeit ist anspruchsvoll, kann aber für Geschäftsreisende sogar ein Vorteil sein."

Wobei man hier kritisch anmerken muss, dass das Produkt für Geschäftsreisende alles andere als ideal ist, weil es ja selbst im Schlafwagen bei ES keine Duschmöglichkeit gibt. Zumindest meine Kurzrecherche für Berlin Hbf hat auch keine Duschmöglichkeiten im Bahnhof hervorgebracht. Das dürfte für die meisten also nicht funktionieren. Und ja, bestimmt gibt es ein paar hartgesottene die auch ungeduscht zum Geschäftstermin erscheinen, aber für den Großteil funktioniert das nicht.

Das weitere Problem ist für Geschäftsreisende, dass der Zug nicht täglich verkehrt. Also im Geschäftsumfeld werden ja in der Regel Termine gefunden die allen passen und dann die Reise gebucht. Zumindest Anfang Januar 2026 fährt der Zug ja nur 2x die Woche.

Das nächste Thema ist, dass in Firmen die Dienstreisen in der Regel über interne Dienstreisenbuchungsportale gebucht werden. Wenn ES hier nicht integriert ist, wovon auszugehen ist, funktioniert das schon gar nicht. Und je nach Unternehmen gibt es auch Wege das außerhalb des Buchungstools zu buchen, aber wenn dann der Nachtzug noch teurer als das Vergleichsangebot im Buchungsportal ist, dann muss der Mitarbeiter schon sehr hartgesotten sein um das durchzubekommen.

Fazit: Ich wünsche ES alles Gute, aber auf das Geschäftsreisendensegment dürfen sie nicht bauen. Was natürlich ein erhebliches Problem darstellt, weil das Segment im Fernverkehr und im Flugzeug eigentlich das Segment ist, woher die Margen kommen.

Zuletzt noch zum Preis: Habe jetzt auch mal für den 8. und 9. Januar geschaut und komme da auf das "Single" im Liegewagen hin und zurück auf 550 Euro. Also ne ähnliche Region wie bei dir. Puh. Ob das ausreichend Kundengruppen jenseits von Eisenbahnenthusiasten und gutverdienenden "Klimaschützern" anspricht?

Geschäftsreisende ohne Duschmöglichkeit + Takt + Buchung

JeDi, überall und nirgendwo, Sonntag, 14.12.2025, 11:30 (vor 1 Tag, 3 Stunden, 52 Min.) @ BGSMH

Zumindest meine Kurzrecherche für Berlin Hbf hat auch keine Duschmöglichkeiten im Bahnhof hervorgebracht. Das dürfte für die meisten also nicht funktionieren.

Laut https://www.wc-fresh.com/#section-c58 gibt’s Duschen, ich habe die auch schon genutzt, ist aber etwas her. Und im Zweifel kann man ja abends zu Hause duschen.

--
Weg mit dem 4744!

Gibt wohl doch Duschen in Berlin Hbf!

BGSMH, Sonntag, 14.12.2025, 11:45 (vor 1 Tag, 3 Stunden, 37 Min.) @ JeDi
bearbeitet von BGSMH, Sonntag, 14.12.2025, 11:45

Danke für die Ergänzung! Habe auch vor einiger Zeit WC Fresh zum Duschen in München Hbf genutzt und war zufrieden.

Vom Produkt her natürlich trotzdem nicht einfach. Also meine Kurzrecherche hatte mir das nicht gezeigt. Hatte die WC Fresh Seite schon gescannt, aber war nicht auf der Kartenansicht, wo man ja dann im Kleingedruckten mal die Ausstattungen pro Standort sehen kann. Und dann auch noch das Risiko, dass die Duschen außer Betrieb sind, besetzt, gerade gereinigt werden oder um 6:15 noch nicht geöffnet haben.

Vielleicht etwas das für Reisende die Brüssel - Berlin öfters bereisen müssen und sich entsprechend dann vor Ort auskennen funktionieren kann.

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