Zwei Thermodynamiker sammeln Verspätung im IR Traianus (3/9) (Reiseberichte)

Bahne aus Leidenschaft, Montag, 20.01.2025, 23:16 (vor 298 Tagen)

Im letzten Teil sind Jonas und ich durch die Karpaten nach Bukarest gefahren: https://www.ice-treff.de/index.php?id=709756

Tag 6: Budapest und Ploieşti
Jonas will heute die Casa Poporului besichtigen, nachdem ich schon 2017 mit meiner Mutter und 2022 mit Chris drin war, spare ich mir das diesmal. Da montags viele Museen geschlossen haben, plane ich einen Tagesausflug zu den Bundesbahnveteranen von Titan Sud nach Oltenița. Zuerst läuft noch alles wie geplant. Von der Piața Unirii nehme ich die Metro bis Titan Sud am Stadtrand.
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Dort steht schon ein 624 für die Fahrt nach Oltenița bereit. Fahrkarten sind bei der freundlichen und Mitarbeiterin am Schalter auch schnell besorgt.
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Auf dem Abstellgleis steht ein weiterer Artgenosse.
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Während im vorderen Wagen einige andere Fahrgäste sind verziehe ich mich in den hinteren Wagen, den ich für mich allein habe. Ein übler Fehler, wie sich bald herausstellen sollte.
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Das 1. Klasseabteil im Mittelwagen hat noch seine Abteiltür, wenn mir ihre Positionierung auch irgendwie unüblich erscheint.
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Nach wenigen Minuten Fahrt hält der Zug in Bucuresti Sud. Aus dem pdf-Fahrplan weiß ich, dass der Aufenthalt hier aktuell baustellenbedingt etwa eine Viertelstunde beträgt und sogar die Zugnummer wechselt, weshalb ich erstmal keinen Verdacht schöpfe. Nach der planmäßigen Abfahrtszeit passiert erstmal nichts, bis es dann plötzlich losgeht. Nur in die falsche Richtung! Ist Bucuresti Sud etwa ein Kopfbahnhof? Mein verzweifelter Blick aufs Handy sagt nein. Nach wenigen Minuten kommen wir wieder in Titan Sud an und bestätigt die Befürchtung, dass ich etwas kapital missverstanden hatte. Ich hätte wohl in Bucuresti Sud den Zug wechseln müssen. Wo der stand, konnte ich nicht sehen, vermutlich ein gutes Stück weiter Richtung Oltenița hinter der ominösen Baustelle.
Hätte ich mal besser den Fahrplan aufmerksamer gelesen oder wäre vorne bei den Einheimischen eingestiegen. Dort hätte ich den Umstieg bestimmt mitbekommen. Eine Durchsage oder sonstige Informatio0n durchs Personal gab es jedenfalls nicht. Was mache ich jetzt? Über zwei Stunden in Titan Sud auf die nächste Abfahrt warten spricht mich irgendwie nicht so an. In einem 624 war ich jetzt über eine halbe Stunde, das reicht mir eigentlich, den Ticketpreis kann ich verschmerzen und nach Oltenița wollte ich nicht unbedingt. Der Weg war heute eindeutig das Ziel. Mit einem 614 wäre ich noch gerne gefahren, aber ob der Richtung Oltenița fährt, kann ich nicht sicher wissen. Also entschließe ich mich, den Plan fallenzulassen und wieder ins Zentrum zurückzufahren, diesmal mit der Tram.
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Die Tramfahrt ist ein ganz besonderes Erlebnis. So ein schlechte Gleislage habe ich noch nie erlebt. Es dröhnt durchgehend, alle paar Augenblicke donnert die Tram in einen kapitalen Schienenstoß. So muss die unattraktive veraltete Straßenbahn gewesen sein, die sich die straßenfixierten Verkehrsplaner der Nachkriegszeit und die letzten CSU-Verkehrsminister vorgestellt haben.
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Über die Piața Unirii muss der Tramfahrgast seit einigen Jahrzehnten zu Fuß drüber. Der Platz ist gigantisch, aber irgendwie seelenlos. Ceausescus Springbrunnen würden bestimmt besser wirken, wenn sie nicht für Passanten völlig unerreichbar von mehrspurigen Straßen eingekreist wären.
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Dass Straßenbahn auch in modern geht, zeigt sich an der Haltestelle auf der anderen Seite der Piața Unirii. Ruhig ist die Mitfahrt wegen der schlechten Gleislage aber auch hier nicht. Es dröhnt und schaukelt.
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Nach den kurzen Tramfahrten schaue ich mir noch den Patriarchenkomplex mit Kathedrale und Palast an. In der bescheidenen Hütte im Hintergrund residiert der Patriarch der rumänisch-orthodoxen Kirche. Die relativ bescheidene Kirche wird aktuell durch die monströse neue Kirche hinter der Casa Poporolui ersetzt, die dann die größte orthodoxe Kirche der Welt sein soll. Als ob das Land keine dringenderen Probleme hätte.
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Casa Poporolui nochmal bei Tageslicht.
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Jonas ist unterdessen in ihrem Inneren unterwegs und sprachlos über Ceausescus Größenwahn.
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Nach einer kurzen Pause im Cismigiu-Park möchte ich mit der Straßenbahn zur Gara de Nord fahren. Dort wollte ich heute sowieso noch hin, um unsere Reservierungen für morgen zu besorgen, und demnächst fährt ein Zug von Transferoviar, von dem ich vermute, dass er mit einem 614 gefahren wird. Mit diesem würde ich gerne nach Ploieşti fahren. Von der Endhaltestelle am Park fahren zwei Tramlinien, von denen nur eine zum Bahnhof fährt. Zur planmäßigen Abfahrtszeit kommt eine Tram an und ich steige ein. So nimmt das Unheil seinen Lauf. Als ich mich nach einiger Zeit wundere, dass der Bahnhof immer noch nicht zu sehen ist, muss ich feststellen, dass ich im falschen Zug bin und schon es mit dem anvisierten Zug nichts mehr wird. Heute geht aber auch alles schief!
Jetzt will ich aber auch nicht mehr vor meiner eigenen Unfähigkeit kapitulieren. Am Nachmittag gibt es eine Gegenleistung aus Buzau und ich gehe das Risiko ein, dass das wirklich ein 614 ist. Hin geht es ganz langweilig um 14 Uhr mit einem IR der CFR. Die Wartezeit bekomme ich problemlos in der langen Schlange am CFR-Schalter abgebummelt.
In Ploieşti Sud wartet diese Caravelle mit alter Front auf die nächste Fahrt.
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Hier habe ich jetzt etwas über eine Stunde Zeit und keine direkten Pläne. Mit der Straßenbahn, die deutlich ruhiger als ihr Bukarester Pendant fährt, fahre ich Richtung Zentrum in der Hoffnung dort einen Mici-Grill zu finden. Mit Mittagessen war heute nämlich noch nicht viel. Dabei besuche ich auch meine vermutlich erste rumänische Markthalle, in der es sehr viel Gemüse aber sonst irgendwie nichts. Das Angebot finde ich etwas einseitig im Vergleich zu den tollen Markthallen in anderen romanischen Ländern weiter westlich.
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Ploiesti ist Industriestadt und das Stadtzentrum sieht danach aus, aber der Park ist eigentlich ziemlich einladend.
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Zurück zum ziemlich monumentalen Bahnhof gehe ich zu Fuß.
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Tatsächlich ist der Transferoviar-Zug aus Buzau ein 614 und mein letztes Tagesziel ist erreicht.
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Privatbahn kreuzt Privatbahn: Irgendwo unterwegs begegnen wir einem Aspirateur von Regio Calatori. Man stelle sich mal vor, was los wäre, wenn jemand in Deutschland aus dem Zug aussteigen und einfach direkt davor das Gleis überqueren würde.
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Hier kommt uns ein Görlitzer Dosto-Gliederzug entgegnen. Mit einem solchen wäre ich auch noch ganz gerne gefahren.
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Auch DB Cargo ist auf der Strecke.
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Dann kreuzt sogar noch ein zweiter Regionalzug mit Dosto-Gliederzügen, sogar mit zwei Einheiten.
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Einfahrt in Gara de Nord.
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Sowohl Front als auch Inneres waren modernisiert. Einen unmodernisierten in Verkehrsrot wie 2022 ( https://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?030,10469110 ) habe ich diesmal nur in der Abstellung im Gleisvorfeld der Gara de Nord gesehen.
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Auf das laute Lipscani-Viertel haben wir heute zum Abendessen nicht so recht Lust und suchen uns deshalb eine Pizzeria auf der anderen Seite des Universitätsplatzes mit hervorragenden Pizzen.
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Tag 7: Bukarest – Craiova – Orşova
Nach den mir schon bekannten Stationen Braşov und Bukarest möchte ich noch eine Ecke von Rumänien erkunden, die ich noch nicht kenne: die westliche Walachei und den Banat. Eigentlich hatte ich für uns heute geplant, nach Curtea des Arges zu fahren, die dortige Kathedrale zu besichtigen und dann in Piteşti zu übernachten, von wo es morgen weiter nach Westen gegangen wäre. Zwischen Piteşti und Curtea de Arges sollte laut Vagonweb die Chance auf einen Malaxa bestehen und schön sieht es mir dort auch aus. Leider musste ich aber gestern feststellen, dass von Piteşti aus sowohl nach Bukarest als auch nach Craiova ein Stück SEV ist. Hatte das vielleicht noch mit den Hochwasserschäden wenige Wochen zuvor zu tun? Jedenfalls ließ mich das an meinem Plan zweifeln.
Auch Jonas hatte gestern Zeit zum Überlegen und hatte im Laufe des Tages mit dem Gedanken gespielt, sich auf dem direkten Wege mit dem Dacia Richtung Heimat zu verabschieden. Der ursprüngliche Plan mit viel Bahn, zweimal SEV und Übernachtung im weniger schönen Piteşti, wäre diesen Gedanken vermutlich förderlich gewesen. Ursprüngliche hatte ich als morgiges Tagesziel Baile Herculane im Auge, wo wir übermorgen Vormittag in den Thermalbädern hätten baden gehen können. Mit der Zeit kam aber mehr und mehr Orşova am Eisernen Tor in meinen Fokus und mit dem durch den Verzicht auf Pitesti und Curtea de Arges eingesparten Tag, hätten wir dort Zeit für zwei Nächte und einen Tag an der Donau. Mit den Landschaftsbildern von dort konnte ich Jonas gestern Abend schließlich überzeugen, mitzufahren. Die nötigen Reservierungen habe ich gestern Nachmittag schonmal auf gut Glück erworben. Die 2 € waren mir das Risiko wert.
Nach Orşova gibt es von Bukarest sage und schreibe drei Verbindung am Tag: unchristlich früh morgens um 5 Uhr den Traianus, einen IR Richtung Timişoara um 11 Uhr vormittags und den Muntenia mit Abfahrt am späten Abend und Ankunft mitten in der Nacht. Wir wählen die mittlere Verbindung. Um die Fahrt etwas zu entzerren bauen wir noch einen Aufenthalt in Craiova ein.
Somit stehen wir heute Morgen beide um 8 Uhr an der Gara de Nord, um den Zug nach Craiova zu nehmen. Immer wieder fasziniert bin ich dort von den rustikalen Prellböcken, die wohlgemerkt nicht an einem Provinzbahnhof im Wald stehen sondern am Hauptbahnhof einer Millionen- und Hauptstadt.
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Zumindest bei seinen Regionalzügen nutzt Regio Calatori die vorhandene Oberleitung nach Braşov. Warum den regelkonformen Weg über den Bahnsteig hinten um den Prellbock rum nehmen, wenn es auch kürzer geht?
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Kurz darauf gesellt sich Transferoviar mit ihrem hochwertigen Fernzug dazu.
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Abgesehen von der kurzen Fahrt vorgestern nach Codlea und zurück fährt Jonas heute zum ersten Mal mit der CFR und ich zum ersten Mal in ihrer 1. Klasse. Ihre beste Zeit haben die Sitze schon spürbar hinter sich, aber man hat Platz und Jonas findet sie recht ansprechend.
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Bis Videle kenne ich die Strecke noch von der Fahrt nach Ruse vor zwei Jahren. Die Geschwindigkeit ist gefühlt nochmal gesunken. Interessant finde ich wieder die Ölfelder.
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Die Fahrt nach Craiova ist wie erwartet vor allem eins: zäh. Für die gut 200 km soll der Zug planmäßig vier Stunden brauchen und sammelt dabei wegen aktuell vielen eingleisigen Baustellen noch eine Dreiviertelstunde Verspätung. Die Aussicht macht die Fahrt auch nicht kurzweiliger. Wie erwartet fahren wir vor allem durch eine endlose Ebene mit Felder. Die Fahrt erinnert mich sowohl bezüglich Geschwindigkeit und Aussicht an die 19-stündige Fahrt mit Chris durch die argentinische Pampa von Buenos Aires nach Cordoba. Auch dort fragte ich mich, ob hier ein Ausbau auf 200 oder mehr km/h nicht mit vertretbarem Aufwand möglich wäre.
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Und noch mehr Felder. Immerhin klart das Wetter auf. Eine der wenigen Landmarken ist der Pavillon am linken Bildrand mit dem Grenzbrunnen zwischen den Landkreisen Teleorman und Olt
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Die Fahrt ist wirklich quälend langsam. Da das abzusehen war, wäre ich um einen Nachtzug in passender Zeitlage nach Orşova froh gewesen. Leider ist der Muntenia schon gegen 3 Uhr in Orşova, was dann auch nicht so toll ist. Also vertreibe ich mir die Zeit damit, noch mehr walachische Felder und einen der typischen rumänischen Betonelement-Bahnsteige zu fotografieren.
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An einem Unterwegsbahnhof kreuzt ein Krabbenkutter. Regelmäßig müssen wir wegen den baustellenbedingt eingleisigen Abschnitten längere Zeit auf Gegenzüge warten. Wenn die Bauarbeiten voran gingen, hätte das Warten wenigstens einen Sinn. Dafür, dass es ein Dienstagvormittag ist, sehen wir aber wenig Arbeiten an den Baustellen.
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Dann überqueren wir den hier aufgestauten Olt. Vor drei Tagen aus dem Corona hatten wir ihn beim Frühstück als kleines Bächlein in seinem Oberlauf beobachten können.
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Kurz davor brannte es ein wenig neben der Strecke.
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In Caracal steht wie erhofft ein Malaxa-Zweiachser. Zu meiner Überraschung aber auch ein Vierachser, wenn auch vermutlich nicht mehr betriebstüchtig.
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Durch die Verspätung ist unser 2,5-stündiger Aufenthalt in Craiova etwas zusammengeschmolzen, aber so gespannt waren wir sowieso nicht auf die Stadt. Unser Zug fährt weiter über Targu Jiu durch die Karpaten nach Deva, auch eine Strecke, die mich mal reizen würde. Leider aber auch eine Strecke mit eher abschreckendem Fahrplan.
Die kleine kernsanierte Altstadt von Craiova überrascht mich positiv. Nichts, wofür ich stundenlang hinfahren würde, aber wenn sie schon mal auf dem Weg liegt, ganz nett. Überraschenderweise hängt schon Mitte Oktober die Weihnachtsdeko.
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Auf dem Rückweg zum Bahnhof steuern wir auf der erfolgreichen Suche nach einem Mici-Stand die Markthalle an, wo Jonas seinen nächsten Kulturschock erlebt. Deutsche Ordnungs- und Hygienevorschriften würde er wohl nicht erfüllen. Aber die Mici waren lecker.
Der Bahnhof gehört nicht zu den schönsten des Landes. An der Fußgängerampel holt mich wohl mein Pech von gestern ein: Ein Vogel kackt mich an. Zu dem Senffleck vom Mici-Stand gesellt sich damit noch ein weiterer Fleck.
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Nun haben wir noch einige Zeit zu vertrödeln, da unser Anschlusszug auch eine gute halbe Stunde Verspätung hat. Da auch gestern alle Züge auf der Verbindung kräftig Verspätung gesammelt haben, überrascht uns das nicht, aber wir wollten unser Glück bei dem dünnen Fahrplan nicht überstrapazieren. Ich nutze die Zeit, um mich im WC einigermaßen von dem Luftangriff zu befreien. Das WC wirkt ein wenig wie im Sozialismus stecken geblieben. Eine Klofrau steht am Eingang hinter einem Tresen und hat vorportionierte Klopapierstreifen vor sich liegen.
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Auch hier zeigt der rote Riese Präsenz.
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Jonas wartet auf dem Hausbahnsteig. Immerhin ist das Wetter angenehm.
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Dank der Verspätung bekommen wir noch den Paradezug der rumänischen Bahnindustrie zu Gesicht: dem Hyperion von Softronic, der in der Mitte irgendwie verdächtig durchhängt.
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Dann kommt endlich unser Zug.
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Dieser bringt uns nach Orşova am Eisernen Tor. Von dort erwarten euch im nächsten Teil ganz viele Flussbilder.


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