Stadtbummel und Walkürenritt oder Mit ICE 4 nach Nürnberg (Reiseberichte)
Moin an alle!
Ich hatte es schon seit einiger Zeit vor, die neueste Schnellfahrflotte der DB zu testen. Deswegen habe ich meinen nächsten Ausflug ins schöne Bayern so geplant, dass es in beide Richtungen mit ICE 4 ging: am Morgen hin, am Nachmittag zurück. Das Reiseziel war Nürnberg: die wunderschöne Altstadt und das sogenannte Reichsparteitagsgelände, ein kollossales Denkmal aus der Era des Dritten Reiches.
Nun endlich ist es so weit: es ist früher Morgen, die Sonne geht auf, ich sitze in einem nagelneuen ICE 4, 2. Klasse, und los geht die Reise. Eine Bemerkung zu den Sitzen: sie sind so was von gewöhnungsbedürftig. Die gerade Sitzposition, mit meinen 175 cm, ist ziemlich unbequem, wenn man sich aber tiefer in den Sitz lehnt, dann wird es ganz komfortabel. Ob man nach mehreren Stunden Fahrt in so einem Sitz Rückenschmerzen kriegt, wie jemand hier im Forum behauptet, habe ich nie erfahren, da ich meinen Sitzplatz ziemlich bald für einen im Bordrestaurant austauschte.
Halbe Stunde nach der Abfahrt, in Hamburg-Harburg, kam die Durchsage: "Der Zug bleibt hier einige Minuten länger stehen, und das Licht geht kurz aus, wir müssen ein Reset beim System machen". Diese Reise fängt schon mal abenteuerlich an, dachte ich.
Kurz nach der Abfahrt aus Harburg kam die Bordgastronomiekraft durch den Wagen gelaufen. "Kaffee, Cappuccino, Kaffee, Cappuccino..." - "Wenn es bei Ihnen Tee gibt, dann komme ich gleich selbst zum Besuch" - "Tut mir leid, wir haben keinen Strom mehr fürs Wasserkochen, das ist alles, was ich noch fertiggemacht habe.." Da konnte ich mir die Ironie nicht verkneifen: "Wow, der neue ICE 4, frisch aus der Herstellung, der schon nach einer halben Stunde streikt, und der genug Strom zum schnellen Fahren hat, aber nicht genug, um eine Tasse Tee zu kochen..."
An dieser Bordgastronomiekraft habe ich übrigens sofort die Anwort auf meine ehemalige Frage erhalten, ob man mit einem Akzent eine Chance auf so einen Job hat. Denn das war eine wirklich waschechte Bayerin, mit einem Akzent, der zwar nicht ausländisch, aber sehr stark bayerisch war :-)
Dann habe ich mich ins Bordrestaurant versetzt, ansatt von Tee ein Weizenbier bestellt und Kopfhörer angezogen. Weiter ging die Fahrt in Begleitung von Wagner und Beethoven. Ich kenne keine schönere Art von Reisen als so eine ICE-Fahrt, untermalt mit schneller, kraftvoller Orchestermusik. Welche Zahl auch immer im Moment auf dem Geschwindigkeitsdisplay steht, kommt einem gleich zweimal schneller vor, wenn in den Kopfhörern gerade der Walkürenritt oder der 4. Satz von Beethovens 5. Sinfonie donnert. Es ist nicht nur besser, als Auto fahren, sondern besser als jeder Boeing: der Boeing hebt ab und verschwindet in den Wolken, und hier geht es mit über 200 Sachen quer durch wunderschöne Landschaften unseres Landes. Etwas unverständlich sind mir die Mitreisenden, die während der ganzen Fahrt mit ihren Handys spielen und nicht einmal einen Blick aus dem Fenster werfen.
Irgendwo auf dem Weg nach Hannover stand plötzlich ein kleiner Reh neben dem Gleis und schaute fassungslos zu...
Wie groß die Verspätung bei der Abfahrt aus Harburg war, habe ich nicht mehr in Erinnerung, aber Göttingen wurde mit 3 Minuten Verfrühung erreicht. Ich weiß nicht, ob der ICE 4 objektiv bessere Beschleunigung hat, als die anderen, aber so wie es mir vorkam - das Teil geht ab wie eine Rakete. In Nürnberg war dann der Zug pünktlich angekommen, und ich machte mich auf den Weg.
Die Tribüne des Zeppelinfeldes auf dem Reichsparteitagsgelände. Hier fanden zur Zeit des Dritten Reiches massive Veranstaltungen der NSDAP statt. Die gesamte Anlage hat die Größe von 12 Fussballfeldern und bot Platz für 320 000 Menschen - ein beeindruckender Denkmal jener Zeiten.
Das Großteil der Tribünen ist schon längst mit Gras bewachsen. Auf dem selbst Feld ist nun eine Motorradrennstrecke und ein Übungsplatz einer Fahrschule.
Eine Aussicht über den Dutzendteich auf das unvollendete Gebäude der Kongresshalle - ebenfalls aus jener Zeiten.
Der Innenhof der Kongresshalle. Die Architektur sollte an das römische Colosseum erinnern.
Abbildung der Nürnberger Altstadt am Bahnhof Nürnberg.
Nun ging es wieder am Bahnhof vorbei in die andere Richtung, zu der mittelalterlichen Altstadt, über eine der malerischen Brücken uber der Pegnitz,
dann zum Hauptmarkt mit dem Schönen Brunnen in der Mitte, wo ich dann noch die traditionellen Nürnberger Lebkuchen einkaufte,
und dann zur Kaiserburg.
Rechts ist die sogennannte Kaiserstallung, stammt ebenfalls aus dem späten Mittelalter, wird aber heuzutage als Jugendherberge (mit der Addresse Burg 2) verwendet.
Bei meinem vorherigen Besuch in Nürnberg hielt ich auch mal dort Aufenthalt, und es war ein Erlebnis für sich, inmitten so alten, ehrwürdigen Mauern zu übernachten.
So habe ich den Tag bei der Stadtbesichtigung verbracht, und dann war es allmählich Zeit für die Rückfahrt. Wieder ein nagelneuer, blitzblanksauberer ICE 4 am Bahnsteig. Ich bleibe in meinem Sitz genau so lange, bis meine Akku wieder voll ist, dann erstatte ich einen Besuch den Bordgastronomen. Ein Tee, dann ein schönes kaltes Weizenbier... Kopfhörer an, Blick nach draußen, Wagner, Beethoven, Bruckner, Schumann - volle Programm. Grüne, sonnendurchflutete Landschaften fliegen am Fenster vorbei. Die Stundenkilometerzahl auf dem Display kriecht an 200 vorbei, 210.. 220.. 249. OK, denke ich, mehr als 249 wird es heute sicher nicht, da das Fahrzeug nicht mehr als 250 kann, die entsprechende Zahl ist sogar auf der Unterseite der Wagen angebracht.
Dann plötzlich 250... 251.. 255.. und für einige Minuten, ganze stolze 258.. wow! Ich hätte nie gedacht, dass es möglich oder erlaubt ist, die Zulassungsgeschwindigkeit vom Fahrzeug zu überschreiten.
Kurz danach kam der Gastronom mit der Rechnung. Ich gab ihn ein bisschen Trinkgeld und sagte dabei: "Wenn ich dem Lokführer Trinkgeld geben könnte, würde ich das auch tun. Das mit 258 war total beeindruckend, wie er gebrettert hat." Der Gastronom überlegte kurz: "Sie können ihn ein Kaffee kaufen, wennn Sie möchten, er würde sich bestimmt freuen." Und obwohl ich die Tatsache, dass der Lokführer im eigenen Zug nicht mal einen kostenlosen Kaffee vom Team bekommt, sondern muss ihn zum gleichen Preis wie die Fahrgäste kaufen, total absurd fand, sagte ich: "Na dann, einen Kaffee in den Führerstand, bitte!"
Zwischen Hannover und Hamburg kam dann der Gastronom wieder. "Wenn Sie noch ein Bier möchten, wäre es für Sie auf Kosten des Hauses". "Sehr nett von Ihnen... Eigentlich habe ich es vor, mich selbst im nächsten Jahr für einen Job in der Bordgastronomie zu bewerben..." "Machen Sie das! Die Bahn braucht gute Menschen!" :-)
So habe ich noch ein zweites Bier genossen, während der ICE über die Elbbrücken und an der wunderschön in der Sonne glänzenden Elbphilharmonie vorbei steuerte. Dann stieg ich im Bahnhof Altona aus, und das Gastronomie-Team stieg aus hinter mir. "Schönen Feierabend!" "Nein, das heißt für heute schöne Übernachtung. Wir gehen gleich ins Hotel, und morgen geht es zurück nach Bayern... Übrigens, falls Sie dem Lokführer selbst mal hallo sagen möchten, er ist immer noch da vorne".
So ging ich in Richtung Ausgang ans Lokführerfenster vorbei. "Hallo, Herr Lokführer, ich bin diejenige, die Ihnen den Kaffee spendiert hat. Das war meine erste Fahrt mit dem ICE 4, und das mit 258 Sachen fand ich total beeindruckend". "Na, dann möchten Sie vielleicht ein paar Erinnerungsfotos haben?"
Und so ist dieses letzte Foto entstanden - Verrreisende am Steuer des neuen Flagschiffs der DB Flotte.
Und dann war diese Reise zu Ende.
Vielen Dank fürs Lesen und
Liebe Grüße aus Hamburg