Von korsischer Eisenbahn und russischem Nachtzug – 1/4 | 56B (Reiseberichte)

TD, Samstag, 13.04.2019, 16:45 (vor 1812 Tagen)

Hallo zusammen,

zuletzt hatte ich Euch auf eine sommerliche Reise nach Portugal mitgenommen, nun kommen wir in den Herbst.
Ich habe Ende September Geburtstag und in einem Anflug von Übermut hatte ich für das Geburtstagswochenende recht früh ein Schlafwagenabteil im russischen Nachtzug ab Nizza gebucht. Russland würde mich zwar auch mal interessieren, das ist aber doch recht weit und kompliziert – für den Anfang sollte die Strecke Nizza-Innsbruck genügen. Wie wir nach Nizza kommen sollten, wusste ich zum Zeitpunkt der Nachtzugbuchung noch nicht und ob ich überhaupt Urlaub bekommen würde, ebenfalls nicht. Gut, ganz blauäugig hatte ich die Buchung auch nicht gemacht, es gab einen Plan B, der sah vor, am Samstag tagsüber vom Bodensee nach Nizza zu fahren, dort den Nachtzug zu besteigen und am Sonntag von Innsbruck wieder nach Hause zu reisen, das wäre ein kompakter 35-Stunden-Wochenend-Trip ganz ohne notwendige Urlaubstage geworden.
Aber es kam anders. Auf der Suche nach Reisezielen rund um Nizza kamen mir erst die üblichen Klassiker wie Tendabahn oder Train des Pignes in den Sinn; als ich den Blick jedoch in etwas größerem Umkreis auf der Landkarte schweifen ließ, stach mir Korsika ins Auge. Und die Idee Fähre + Mittelmeerinsel + russischer Nachtzug gefiel mir als Geburtstagstour eigentlich recht gut. Blieb nur ein Problem: wo bekomme ich dann noch eine anständige Geburtstagstorte für die Lieben zu Hause her? Tja, da hilft alles nichts, dann müssen wir auch noch nach Wien, eine Sachertorte kaufen.

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Das Ergebnis dieser wirren Überlegungen war eine sechstägige Rundfahrt durch fünf Länder. Von Konstanz aus fahren wir durch die Schweiz nach Italien und besteigen in Livorno die Fähre nach Korsika. Dort befahren wir das komplette Streckennetz der Chemins de fer de la Corse zwischen Bastia, Ajaccio und Calvi und setzen dann mit der Fähre über nach Nizza. Einen halben Tag verbringen wir im Umkreis von Nizza, anschließend reisen wir mit dem Nachtzug nach Innsbruck und von dort mit dem EC Transalpin nach Graz. Anschließend fahren wir „hintenrum“ über Thermenbahn, Wechselbahn und Aspangbahn nach Wien und von dort wieder nach Hause.
Die erstklassige Tour fand schon im Herbst 2017 statt, begleitet hatte mich mein Bruder.


Tag 1: Konstanz – Zürich – Mailand – Pisa – Livorno

Die erste Etappe unserer Reise habe ich diesmal etwas kürzer gefasst, denn die Relation Konstanz – Zürich findet sich nun wahrlich nicht das erste Mal in meinen Reiseberichten. Und das Wetter ist bei der Abfahrt auch nicht so toll, das steigert die Vorfreude auf die Sonne am Mittelmeer. Mit einem Interregio der SBB fahren wir von Konstanz nach Zürich.

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In Zürich wechseln wir auf den Eurocity nach Mailand. Ein „Astoro“ (ETR 610) wird uns nach Italien bringen, der Name ist abgeleitet vom italienischen Begriff Astore für den Habicht. Der Zug ist damit das ornithologische Pendant zum Giruno (deutsch Mäusebussard).

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Zürichsee – Zuger See – Vierwaldstätter See – Gotthardbahn mit Gotthard-Basistunnel – Luganersee... auch diese Strecke habe ich gefühlt schon unzählige Male befahren und in Reiseberichten verarbeitet, so belassen wir es auch bei der Alpenquerung beim Telegrammstil.

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Ab Mailand steht ein Frecciabianca auf unserem Reiseplan, der „weiße Pfeil“ entpuppt sich als ETR 460-Triebzug. Der Zug fährt von Mailand nach Rom, aber nicht auf dem direkten Weg, sondern via Genua und entlang der Küste.

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So stellt man sich das vor: während nördlich der Alpen schon der Herbst Einzug hält, lacht über Italien noch die Sonne. Nur die Landschaft ist hier in der Po-Ebene noch etwas öde...

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...aber auch hier kündigt sich Abwechslung an, durch den Ligurischen Apennin geht es hinab zum Meer. Vermutlich sind wir damals auch unter dem Polcevera-Viadukt hindurchgefahren und hatten der Autobahnbrücke über den Gleisen wenig Beachtung geschenkt, einige Monate später war jene Morandi-Brücke nach dem Einsturz in aller Munde.

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Im Bahnhof Genova Piazza Principe steht der Zug planmäßig 20 Minuten, anschließend führt die Strecke an der Küste des Ligurischen Meers nach Süden. Die Strecke ist landschaftlich reizvoll, das Gegenlicht verhindert aber weitere Bilder aus dem Zugfenster.

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Gut, wenn in Fahrtrichtung rechts die Sonne über dem Meer blendet, schauen wir halt links raus, wo sich die Apuanischen Alpen erheben.

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Bei diesem Bild fahren wir im Stadtgebiet von Pisa über den Fluss Arno, am linken Ufer die mittelalterliche Zitadelle mit dem markanten Torre Guelfa. Obwohl der Zug direkt bis Livorno fährt, steigen wir eine Station zuvor am Bahnhof von Pisa aus und legen dort einen Zwischenstopp ein.

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Hier sind wir an der Piazza Garibaldi, vor dem Casino dei Nobili erinnert eine Statue an Giuseppe Garibaldi, einen Guerillakämpfer der italienischen Einigungsbewegung. In unserem Rücken...

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...die Ponte die Mezzo und der Palazzo Pretorio. Dass das noch nicht alle Bilder aus Pisa waren, dürfte nun kaum überraschen. Da fehlt noch etwas, und dazu laufen wir weiter durch die Altstadt...

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...zum Dom Santa Maria Assunta. Weitaus berühmter als der Dom ist dessen freistehender Glockenturm. Schön während des Baus der dritten Etage des Turm im Jahr 1185 begann sich der Turmstumpf zu neigen, woraufhin ein Baustopp von rund 100 Jahren eingelegt wurde. Dann setzte man den Bau des 55 Meter hohen Campanile fort, der Bau aus Carrara-Marmor wurde damit zum Wahrzeichen von Pisa und Unesco-Welterbe.

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Für den Rückweg zum Bahnhof wählen wir einen anderen Weg, dieser führt uns vorbei an der kleinen Kirche Santa Maria della Spina am Ufer des Arno. Die Kirche stand früher näher am Flussufer und musste mehrfach wegen Hochwasserschäden restauriert werden, so dass sie letztendlich versetzt wurde und heute höher über dem Flusspegel steht.

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Vom Bahnhof Pisa Centrale fahren wir nun nach Livorno. Die beiden Städte liegen rund 15 Minuten auseinander, es gibt ein dichtes Angebot an Regionalzügen. Mit einem Elektrotriebwagen fahren wir das kurze Stück auf der Ferrovia Leopolda, die Bahnstrecke verbindet Livorno mit Florenz und wurde ursprünglich gebaut, um die Hafenstadt mit der Hauptstadt der Toskana zu verbinden.

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An der Stazione di Livorno Centrale endet unsere heutige Bahnfahrt. Der Bahnhof mit der monumentalen Fassade wurde 1910 eröffnet. Hier können wir die letzten Sonnenstrahlen einfangen; der Bahnhof liegt recht weit draußen, bis wir im Zentrum angekommen, setzt die Dämmerung ein.

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Livorno hat knapp 160.000 Einwohner und besitzt einen der größten italienischen Häfen. Ein großer Teil der historischen Bausubstanz wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, viele alte Gebäude und ehemalige Lagerhäuser findet man noch im Stadtviertel Venezia Nuova. Das Viertel wurde 1629 angelegt und ist von Kanälen durchzogen, die an Venedig erinnern.

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Und mit dem Palazzo Granducale, ab 1605 als Teil des großherzoglichen Hofs gebaut, beenden wir den ersten Reisetag.

Es geht gleich weiter...

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Von korsischer Eisenbahn und russischem Nachtzug – Forts.

TD, Samstag, 13.04.2019, 16:46 (vor 1812 Tagen) @ TD

Tag 2: Livorno – Bastia – Ajaccio

Um 8 Uhr startet die Fähre von Livorno nach Korsika, entsprechend früh müssen wir das Hotel verlassen und uns auf den Weg zum Fährterminal machen. Der Weg führt uns wieder entlang der Kanäle von Venezia Nuova.

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Mit der Mega Express Two stechen wir nun in See, das Fährschiff wurde 2001 in Livorno gebaut. Ich hatte ursprünglich bei einer anderen Reederei gebucht, dort gab es ein Übernachtungsangebot, bei dem man am Abend schon einchecken und auf der Fähre hätte übernachten können – damit wäre der Morgen sicherlich entspannter gewesen. Einige Tage vor der Reise kam jedoch eine Mail, dass man die Übernachtung doch nicht anbieten könne. Notgedrungen hatte ich dann ein Hotelzimmer in Livorno gebucht und habe dann aus Verärgerung die Fahrkarte bei jener Reederei komplett storniert.

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Vom Oberdeck der Fähre gibt es einen Blick über den Hafen, der Turm Mastio di Matilde gehört zur alten Festung Fortezza Vecchia di Livorno, die im Mittelalter von der Stadt Pisa erbaut wurde.
Im Hafen liegt die Amerigo Vespucci, das bekannteste Segelschulschiff der italienischen Marine. Das Schiff lief 1931 vom Stapel und ist seither als Schulschiff in Gebrauch.

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Korsika wird von verschiedenen Häfen aus angefahren, die kürzeste Strecke ist die Verbindung von Livorno über das Tyrrhenische Meer nach Bastia. Die Überfahrt dauert 3 Stunden, nach dem Frühstück an Bord verbringen wir die Fahrt auf dem Sonnendeck. Das fühlt sich an wie eine Mini-Kreuzfahrt, da kommt Urlaubsstimmung auf.

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Schließlich taucht Korsika am Horizont auf. Die Mittelmeerinsel ist 83 Kilometer vom italienischen Festland entfernt, gehört aber zu Frankreich. Korsika besteht zu einem großen Teil aus einem Hochgebirge, das macht später auch das Bahnfahren so interessant.

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Mit etwas Verspätung erreicht die Fähre den Hafen von Bastia. Bastia ist mit 45.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Insel und wichtige Hafenstadt.

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Wäre die Fähre pünktlich gewesen, hätten wir in Bastia schon den Mittagszug bekommen. Rückblickend bin ich über die Verspätung dankbar, denn Bastia ist auf jeden Fall einen Besuch wert und die Zeit bis zum Nachmittagszug lässt sich hier gut verbringen. Vom Place Saint Nicolas am Fährhafen starten wir unsere Stadterkundung in die Altstadt.

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Zu den bekanntesten Fotomotiven zählt der Blick über den alten Hafen Vieux Port zur Barockkirche Saint-Jean-Baptiste. Das doppeltürmige Bauwerk aus dem 17. Jahrhundert ist für viele Besucher, die mit der Fähre nach Bastia kommen, ein markantes Erkennungszeichen.

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Oberhalb des Hafens liegt der Stadtteil Terra Nova mit der Zitadelle, dem ehemaligen Gouverneurspalast und weiteren historischen Gebäuden. Die Zitadelle gab der Stadt auch ihren Namen Bastia, das leitet sich von dem italienischen Bastiglia für Zitadelle ab.

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So, jetzt wird es langsam aber Zeit für den Zug und wir machen uns auf den Weg zum Gara di Bastia. Amtssprache auf Korsika ist Französisch, daneben ist Korsisch als Regionalsprache anerkannt. „Gara“ ist Korsisch und unschwer als Bahnhof (vom Französischen Gare) zu erkennen. Die Ortsschilder auf Korsika sind zweisprachig. Korsika wurde 1768 von Genua an Frankreich verkauft, dabei wurden die Ortsnamen nicht französiert, sondern wurden in der ursprünglichen italienischen Fassung erhalten. Das macht es dem Reiseberichtsautor etwas einfacher, wenn man ohne die diakritischen Zeichen auskommt.

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Die korsische Eisenbahn Chemins de fer de la Corse (CFC) betreibt auf der Insel ein Meterspurnetz mit einer Hauptstrecke von Bastia in die Hauptstadt Ajaccio und einer Zweigstrecke nach Calvi. Wir wollen das komplette Streckennetz der CFC befahren, heute starten wir mit der Strecke von Bastia nach Ajaccio. Die CFC ist eine Tochter der SNCF, sie agiert aber sehr eigenständig, weder Fahrplan noch Tickets sind über die SNCF zu finden.

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Eingesetzt wird ein Doppeltriebwagen der Reihe AMG-800, dieser Fahrzeugtyp ist seit 2007 auf der Insel anzutreffen, er ist weitgehend identisch mit den Fahrzeugen des Train des Pignes von Nizza nach Digne-les-Bains.

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Bastia liegt im Nordosten der Insel, Ajaccio im Südwesten. Die Fahrt zwischen beiden Küstenstädten führt einmal diagonal über die Insel und dauert 3 Stunden 45 Minuten. Die ersten paar Kilometer führen durch das Flachland an der Küste und sind eher langweilig, dann führt die Strecke ins Innere der Insel und eine beeindruckende Fahrt durch die Berglandschaft Korsikas beginnt.

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Die Strecke wurde von 1888 bis 1894 erbaut, aus jener Zeit stammt auch der Bahnhof von Francardo. Er wurde von der Compagnie de chemins de fer départementaux (CFD) erbaut und am 1. Februar 1888 eingeweiht.

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Auf dem Weg von Küste zu Küste überwindet der Zug einen Höhenunterschied von 930 Meter, dabei passieren wir unzählige Brücken und Tunnel. Noch dazu dieses Prachtwetter – einfach herrlich!

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Das bekannteste Bauwerk der Strecke ist der Vecchio-Viadukt. Der Schattenwurf macht es möglich, auch aus der Fahrgastperspektive einen Eindruck des 140 Meter langen und 80 Meter hohen Bauwerks zu bekommen. Der Entwurf geht auf Gustave Eiffel zurück.

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Der Bahnhof von Vivario stammt aus dem Jahr 1892, er wurde 2015 saniert und vom damaligen Regierungschef von Korsika mit den Worten wiedereröffnet „On est quand même sur l'un des plus beaux parcours ferroviaires du monde!“ (Wir sind immer noch auf einer der schönsten Eisenbahnstrecken der Welt!) – und ich denke, da hatte er Recht.
Kurz darauf durchfährt der Zug den knapp 4 Kilometer langen Vizzavona-Tunnel, der den Hauptkamm des korsischen Hochgebirges unterquert.

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Schließlich erreicht die Bahnstrecke die Westküste Korsikas. Nach 157 Kilometern endet die Zugfahrt gleich in Ajaccio – zuvor gibt es auf den letzten Metern noch einen Blick über den Golf von Ajaccio.

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Mit 70.000 Einwohnern ist die Hauptstadt der Insel nun auch keine Großstadt. Ajaccio hat mit ihren Boulevards und der Bebauung in warmen Rot-, Orange- und Gelbtönen einen anderen Charakter als Bastia, die Stadt wirkt mondäner und französischer.

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Ajaccio ist der Geburtsort von Napoleon Bonaparte, der Kaiser der Franzosen wurde 1769 auf Korsika geboren. Mit der Statue de Napoléon Empereur Romain, Fontaine des 4 lions erinnert die Stadt an den Kaiser.

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Und mit einem Blick über den Strand und die Küstenpromenade von Ajaccio endet der zweite Reisetag und damit auch dieser Teil. In den nächsten Tagen folgt Teil 2, darin fahren wir von Ajaccio zurück nach Bastia und schauen uns die Stichstrecke nach Calvi an.


Viele Grüße und einen schönen Sonntag

Tobias

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[image] "Fensterplatz, bitte." - Meine Bahnreiseberichte.de.| instagram.com/fensterplatz.bitte/

Wow! Ein gelungener Anfang:)

462 001, Taunus, Sonntag, 14.04.2019, 11:39 (vor 1811 Tagen) @ TD

- kein Text -

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Von mir besuchte Bahnhöfe
- Deutschland: 1434 (+13)
- Eu. Ausland: 664 (+0)

Stand: 10.03.2024

Grazie!

JanZ, HB, Sonntag, 14.04.2019, 14:06 (vor 1811 Tagen) @ TD

Das soll laut Google auch das korsische Wort für Danke sein :-). Danke für den Bericht, ich bin gespannt auf die nächsten Teile. Korsika steht auch noch auf meiner Liste :-).

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Im Volk, da ist sie sehr beliebt, unsere Eisenbahn,
Doch dort, wo's keine Schienen gibt, da hält sie selten an.

(EAV: Es fährt kein Zug)

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