Fronleichnamsfahrt über die Alpen zum Santo Corporale (5/8) (Reiseberichte)

Bahne aus Leidenschaft, Sonntag, 16.11.2025, 22:34 (vor 21 Tagen)

Im letzten Teil bin ich aus Apulien in Rom angekommen und hatte dort mit Problemen mit der Polizei zu kämpfen: https://www.ice-treff.de/index.php?id=722248

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Tag 6: (Bari -) Rom – Orte – Orvieto
Jetzt aber schnell zurück zum Bahnhof, denn ich will heute noch weiter nach Umbrien. Da der RV nach Perugia an einem Kopfgleis ganz weit draußen steht, muss ich mich ganz schön sputen. Eigentlich wollte ich ja mit der Bahn nach Umbrien fahren und nicht laufen.
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Bei der Reiseplanung dachte ich eigentlich, der RV würde über die Altstrecke fahren, die noch neu für mich gewesen wäre. Mit Blick auf die kurze Fahrzeit hätte mir aber klar sein müssen, dass es über die Direttissima nach Orte geht. Im in die Jahre gekommenen Nahverkehrswagen mit Klappfenster ist das aber auch ein Erlebnis.
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Ist das das italienische Äquivalent zum ICE-S?
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Nach Perugia will ich zwar auch noch, aber erst in drei Tagen. Deshalb muss ich in Orte in den RV nach Florenz umsteigen. Über 5 Minuten zu früh erreichen wir den Bahnknoten an der Grenze von Latium zu Umbrien.
Mein Anschlusszug nach Florenz ist erneut einer der älteren Wendezüge mit E464 vorne und hinten und steht schon am Hausbahnsteig bereit. Mit denen werde ich in den nächsten Tagen noch öfter fahren.
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Die sehenswerte Altstadt von Orte liegt italientypisch in weiter Entfernung vom Bahnhof auf einem Hügel und die Bahnhofssiedlung sieht ehr unspektakulär aus. Außerdem knallt die Sonne unerbittlich. Deshalb schaue ich mich nur ein wenig am Bahnhof um und versorge mich in der Bahnhofsbar mit einem kühlen Radler.
Nördlich des Empfangsgebäudes steht dieses Denkmal. Erst dachte ich, es erinnere an ein Bahnunglück im Jahr 1984. Da ich ein solches aber nicht finden kann legt die Inschrift nahe, dass es allgemein an Eisenbahner erinnert, die in ihrem Dienst verunglückt sind.
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Der RV nach Perugia ist etwa einen Wagen länger und fährt zuerst ab.
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Bis zur Abfahrt ist es zwar noch hin, aber im klimatisierten Wagen ist es kühler als draußen. Trotz zahlreicher Umsteiger aus Rom, ist es im vorderen Wagen hinter der Lok schön leer.
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Gegen 16 Uhr ist mein Tagesziel Orvieto erreicht. Die Altstadt liegt gut sichtbar über dem Bahnhof auf einem Tuffsteinplateau. Dorthin führt eine Funicolare.
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An ihrem Eingang erwartet mich aber eine große Enttäuschung: Sie ist aktuell wegen Wartung geschlossen. Stattdessen verkehrt ein Bus.
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Die Bergstation liegt am Ostende der Altstadt bei den spärlichen Resten der päpstlichen Burg. Orvieto war nämlich im 13. Jahrhundert bevorzugte Papstresidenz. Der Turm am gegenüberliegenden Hang gehört zu einem ehemaligen Kloster, das heute ein Hotel ist.
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Anstelle der Burg ist heute ein Park, von dem man die Unterstadt mit Bahnhof, die Direttissima und die Autobahn sehen kann. Orvieto liegt unverkennbar an der Hauptverkehrsachse zwischen Rom und Norditalien. Will ich von hier Züge sehen, sollte ich das heute tun, denn morgen ist ein Streik angekündigt. Hinter dem Bahnhof rauscht gerade ein ETR 1000 der Staatsbahn durchs Bild.
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Auch die Konkurrenz von Italo lässt sich blicken.
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Abschließend kommt der IC von Rom nach Triest in den Bahnhof gefahren. Der wäre meine alternative spätere Verbindung gewesen.
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Heute wollte ich nämlich nicht zu spät ankommen. Es ist Fronleichnam und ich bin nicht zufällig heute hier in Orvieto:
Orvieto war in zwei seiner Phasen überregional bedeutend: vor der römischen Eroberung als Zentrum der Etrusker und ab dem 13. Jh. als Papstresidenz, die aus dem politisch unruhigen Rom auswichen.
1263 geschah während eines Gottesdienstes im nahegelegenen Bolsena ein Blutwunder, bei dem Blut aus der Hostie ausgetreten sein soll. Dem Papst kam ein solches Wunder im Kirchenstaat sehr gelegen und er nahm dies zum Anlass, Fronleichnam zum offiziellen Feiertag zu erklären. Das blutbefleckte Altartuch von Bolsena, das Santo Corporale, wurde ins nach Orvieto gebracht und darum ein prächtiger Dom errichtet, um die Papstresidenz durch eine solch hochwertige Reliquie kräftig aufzuwerten.
Fronleichnam selbst ist schon älter, eine erste Feier ist aus der Mitte des 13. Jh in Lüttich belegt. Fröhlich ist der Leichnam nicht, vielmehr handelt es sich um den Leib des Herren, der uns als Frondienst hingeben wurde. Aus dem Geschichtsunterricht kennt man vielleicht noch den Frondienst, der im Feudalsystem dem Lehnsherrn geleistet wurde.
Angenehmer Nebeneffekt der Fronleichnamsmesse mit Bischof ist, dass ich mir den Eintritt für den Dom spare. Im Gegensatz zu großen Kirchenbauten bei uns nördlich der Alpen hat der Bau kein Gewölbe. Hier in Italien war man sehr zögerlich, die Innovationen der Gotik aus dem barbarischen Frankreich zu übernehmen. Ähnlich wie in Siena sind die Wände mit Marmor in auffälligem schwarz-weiß Muster verkleidet.
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Die Prozession nehme ich auch gerne mit. Leider ist die große Prozession erst am Sonntag, da der gesetzliche Feiertag Fronleichnam in Italien in den 1970ern aus wirtschaftlichen Gründen gestrichen wurde. Ähnliche Forderungen gibt es bei uns ja gerade. Als mir das aufgefallen ist, hätte ich noch die Übernachtung stornieren und umplanen können, es gab aber keine halbwegs preiswerte Unterkunft mehr am Sonntag, weshalb ich hiermit Vorlieb nehmen muss.
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Die Blaskappelle ist nicht schlecht. Am Sonntag hätten mich aber die Kapelle der Carabinieri, ein historischer Umzug und eine Messe mit Kardinal Tagle, einer der als papabile gehandelten Kandidaten beim Konklave vor wenigen Monaten, und vor allem die Zurschaustellung des Altartuchs erwartet.
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Dafür entlohnt die Unterkunft im Nonnenkonvent Santo Salvatore. Das liegt in einem Altbau neben dem Rathaus, ist zwar etwas in die Jahre gekommen, aber eine der wenigen Optionen für unter 100 €/Nacht in der Altstadt und hat einen ganz eigenen Charme.
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Das nenne ich mal eine Aussicht von meinem Balkon! Rechts oben verlaufen die drei Verkehrswege Richtung Florenz.
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Nach dem Sonnenuntergang ist es schon fast 21 Uhr, aber in Italien ist das ja nicht zu spät zum Essengehen. Diesmal gönne ich mir ausnahmsweise nach der Pasta auch noch ein Secondi: Osobucco.
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Tag 7: Orvieto
Den Tag heute werde ich bis auf eine kurze Ausnahme komplett auf dem Tuffplateau von Orvieto verbringen. Ursprünglich hätte mich noch ein Ausflug mit dem Bus nach Bagnoreggio gereizt. Der nahegelegene verlassene Ort auf einem Felsen ist ein beliebtes Touristenziel und mit einem spärlichen Busfahrplan an Orvieto angebunden.
Gestern wurde dann aber ein Generalstreik im Verkehrssektor angekündigt, also nicht nur Bahnen, sondern auch Busse und Autobahnmautstationen. Zum Glück ist der Streik ausgerechnet heute, wo er mich nicht stört. 2023 in Frankreich hatte ich das gleiche Glück, als an meinem bahnfreien Tag in Lourdes gestreikt wurde ( https://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?030,10831465 ). Im Nachhinein bin ich sogar froh um den Streik, weil ich dadurch den ganzen Tag in Orvieto bleiben musste, statt noch nach wegzufahren, denn Orvieto bietet für einen Tag mehr als genug Aktivitäten. Ganz so schlimm scheint der Streik zumindest bei den Mautstationen aber nicht zu sein. Auf der Autobahn rollte der Verkehr, soweit ich das von meinem Balkon beurteilen kann, normal.
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Neben meiner Unterkunft im Kloster steht das wehrhafte Rathaus.
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Ähnlich wie in Matera wurde hier sehr viel in den weichen Tuffstein reingebaut, ungeplant wird mein Besichtigungsprogramm deshalb große Ähnlichkeiten zu vor drei Tagen aufweisen. Da Orvieto jedoch nicht in einen Schräghang sondern auf ein Plateau gebaut wurde, gibt es keine oder nur wenige Höhlenwohnungen, sondern nur Keller, Brunnen und Ähnliches. Ein besonders beeindruckender Brunnen liegt bei der früheren päpstlichen Burg nahe der Bergstation der Funicolare und wurde vom zweiten Medici-Papst Clemens VII. unter dem Eindruck der Sacco di Roma, der Plünderung Roms durch kaiserliche Truppen 1527, gebaut. Neben der Sacco di Roma ist der gute Clemens noch dafür bekannt für seine Blockade gegen die Annullierung der kinderlosen Ehe des englischen Königs mit Katharina von Aragon, aus Rücksicht auf den kaiserlichen Neffen der englischen Königin, der wenige Jahre zuvor Rom für plündern ließ, womit er die Gründung der anglikanischen Kirche provoziert hat.
Der Brunnen sollte im Falle einer Belagerung die Wasserversorgung der Stadt sichern und wurde so angelegt, dass die beiden Wendeltreppen im Einrichtungsbetrieb genutzt werden konnten.
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Am anderen Ende der Altstadt kann ein weiterer Brunnen besichtigt werden, der noch aus etruskischer Zeit stammt und unter Papst Clemens VII. erweitert wurde.
In der Dominikanerkirche hat für einige Jahre der große Scholastiker und wohl bedeutendste Kirchenlehrer des Mittelalters gelehrt: Thomas von Aquin. Das Grabmonument gehört jedoch einem französischen Kardinal und ist mit den gleichen Stilelementen verziert wie die Domfassade, wenn ich mich recht erinnere auch vom selben Künstler.
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Während viele italienische Städte mit Stolz auf ihre römischen Wurzeln zurückblicken, sind diese hier nicht so populär. Orvieto war nämlich schon lange vor den Römern unter dem Namen Velzna eines der bedeutendsten Zentren der Etrusker und wurde 264 v. Chr. nach der Eroberung durch die Römer geschleift. Die Bevölkerung wurde ins nahegelegene Bolsena umgesiedelt. Während der Römerzeit blieb Orvieto dadurch eher unbedeutend.
Für den etruskischen Friedhof am Fuß der Felsen verlasse ich zum einzigen Mal für heute die schattigen Gassen des Altstadtplateaus.
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Alles klar? Etruskisch ist hauptsächlich von Grabinschriften bekannt und nicht vollständig entschlüsselt. Seine Schrift ist der Vorgänger unseres Alphabets.
Dann schnell wieder zurück in die schattige Altstadt. Es wird langsam Zeit fürs Mittagessen.
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Heute bin ich mal nicht so experimentierfreudig und nehme Pasta alla Carbonara.
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Noch mal kurz beim Dom vorbeigeschaut.
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Einer der Marmorzyklen unten an der Fassade zeigt das Jüngste Gericht.
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In die Kapelle des heiligen Altartuchs kommt man ohne Eintritt zum Gebet rein. Die flächendeckenden mittelalterlichen Fresken zeigen unter anderem die Geschichte des Santo Corporale. In der Mitte betet der Papst das blutbefleckte Altartuch an.
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In diesem Schrein wird es aufbewahrt. Am Sonntag hätte ich es sehen können. Naja, rein optisch betrachtet ist es nur ein altes weißes Leintuch mit Fleck.
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Eine letzte Führung in den Untergrund mache ich am Nachmittag noch mit. In den Lagerräumen war unter anderem eine Mühle.
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Und mittelalterliche Taubenschläge. Durch die Lage am Rand des Plateaus, konnten die Tauben von hier nach draußen fliegen.
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Eine Spezialität Umbriens ist Porchetta. Dazu wird ein ganzes kleines Schwein entbeint und ausgenommen, mit Kräutern gefüllt und gebraten.
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Verzehrt wird es dann als kalter Aufschnitt auf Brot.
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Langsam wird es Abend auf dem Altstadtfelsen.
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Diese Kirche hat einen recht ungewöhnlichen Kirchturm.
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Das mehrtätige Festprogramm zu Fronleichnam sieht heute den Umzug der Damen vor. Dabei ziehen nicht nur Damen, sondern auch Herren in Gewandung reicher Bürger und Adliger des Spätmittelalters durch die Stadt zum Dom.
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Es folgen dann noch Fahnenschwinger und eine Feuerakrobatikshow. Letztere hat mich jetzt nicht so mitgerissen.
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Nach einem kurzen Absacker-Sprizz am Rathaus geht es dann ins Bett. Im nächsten Teil bleibe ich noch ein wenig in Umbrien und ziehe weiter zu dem noch wichtigeren Wallfahrtsort des Kirchenstaats aus dem 13. Jh.

Viele Grüße
Eric, der eben dank technischen Problemen und dem folgenden Anschlussverlust das unerwartete Vergnügen mit dem wochenlangen Nacht-SEV über die Karlsruher Rheinbrücke hatte


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