@Oscar (NL): 200 km/h bogenschnell? (Allgemeines Forum)

sappiosa, Freitag, 08.08.2008, 14:32 (vor 6339 Tagen)

Hallo Oscar,

damit dieses Thema nicht untergeht, erlaube ich mir, dazu einen eigenen Thread aufzumachen:

Der Schwedische X2000 Beispielsweiße erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h und wird auch schon als Hochgeschwindigkeitszug bezeichnet.


Und dieser Zug fährt diese Geschwindigkeit sogar bogenschnell.
Habe das 2007 selber mit drei weiteren ICE-Fans erlebt (Kopenhagen-Stockholm-Göteborg).

Ich war schon mal im ICE-T unterwegs, sowie im 611, 612, CIS, Eurostar Italia ETR460/480, aber erst beim X2000 hatte ich eine richtige Vorstellung des Begriffes bogenschnell.

Warum ist das in Deutschland nicht möglich? Oder lohnt sich das nicht?

Ich denke schon, dass es sich lohnen würde.
Es gab sogar schon Überlegungen, Neubaustrecken für bogenschnelle Fahrt zu trassieren. Dann wären bei gleichem Tempo höhere Kurvenradien möglich, so dass man die Trasse besser der Landschaft anpassen könnte.

Vieregg & Rößler haben mal (bevor sie pleite gingen) nach diesem Prinzip einen Trassenvorschlag hingelegt für eine Alternativ-Route Nürnberg-Erfurt, für 230 km/h bogenschnell. Sie meinten, im Vergleich zur jetzt gebauten "Thüringer-Wald-U-Bahn" würde das halb so teuer bei nur ca. 15 Minuten mehr Fahrzeit. *

Daneben fallen mir auch eine Reihe bestehender Strecken ein, wo ich mir von der Trassierung her bogenschnelles Fahren über 160 km/h gut vorstellen könnte, zum Beispiel:

- Erfurt-Eisenach (ICE-T-Strecke!)
- Nürnberg-Bamberg-Lichtenfels (ICE-T-Strecke!)
- Ulm-Augsburg
- Mannheim-Saarbrücken (außer dem Teilstück Neustadt-Kaiserslautern)
- (Hannover-)Minden-Bielefeld

Derzeit gibt die Signaltechnik das aber nicht her.


1. LZB-Kabel kann man ausrollen, soll es nicht sein.

Ja. Nur kann LZB eines nicht: je nach Zugtyp unterschiedliche Geschwindigkeiten freigeben. Das wäre für bogenschnelle Fahrt aber nötig, wenn man vermeiden will, dass auch ein Zug ohne NeiTech die Kurve im bogenschnellen Tempo nimmt und damit die Passagiere herumschleudert oder gar entgleist.

Weiß jemand hier im Forum, ob ETCS Level 2 das kann?

2. Zu viele Halte der ICE-T? Der X2000 hatte pro Strecke auch alle 30 Minuten gehalten.

Daran sollte es jedenfalls nicht scheitern. Der RE300 hält noch häufiger...

3. Benutzt SJ ein anderes "Betriebssystem" für die Neigetechnik als DB?

Ich weiß es zwar nicht, aber ich würde es insofern vermuten:

Etliche europäische Bahnen benutzen Mehrabschnittssignalisierung (Hauptsignal zeigt die nächsten beiden Abschnitte an, anstatt nur den nächsten), um höhere Geschwindigkeiten zu erreichen. Der TGV kommt damit auf manchen französischen Altstrecken auf 220 km/h, ohne TVM. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die SJ das auch tut.
In Deutschland ist das aber nicht zugelassen. Die Vorschrift lautet: Über 160 km/h darf man nur mit Führerstandssignalisierung fahren - da nutzen GNT-Balisen nichts mehr.

Ansätze in die Richtung hatten wir in diesem Thread schon einmal diskutiert. Da hat Fabian Schuler auch gesagt, dass andere europäische Bahnen die Geschwindigkeit gar nicht so explizit überwachen, wie es die DB (meistens) tut.

Schöne Grüße
Daniel (aka Sappiosa)

* Diese optimistische Einschätzung wurde allerdings von anderen bestritten. Außerdem hätte die VR-Trasse höhere Steigungen gehabt und wäre für Güterzüge nicht mehr nutzbar gewesen. Sie wollten die Güterzüge zwischen Bayern und Ostdeutschland stattdessen auf die Route über Marktredwitz-Plauen schicken, allerdings müsste man die dann vernünftigerweise elektrifizieren - was m.W. in den Kosten auch nicht berücksichtigt war...

@Oscar (NL): 200 km/h bogenschnell?

Anoj 1, Dresden (D) / Vbg. (A), Freitag, 08.08.2008, 15:03 (vor 6339 Tagen) @ sappiosa

Hallo!

Vieregg & Rößler haben mal (bevor sie pleite gingen) nach diesem Prinzip einen Trassenvorschlag hingelegt für eine Alternativ-Route Nürnberg-Erfurt, für 230 km/h bogenschnell. Sie meinten, im Vergleich zur jetzt gebauten "Thüringer-Wald-U-Bahn" würde das halb so teuer bei nur ca. 15 Minuten mehr Fahrzeit.

Das hätte auch ich befürwortet.

m f g,
Anoj

@Oscar (NL): 200 km/h bogenschnell?

Oscar (NL), Eindhoven (NL), Freitag, 08.08.2008, 17:01 (vor 6339 Tagen) @ sappiosa

Hallo sappiosa,

Ja. Nur kann LZB eines nicht: je nach Zugtyp unterschiedliche Geschwindigkeiten freigeben. Das wäre für bogenschnelle Fahrt aber nötig, wenn man vermeiden will, dass auch ein Zug ohne NeiTech die Kurve im bogenschnellen Tempo nimmt und damit die Passagiere herumschleudert oder gar entgleist.

Weiß jemand hier im Forum, ob ETCS Level 2 das kann?

ERTMS Level 2 hat 2 Komponente:
- "trackside equipment" (Eurobalisen, Signalempfänger/-Rücksender)
- "trainborne equipment" (Anlagen im Tfz, z.B. Bordrechner, Send/Empfanggeräte).

Level 2 = Signalübertragung via GSM-R, Positionfestlegung mit Eurobalisen. Daher keine Lichtsignale mehr nötig und also eine Alternative zur LZB.

Ich stelle es mir folgendermaßen vor (wohl sehr vereinfacht):

1. Die Eurobalisen können s.i.w. nur feststellen "axle count = 28, axle load = 17 tons, speed = 160 km/h, detection date = 20110422, detection time = 11:26:31,813".
2. Das "trainborne equipment" meldet dann z.B. etwa "ID = 411 023, tilting technology maxdegrees = 6, detected balise ID = 4725462534"
3. Das Radio Block Center weiß jetzt das Was (ICE-T mit Neigetechnik, anhand Achsprofil und Daten Bordrechner), das Wo (balise ID) und das Wann. Anhand dieser Daten wird eine Geschwindigkeit vorgeschlagen und via GSM-R im Führerstand vorgegeben.

Als vermute ich, das ERTMS Level 2 das berücksichtigen kann. Es dürfte aber hinken an die Festlegung der Spülenzustand. Wenn die GNT-Balisen nicht funktionieren, müssen die Eurobalisen das dem Tfz zusenden, wird die Neigetechnik ausgeschaltet und die Geschwindigkeit reduziert.

> Ansätze in die Richtung hatten wir in diesem Thread schon einmal diskutiert. Da hat Fabian Schuler auch gesagt, dass andere europäische Bahnen die Geschwindigkeit gar nicht so explizit überwachen, wie es die DB (meistens) tut.

Ich sage nur: die "v<40 Lücke" bei der ATB (Niederlande)...


gruß,

Oscar (NL).

--
Mit den neuen IC-Triebwagen wird alles besser !!

Trans-Europ-Express 2.0? Abwarten und TEE trinken!

Schienenstränge enden nicht an einer Staatsgrenze, sondern an einem Prellbock.

@Oscar (NL): 200 km/h bogenschnell?

ICE-T-Fan, Freitag, 08.08.2008, 17:48 (vor 6339 Tagen) @ sappiosa

Weiß jemand hier im Forum, ob ETCS Level 2 das kann?

http://de.wikipedia.org/wiki/GNT
Soll es laut dieser Quelle können.

GNT 160+ würde sich sogar Bebra-Eisenach, bagesehen vom Höhnebach-Tunnel lohnen.

Eisenach-Erfurt dürfen auch ohne GNT ICE 160 km/h (die IC nur 155 km/h wegen fehlender Bremshunderstel) fahren und bis Waltershausen gibts meiner letzten Lounge-Beobachtung nach nicht eine einzige GNT-Balise.
Diese Strecke soll laut http://de.wikipedia.org/wiki/Thüringer_Stammbahn sowieso später mal konventionell auf 200 km/h trassiert werden, um den Fahrplan in Erfurt für NBS zu optimieren.

Ich mag "bogenschnell nicht"

railan, Augsburg, Freitag, 08.08.2008, 20:46 (vor 6339 Tagen) @ sappiosa

Nachdem ich schon ein paar mal in Neigezügen unterwegs war, die sich in Kurven dann unvermittelt aufgerichtet haben und einem die unbefestigten Sachen um die Ohren geflogen sind, mag ich diese Neigegurken nicht mehr wirklich.
Ich denke mal, vielen Fahrgästen geht es ähnlich, denn laufen kann man ja auch fast nicht mehr.
Ich mag’s dann doch lieber mit ein paar km/h weniger und stabil.

@Oscar (NL): 200 km/h bogenschnell?

Frank Augsburg, Ansbach, Freitag, 08.08.2008, 23:44 (vor 6339 Tagen) @ sappiosa

Hallo zusammen,

das ist ein interessanter Aspekt, der es wert ist, näher diskutiert zu werden. Ganz ohne Frage.
2003 hatte ich mal den Ansbacher Eisenbahnfreunden einen Vortrag über Neigetechnik gemacht, naja, reichlich zusammengeschustert, so sehr der Experte bin ich da nicht. Eines der verblüffendsten Resultate zu der Frage "Was bringt die Neigetechnik" war, daß tatsächlich bei 160 km/h so eine Art Grenze existiert, ab da wird es bloß noch teuer und der Effekt ist eher mager. Ich hatte mal notwendige Halteabstände ermittelt, um mit Neigetechnik (durchschnittliche Überhöhung und 8°- Neigung vorausgesetzt) 5 Minuten Zeitvorteil auszufahren. Da stellte sich eben jene Konstellation heraus, daß jenseits der 160 km/h exorbitante Distanzen zustande kommen, bei denen der Aufwand zumindest nachzufragen wäre.
Also beginnt für mich das Nachdenken genau an diesem Punkt. Die Frage ist nicht: Was geht (technisch), sondern was ist sinnvoll (netzstrategisch gesehen)? Es lohnt doch nur, Relationen zu beschleunigen, wenn dadurch die betreffenden Knoten gestärkt werden können. Eine Beschleunigung um der Beschleunigung willen bringt nichts, oder? Und wenn sich eine Beschleunigung ohne technischen Aufwand machen läßt (Brechung oder Durchbindung, Fahrplan, Fahrlagen, etc.), dann würde ich zuerst danach greifen.
Weil die 160 km/h und das Signalsystem angesprochen wurden: Bei der SNCF haben wir 1500 m Vorsignalabstand. Deswegen fahren die mit 200 km/h ohne LZB- Äquivalent. Bzw. "200+", wie es an den Wagen angeschrieben steht. Ob nun Ein- oder Mehrabschnittssignalisierung - das spielt eine untergeordnete Rolle. Würde ich sagen.
Abschließend: Da ich nun bei der X2000- Tour 2007 dabei war - die Fahrt war rauschend, das ist richtig. Aber bei Lichte betrachtet handelt es sich bei Kopenhagen - Stockholm und Stockholm - Göteborg um zwei Inselstrecken und die zwischenliegenden Anschlüsse sind wohl nach der Zeitstraffung ausgerichtet worden. Netzrelevant, wie wir das aus unserem Netz kennen, ist das nicht.

Viele Grüße aus Ansbach
Frank

--
"Die Ferne ist ein schöner Ort,
doch wenn ich da bin, ist sie fort.
Die Ferne ist wo ich nicht bin,
ich geh und geh und komm nicht hin."

(Silly, mit der leider viel zu früh verstorbenen Tamara Danz)

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