Verfehlte Thüringer Bahnpolitik (Allgemeines Forum)
Wir hatten letztens das Thema Fahrzeiten NBS Erfurt - Nürnberg und deren Zuläuferstrecken. Dazu hab ich zwei Artikel gefunden:
Aus
LOK Report – Donnerstag, 20. August 2009
Thüringen: Pro Bahn kritisiert unrealistische Fahrzeitversprechen der Landesregierung
Der Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert Äußerungen des Thüringer Verkehrsministeriums zu zukünftigen Fahrzeiten über die ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt-Berlin. Das Ministerium hatte am Rande einer Pressemitteilung zum Ausbau der Mitte-Deutschland-Verbindung erklärt, durch den Ausbau werde auch der Raum Weimar/Jena/Gera von den kürzeren Reisezeiten profitieren, die sich aus der Fertigstellung der ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke über Erfurt ergäben. So würden sich z.B. die Reisezeiten auf den Verbindungen Jena – Berlin um ca. 0:20 h, Jena – München um ca. 1:30 h und Gera – München um ca. 1:00 h verkürzen.
Diese Verkürzungen sind jedoch weder anhand der projektierten Fahrzeiten der Neubaustrecke noch der heutigen Fahrzeiten nachvollziehbar. So beträgt z.B. die schnellste Fahrzeit für die Strecke Jena-Berlin mit dem ICE laut Jahresfahrplan 2009 der DB (ohne die aktuellen Neigetechnikprobleme) 2:11 h. Die Fahrzeit für die Strecke Erfurt-Berlin über die Neubaustrecke wird in den Planungsunterlagen der DB mit 1:45 h angegeben; zuzüglich der Fahrzeit Jena-Erfurt (0:30 h) und der Zeit für den Umstieg betrüge die Gesamtfahrzeit wenigstens 2:20 h, wäre also nicht kürzer, sondern länger als heute.
"Pro Bahn hat sich intensiv mit den Fahrzeiten beschäftigt und auch Fachleute dazu befragt. Die Fahrzeitversprechen sind derart unrealistisch, dass die Fachwelt rätselt, wie die Landesregierung darauf kommt" so Bernd Schlosser, Vorsitzender von Pro Bahn Thüringen. Doch nicht nur Fachleute wundern sich; die Landesregierung setzt sich auch in Widerspruch zu einem Gutachten, das sie selbst beauftragt hat: bereits 2002 hatte sich die Fachhochschule Erfurt mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen die Neubaustrecke auf das Land haben wird.
Für Jena stellen die Gutachter ausdrücklich fest, dass keine Reisezeitgewinne nach Norden und (im besten Fall) nur marginale nach Süden zu erwarten sind. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass diese Feststellung auf der Annahme basierte, dass bei Inbetriebnahme der ICE-Neubaustrecke auch die Altstrecke Ebensfeld-Nürnberg vollständig für höhere Geschwindigkeiten ausgebaut sein würde; tatasächlich ist heute noch nicht einmal absehbar,!
wann dies jemals der Fall sein wird. Der Fahrgastverband geht deshalb realistischerweise von spürbaren Fahrzeitverlängerungen für Fahrgäste aus Jena und deutlichen Fahrzeitverlängerungen für Fahrgäste aus den anderen Teilen Ostthüringens aus, sollte der Fernverkehr sich aus der Region zurückziehen.
Unabhängig von der Frage der Fahrzeit macht der Fahrgastverband auf die erheblichen Mehrkosten aufmerksam, die auf Fahrgäste aus Ostthüringen zukommen würden: eine Fahrt von Jena nach Berlin beispielsweise verlängert sich über Erfurt und Halle um rund 50 Kilometer bzw. über Erfurt und Leipzig um 80 Kilometer; für eine Hin- und Rückfahrt würen also zwischen 100 und 160 Kilometer Umweg anfallen und damit insgesamt Mehrkilometer bis zu einem Drittel der Gesamtfahrstrecke, die der Fahrgast voll zu zahlen hätte.
"Damit wird deutlich, dass die Nahverkehrsanbindung Ostthüringens an Erfurt das Problem des drohenden Rückzugs des Fernverkehrs aus Ostthüringen nicht lösen kann", so Bernd Schlosser. "Wir würden uns wirklich wünschen, dass die Landesregierung dies endlich erkennt und eine aktive Verkehrspolitik gegenüber Bund und Bahn auch für diese Region macht." (Pressemeldung PRO BAHN Landesverband Thüringen, 20.08.09).
OTZ 20.08.
Kritik an Landesregierung wegen Bahnkonzept
Fahrzeitberechnungen lösen Widerspruch aus
Von OTZ-Redakteur Tino Zippel Jena. "Seriös" nennt das Thüringer Verkehrsministerium seine Berechnungen, wie schnell Bahnreisenden künftig ankommen. Doch die Fachwelt zweifelt, dass Jenaer ab 2017 Zeit sparen, wenn sie für den ICE den Umweg über Erfurt nehmen müssen.
Das Ministerium hatte in einer ersten Mitteilung einen Zeitvorteil von 90 Minuten nach München genannt, aber auf OTZ-Nachfrage eingeräumt, Äpfel mit Birnen verglichen zu haben. Grundlage für die Vergleiche waren nie die aktuell schnellsten Verbindungen, sondern die langsamsten. "Schlichtweg unseriös" nennt Grünen-Spitzenkandidatin Astrid Rothe-Beinlich dieses Vorgehen.
Doch auch die nachgereichten Zahlen, die noch Zeitvorteile von 40 Minuten (München) oder 14 Minuten (Berlin) ausweisen, ziehen nicht nur die Bündnisgrünen in Zweifel - unter anderem weil die derzeitigen Havariefahrzeiten wegen defekter Neigetechnik als Maßstab dienen. "Die Fahrzeitversprechen sind derart unrealistisch, dass die Fachwelt rätselt, wie die Landesregierung darauf kommt", sagt der Vorsitzende Bernd Schlosser.
Das Ministerium steht im Widerspruch zu einem Gutachten, das die Regierung in Auftrag gegeben hat. Die Fachhochschule Erfurt hatte sich bereits 2002 mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen die ICE-Neubaustrecke auf das Land haben wird. Die Studie zeigt, dass es für Jena keine Reisezeitgewinne nach Norden und höchstens marginale nach Süden gibt. "Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Feststellung auf der Annahme basierte, dass bei Inbetriebnahme der Neubaustrecke die Altstrecke Ebensfeld-Nürnberg vollständig für höhere Geschwindigkeiten ausgebaut sein wird", sagt Schlosser. "Tatsächlich ist heute noch nicht einmal absehbar, wann dies jemals der Fall sein wird." Der Fahrgastverband rechnet daher mit Fahrzeitverlängerungen.
Genaue Zeiten, wie lange die Reisen inklusive der Umsteigezeiten in Erfurt dauern, stehen noch nicht fest. "Es gibt keinen endgültigen Fahrplan, allenfalls ingenieurtechnisch errechnete Zeiten", so ein Bahnsprecher.
ProBahn weist zudem auf drohende Mehrkosten hin, die Reisende für den Umweg über Erfurt zahlen müssten. "So wird klar, dass eine Nahverkehrsanbindung an Erfurt das Problem des drohenden Rückzugs des Fernverkehrs aus Ostthüringen nicht lösen kann , sagt Schlosser.
Rothe-Beinlich kritisiert, dass Verbindungen aus der Unistadt nach Berlin und München erheblich unattraktiver werden durch den Umsteigezwang in Erfurt. "Der Fernverkehr außerhalb von Erfurt hat offenbar für die Landesregierung keinen Stellenwert mehr", schlussfolgert sie.
Das vermuten auch Kommunen an der bisherigen ICE-Strecke durchs Saaletal. Jenas Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter (SPD) sagt, man wolle sich mit dem neuen Bahnchef treffen. Ziel ist, ein attraktives Schienenangebot zu erhalten.
Wie das Ministerium über den Bahnverkehr in Ostthüringen informiert ist, zeigt die Tabelle mit den Vergleichszahlen. Berechnungsgrundlage sind ICE-Fahrten vom Jenaer Saalbahnhof aus - ein Bahnhof, der vor zehn Jahren als ICE-Halt abgelöst wurde
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