Die Länge einer Fingerkuppe (Reisebericht ohne Bilder) (Reiseberichte)

fabs, Braunschweig, Samstag, 17.08.2019, 20:26 (vor 1675 Tagen)

Moin zusammen!
Ein Reisebericht - oder: Wie die Länge einer Fingerkuppe über eine Hotelübernachtung entscheidet.

Folgende Verbindung quer durch „halb Europa“ stand auf dem Plan:

07:39 Uhr ab Norrköping Central
11:31 Uhr an Koebenhaven H
X2 20521

13:10 Uhr ab Koebenhaven H
15:25 Uhr an Roedby
planmäßiger SEV

15:36 Uhr ab Roedby
18:16 Uhr an Hamburg Hbf
EC 232

18:24 Uhr ab Hamburg Hbf
19:38 Uhr an Hannover Hbf
ICE 1677

19:55 Uhr ab Hannover Hbf
20:41 Uhr an Braunschweig Hbf
WFB 95835 (RE70)

So weit, so gut. Dass bei einer Fahrt von 13:02 Stunden mit mehreren Umstiegen, geplanten SEV und einem Trajekt viel Potential gegeben ist, dass irgendetwas nicht klappt - insbesondere bei einem 8-Minuten-Umstieg in Hamburg Hbf gegen Ende der Reise - liegt auf der Hand. Ich habe mich trotzdem entschlossen, es zu wagen.

Und hier nun der tatsächliche Reiseverlauf:
Ich machte mich pünktlich auf den Weg zum Bahnhof in Norrköping (etwa 140 km Luftlinie südwestlich von Stockholm), trank noch einen Kaffee beim örtlichen Bäcker und stieg pünktlich in den X2 (der schwedische Hochgeschwindigkeitszug). Bis nach Lund (wenige Kilometer vor Malmö) lief alles recht unspektakulär: Wir bauten etwa 10 Minuten Verspätung auf, aber aufgrund des sehr großzügigem Übergang in Kopenhagen machte ich mir wenig Sorgen. Die Ansagen in diesem Zug erfolgten auf schwedisch und englisch, wobei einzig letzteres von mir einigermaßen verstanden wird.
In Lund Central kam unser Zug mit der genannten Verspätung von etwa 10 Minuten zum Halten und es erfolgte kurz darauf eine Ansage ausschließlich auf schwedisch, auf die hektische Betriebsamkeit im Zug ausbrach.
Ich hatte ja nichts verstanden und musste erstmal jemanden finden, der mir die Sachlage näher brachte.
Ich fand heraus, dass es wohl zu einem Unfall (wie auch immer geartet) gekommen sei und der Zugverkehr zwischen Lund und Malmö eingestellt ist.
Jetzt muss man wissen, dass auf dieser Strecke bis zu 10(!) Züge pro Stunde und Richtung verkehren und entsprechend schnell große Menschenansammlungen entstehen, die irgendwie weiterkommen wollen.
Ich machte mich also auf die Suche nach einem möglicher Weise eingerichteten Ersatzverkehr mit Bussen, was sich schnell als ziemliche Katastrophe herausstellte. Es wurden immer mehr und mehr Menschen an der SEV Haltestelle und nach rund 20 Minuten kam dann auch ein(!) Bus - Mitfahrt war faktisch unmöglich. Ich verwarf die Bus-Option und machte mich auf die Suche nach einem Taxistand, den ich auch recht schnell entdeckte. Auch dort war bereits eine beträchtliche Anzahl an Menschen, die jedoch durch den ununterbrochenen Nachschub von Taxen zumindest nicht größer wurde.
Jetzt trat das nächste Problem auf: Die Meisten Taxen waren vorbestellt und bei denen, die es nicht waren, pickten sich die Fahrer natürlich die Rosinenstrecken heraus. Ob das so zulässig ist, sei dahingestellt; sie taten es auf alle Fälle. Eine Fahrt zum Flughafen Kastrup war scheinbar deutlich lukrativer, als nach Malmö zum Bahnhof.
Zwischenzeitlich rannte die Zeit nur so dahin und ich machte mir ernsthaft Gedanken um meinen Anschluss in Kopenhagen.
Dann kam ein Geschäftsmann in Anzug, der einem Taxifahrer seinen Namen und Malmö zurief (er hatte es scheinbar vorbestellt). Geistesgegenwärtig versuchte ich in gebrochenem Englisch vorzuschlagen, dass wir uns doch die Rechnung teilen können, wenn wir zusammen fahren.
Er winkte mich herein!
Los ging also die Taxifahrt und ich recherchierte per google-maps wir lange wohl die Fahrt dauern wird. Das Ergebnis glich ich mit dem Fahrplan von Malmö nach Kopenhagen ab. Resultat: Wir werden etwa 12:10 Uhr am Bahnhof sein und der letzte Zug, mit dem ich meinen Anschluss erreiche fährt um 12:13 Uhr ab...
Nun gut: Challenge accepted!
Zunächst eröffnete mir der Geschäftsmann, dass sein Arbeitgeber die Taxikosten für ihn übernimmt und ich gratis mitfahren darf - DANKE, unbekannter Weise noch einmal!
Wir kamen 12:09 Uhr in Malmö an, konnten aber aufgrund einer Veranstaltung nicht bis direkt vor den Bahnhof fahren. Ich hatte dem Taxifahrer mein Problem bereits erörtert und riss die Tür auf, um im Schweinsgalopp zum Bahnhof zu rennen. Glücklicher Weise hatte ich einige Tage zuvor einen längeren Aufenthalt dort, den ich dazu nutzte, mir zum Zeitvertreib die örtlichen Gegebenheiten anzuschauen. Ich wusste also, wo die Züge in Richtung Dänemark abfahren müssten - im Tiefgeschoss.
So war es dann auch und ich betrat um 12:12:50 Uhr den Bahnsteig. "Natürlich" wählte ich die falsche Treppe, denn der Zug stand am anderen Bahnsteigende. Nach einem weiteren Sprint zur ersten erreichbaren Tür war diese gerade im Begriff, sich zu schließen. Mit den äußersten Fingerspitzen bekam ich das Türgummi zu fassen, der Einklemmschutz reagierte und die Tür öffnete sich noch einmal - der grüne Kranz am Türöffner war nämlich schon erloschen.
Ich stieg also ein und als sich die Tür - dieses Mal endgültig - schloss, fuhren wir auch sogleich ab.
Der Zugbegleiter warf dann noch einen Blick auf meine - für diesen Zug ungültige - Fahrkarte, wusste aber über das vorherrschende Chaos Bescheid und lies mich mitfahren.
Aus den veranschlagten 1:39 Stunden Übergang in Kopenhagen wurden dann noch rund 15 Minuten. Aber das Wichtigste: Der Bus wurde erreicht. Ich war also wieder im Plan.
Hier hätte ganz viel den Bach runter gehen können. Die nächste Verbindung von Kopenhagen nach Braunschweig wäre zwar „bereits“ um 15:10 Uhr gefahren, jedoch erst um 01:56 Uhr angekommen (wenn man von reservierungspflichtigen Zügen absieht).
Eine Fahrt über die Autobahnen von Seeland und Lolland bis zum Bahnhof Roedby verlief absolut reibungslos, sodass noch etwas Zeit blieb, bis der EC 232 dort zum Einsteigen eintraf. Die Prozedur für Fahrgäste von Kopenhagen nach Deutschland ist aufgrund von Bauarbeiten derzeit etwas skuril:
Als Erstes steht die oben genannte Busfahrt auf dem Programm. Dann steigen alle Fahrgäste in Roedby in den aus Nykoebing F kommenden Zug; dieser fährt auf das Schiff (Fahrtzeit ca. 2 Minuten) und dort müssen alle wieder aussteigen, da ja bekannter Maßen der Verbleib im Zug während der Überfahrt nicht erlaubt ist. Das könnte man bestimmt auch so lösen, dass man als Fußgänger das Schiff betritt - aber egal!
Die Überfahrt begann mit ca. 10 Minuten Verspätung, die auch bis zur Ankunft in Puttgarden gehalten wurden. Ich sah dabei den Anschluss in Hamburg schwinden. Verstärkt wurden diese Gedanken, als wir zwar recht zügig das Schiff verließen, aber im Bahnhof Puttgarden erstmal die Motoren wieder abgeschaltet wurden. Der Grund: Warten auf den Gegenzug! Im Endeffekt waren wir um 18:30 Uhr mit +14 in Hamburg und der Anschluss um 18:24 Uhr war natürlich weg. Nächste Reisemöglichkeit: ICE 887 um 19:27 Uhr.
Dieser war pünktlich um 20:58 Uhr in Hannover und Dank einer verspäteten Westfalenbahn konnte ich den Zug, der planmäßig um 20:55 Uhr fahren sollte, noch erreichen und war um 21:58 Uhr (statt 20:41 Uhr nach ursprünglicher Planung) in Braunschweig.

Fazit: Würde ich jederzeit wieder so planen, denn bei 1.060* zurückgelegten Kilometern ist eine Verspätung von 77 Minuten meiner Meinung nach zu vernachlässigen.

*= Ich habe jeden Streckenabschnitt so berechnet, wie ich ihn auch tatssächlich gefahren bin und nicht, wie ursprünglich geplant. Also für Lund - Malmö die Straßenkilometer.

Ich hoffe ich konnte euch mit meinen Zeilen ein wenig unterhalten?!
Sollten Fragen zu dieser Tour aufgetreten sein: fragt einfach!

Die Hinfahrt fand übrigens wie folgt statt:
Braunschweig WFB Hannover ICE Hamburg RE Flensburg EC Fredericia ICL Kopenhagen R Malmö „Snälltåget“ Norrköping und war äußerst unspektakulär, denn überall waren - im Gegensatz zur Rückfahrt - Puffer und Reserven eingebaut. Außerdem kam es zu keinen nennenswerten Verspätungen.

Viele Grüße
fabs

--
Es gibt Dinge im Leben, die dich schnell aus der Bahn werfen können!
Zugbegleiter zum Beispiel...

Coole Story, sei froh, dass der Einklemmschutz funktioniert!

Paladin, Hansestadt Rostock / Stralsund, Samstag, 17.08.2019, 20:35 (vor 1675 Tagen) @ fabs

- kein Text -

Die Länge einer Fingerkuppe (Reisebericht ohne Bilder)

Regiosprinter, Sonntag, 18.08.2019, 20:57 (vor 1674 Tagen) @ fabs

Mensch Fabian,

gerade noch auf Deutschlands nördlichster Insel, und dann schon wieder in Norrköping?
Danke übrigens für die Postkarte!

Einen ähnilchen Übergang hatte ich im März 2017 in Hamburg Hbf:
Ankunft RE aus Norden .16, Abfahrt ICE gen Süden zur Minute .24.
Verspätung des RE? Natürlich ACHT Minuten!
Also strategisch günstig an einer Tür positioniert und unmittelbar nach Türfreigabe wie ein Bekloppter von Gelis 12 auf 13 gesprintet - Türe noch offen, Sekunden später war sie zu... Da macht sich dann wieder ein Rucksack statt eines Rollkoffers bezahlt!

Viele Grüße
Klaus

PS: Da fällt mir ein - so ähnlich wie mit der Fingerkuppe hatten wir es vor Jahren mal in Salzburg, als wir praktisch mit dem ZuB in den anfahrenden Zug gesprungen sind...

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