Dieser kleine Bericht aus dem Stellwerk eines fiktiven Bahnhofs, der so ziemlich meinen Arbeitsalltag wiederspiegelt, ist für alle gedacht, die immer sofort schreien, sobald ihr Zug mehr als 1,5 Min Verspätung hat, die grundsätzlich alles besser wissen und im Zug bei einer Standzeit von 2 Sekunden vor einem haltzeigenden Signal schon eine Verschwörung gegen sich, die Bahn und die Menschheit vermuten und Fdl, Zugdisponent, BuPol, Netzko und Frau Merkel anrufen müssen (woher die immer die Nummern haben, würde mich mal interessieren) – und die wahrscheinlich noch nie ein Stellwerk von innen gesehen haben. Und für diejenigen, die sich einfach nur ein bisschen auch dafür interessieren und nicht nur für das rollende Material. Er ist nicht für Eisenbahner gedacht, die sich in der Materie auskennen, der Bericht ist so einfach wie möglich geschrieben ;)
Eine ganz normale Spätschicht im Stellwerk Münchstadt hat gerade die hektische Phase erreicht, es wird 16:30 und damit Hauptverkehrszeit. Noch einmal zur Erinnerung:
Der Bahnhof Münchstadt liegt an der zweigleisigen Hauptstrecke Großburg – Bachheim. In Münchstadt zweigt außerdem die eingleisig Nebenbahn nach Hinterwald ab. Der Bahnhof hat zwei durchgängige Hauptgleise (1 und 2), das Ausweichgleis 3 und das Stumpfgleis 1a sowie ein Ausweichgleis 4 ohne Bahnsteig. Des Weiteren zweigen vom Gleis 4 noch zwei Anschlussgleise in die nahe Fabrik und zum Schrotthändler ab. Der Bahnhof wird vom Spurplanstellwerk Mf der Bauart Sp Dr S 60 gesteuert.
Den ganzen Tag war es mir schon komisch vorgekommen. Keine nennenswerten Verspätungen, keine Techniker, der Chef hatte auch Urlaub und stört nicht, alles in bester Ordnung. Auch der Güterzug 48398 war erstaunlich pünktlich und fuhr mit gerade einmal 4 Minuten Verspätung in Richtung Bachheim.
Doch wie es an solchen Tagen kommen musste, klingelte kurz nach der Durchfahrt des Zuges der GSM-R Zugfunk und der 48398 meldet sich: „Grüß dich Kollege, “ meint der Tf. „Du, ich steh in km 13,6, mir ist gerade der Hauptschalter raus gefallen, ich muss mal eben nachschauen, irgendwas stimmt an meiner Lok nicht.“ Jaja, denk ich, schau mal eben und will gerade meinen Bachheimer Kollegen anrufen, als mein Blick auf dem Stelltisch erstarrt. Scheiße, denk ich, die Kiste steht ja mitten in der Einschaltstrecke des Bahnübergangs (Bü) im km 14,0. Nicht mehr lang und der Zeitüberschreitungsmelder hupt.
Auf Grund einer Anweisung gilt dieser Bü auch bei einer Zeitüberschreitung als gestört. Zum Glück nähert sich kein Zug aus Bachheim. Also gleich den Bachheimer Fdl anrufen: „Fahrdienstleiter Bachheim“ – „Ja, Münchstadt ist hier, du, der 48398 ist auf der Einschaltstrecke des Bü 13,6 stehen geblieben und ich bekomme gleich eine Störungsmeldung“, sag ich und höre in diesem Augenblick die Hupe. „Alles klar“, meint Bachheim routiniert, „dann gebe ich dem nächsten Zug mal einen Befehl mit!“
Zur Sicherheit sperre ich noch das Zentralblocksignal 34 vor dem betroffenen Bü und bringe die Merker BUE an. Kurze Zeit später meldet der Bachheimer den Regionalexpress ab. „Fahrdienstleiter Bachheim, Zugmeldung, Zug 23134 in Bachheim mit Befehl 8 ab 43.“ Ich wiederhole und entsperre das Blocksignal 34.
Im Befehl 8 steht sinngemäß, dass vor dem Bü zu halten ist und weiter gefahren werden darf, wenn der Bü gesichert ist. Die Sicherung geschieht durch den Tf.
Nach endlos wirkenden 6 Minuten meldet sich der Tf des Güterzugs 48398 bei mir. „Du ich bekomme die Lok nicht mehr fit, ich probiere noch ein wenig, aber das sieht schlecht aus. Ich glaube ich komme hier nicht mehr weiter.“
Na wunderbar, denke ich, denn gerade kommt die RB 23837 aus Großburg in den Bahnhof eingefahren. Na, das ist ein Fall für den Zugdisponent in der BZ. „Münchstadt, Müller“, melde ich mich, „Kollege, wir haben folgendes Problem, der 48398 steht in km 13,6 und hat Lokschaden und kommt nicht mehr weiter, eingleisig können wir noch fahren!“ „Ok, ich organisiere eine Hilfslok und melde mich gleich wieder wie wir weiter verfahren“, antwortet mein Disponent.
Daraufhin rufe ich den Bachheimer wieder an und sperre das Gleis Münchstadt – Bachheim wegen des liegen geblieben Zugs mit den Worten „Gleis von Münchstadt nach Bachheim gesperrt“ und male meinen Sperrkaten ins Zugmeldebuch. Des weiteren bringe ich eine Hilfssperre an der Zieltaste und den Merkhinweis X an.
Erneut klingelt der Zugdisponent bei mir. „Also wir haben entschieden, dass die Regionalbahn bei dir verendet und als 29090 wieder zurück nach Großburg im Plan des 23838 geht. Der 23838 endet in Bachheim und wendet dort. Dafür schickste mir den RE 23135 Gegengleis nach Bachheim“.
Also ausrufen, da fällt mir auf, dass der Gegenregionalexpress wegen der Bü-Störung auch schon 6 Minuten später ist. Das hab ich ganz vergessen auszurufen, aber in so einem Fall geht die Sicherheit des Bahnverkehrs vor! Also die Durchsage, dass die RB endet und die Leute mit dem RE fahren sollen, der Abweichend von Gleis 3 fährt und dann hat der RE nach Großburg auch noch 6 Min. Verspätung. Die Ansage so schnell wie möglich runter gebrochen, denn der RE aus Bachheim kommt schon und hier muss ich noch die Einzelräumungsprüfung durchführen, da ich gleich Gegengleis fahren möchte.
So da es gerade so hektisch wird, kommt jetzt mal die Werbung, ähh nee, eine kurze Erklärung zum Gegengleisfahren, was die Bundesbahner immer noch als Falschfahren bezeichnen. Es gibt dabei drei verschiedene Möglichkeiten:
- die erste ist mit Befehl: der Tf erhält den Befehl, am Ausfahrsignal vorbeizufahren, im Gegengleis zum nächsten Bahnhof zu fahren und dort je nach Zustand [welcher Zustand? Des Einfahrsignals?] in den Bahnhof einzufahren oder davor zu halten
- die zweite Möglichkeit ist der SFB, der Signalisierte Falschfahrbetrieb: der Tf erhält am Ausfahrsignal Zs 8 und weiß damit, dass er bis zur nächsten Zugmeldestelle im Gegengleis fährt, dort erwartet ihn dann ein Signal, entweder Hp0, Zs1 oder Sh1
- die dritte und einfachste Möglichkeit ist der Gleiswechselbetrieb, wobei ganz einfach ohne irgendwelche Faxen mit Hauptsignal und Zs 6 aus- und wieder eingefahren wird.
In Münchstadt liegt die zweite Möglichkeit vor, das Fahren mit Zs 8.
Also zurück in die Hektik auf dem Stellwerk. Der RE aus Bachheim nach Großburg fährt gerade ein. Schnell auf den Schluss geschaut und dann wieder den Bachheimer ans Telefon hergeholt. Kurz und knapp schildere ich die Situation: „Also pass auf, der Zugdisponent hat gesagt, die beiden RB wenden auf die Gegenleistung und ich schick dir jetzt als nächstes den RE 23135 Gegengleis.“ „ Ja, erstaunlicherweise hat mich der Zugdisponent auch informiert“, antwortet zu meinem erstaunen der Bachheimer. „OK, dann führen wir das Gegengleisfahren ein“, fahre ich fort, „Ab 16:55 befahren die Züge der Richtung Münchstadt – Bachheim das Gegengleis, erster Zug ist der 23135.“ Bachheim wiederholt. „Dann mach ich gleich Zugmeldung, wird Zug 23135 im Gegengleis angenommen?“ - „Zug 23135 im Gegengleis ja!“ – „Zug 23135 im Gegengleis in Münchstadt voraussichtlich ab 59“. Bachheim wiederholt erneut. Bevor ich aber irgendwas fahren lasse, vermerke ich alles im Zugmeldebuch, also das Gegengleisfahren einführen, die Zugmeldung und die Annahme im Gegengleis sowie die vorher durchgeführte Räumungsprüfung. Außerdem bringe noch den Merkhinweis „<- ->“ an. So jetzt mal den Lokführer des 23135 verständigen und gleich den Bü-Befehl diktieren, da der Bü ja immer noch gestört ist. Zwar heißt es immer, man solle im Störungsfall ruhig bleiben, aber langsam wird es stressig. Während dem Befehl diktieren klingelt Hinterwald und will Züge fahren lassen, den RE nach Großburg hab ich auch noch nicht abgemeldet und der Zugdiponent nervt auch schon wieder und die Ansagen am Bahnsteig waren bisher auch recht spärlich. Naja, eins nach dem anderen. Nachdem der 23135 seinen Befehl hat, stelle ich die Hilfsfahrstraße ins Gegengleis. Eine Hilfsfahrstraße ist eine Fahrstraße, bei der alles einläuft und auch die Festlegung kommt, aber kein Signal kommt. Immer noch klingeln Hinterwald und der Zugdisponent und auch Großburg klingelt jetzt und will wissen was eigentlich kommt.
Dennoch konzentriere ich mich auf die Zugfahrt, hab ich alles, Zugmeldung, ja, Befehl, ja, Fahrstraße, ja, Weichenlaufkette draußen, ja, Räumungsprüfung, ja, alles klar und erst jetzt gebe schalte ich Zs 8 ein und kümmere mich um die nervenden Anrufe, shit immer noch keine Durchsagen gemacht, doch der Zugdisponent hat schon die Hilfslok organisiert um den kaputten Zug rauszuziehen.
In Großburg parken tagsüber gern ein oder zwei Lokomotiven der Reihe 185 und eine solche schickt mir Großburg auch schon als 99798.
Also gleich mal Bachheim anrufen, doch zuvor rufe ich kurz und knapp die wichtigsten Informationen durch den Lautsprecher. Für „meine Damen und Herren“ und „wir bitten um Verständnis“ habe ich keine Zeit, denn ich kann jetzt schon mal den Befehl vorbereiten, den die Hilfslok gleich bekommen wird, um als Sperrfahrt den kaputten 48398 zu entsorgen: Befehl 2, am Halt zeigenden Signal vorbei fahren, Befehl 5 Regelgleis rein und Gegengleis zurück, Befehl 9 auf Sicht fahren und Befehl 11, dass er die Unwirksamskeitstaste am Beginn der Einschaltstrecke des Büs betätigen soll, des weiteren der Fahrplan für die Sperrfahrt.
Der Bachheimer meldet sich und meldet den Gegengleis gefahrenen Zug zurück, den ich gedanklich schon abgehakt hatte. Da die Hilfslok schon eintrifft vereinbare ich gleich die Sperrfahrt und melde sie auch gleich ab. Der Schweiß steht mir auf der Stirn, denn seit bald 30 Minuten hetze ich ununterbrochen von Telefon zu Telefon, ich komme mir vor wie in einem Callcenter. Bachheim schickt mir wieder einen Zug, immer noch mit Bü-Befehl, während die Hilfslok mit den liegen geblieben Zug kuppelt. Erneut klingelt der GSM-R Funk mit der erlösenden Nachricht, die Hilfslok kann endlich mit dem kaputten Zug zurückkehren, ich stimme zu und sag zum Lokführer, er solle sich melden, wenn er vor der Einfahrt steht. Denn der Zug kehrt auf Sicht zurück, wie lange dies dauert weiß man immer nie so genau. Dann noch mal eine Schrecksekunde, der Großburger meldet den nächsten Güterzug ab. „Als ob ich jetzt für so einen Scheiß platz hab“, fauche ich ihn an. Gleis 1 steht immer noch die RB 2 brauch ich zum fahren auf 4 muss der kaputte Zug rein und drei nutze ich gerade für die Züge nach Bachheim. Also umdisponieren, den Güterzug nach 3 rein und der nachfahrende RE muss sich halt solange vor der Einfahrt gedulden, bis der Gegenzug durch ist. Wunderbar! Toll gemacht! Ich ärgere mich darüber, dass der Großburger nicht mitgedacht hat und harre der Dinge die da kommen. Doch für ärger bleibt keine Zeit denn die Sperrfahrt und der kaputte Zug verlassen die Einschaltstrecke und zu meiner Erleichterung geht die Zeitüberschreitungsmeldung weg. Puh. Keine Bü-Befehle mehr, endlich, gleich mal den Bachheimer informieren, der sich ebenso freut und einem baldigen Störungsende entgegenfiebert. Und dann endlich: die Sperrfahrt meldet sich vor der Einfahrt, aber erstmal fahr ich noch die Züge wie ausgemacht, denn jetzt das ganze noch mal umzuändern hat keinen Sinn,. Also erst der RE nach Großburg und gleich darauf der RE nach Bachheim, der mittlerweile schon seit 5 Minuten am Einfahrsignal im Gegengleis nach Bachheim steht. So und jetzt ist mein kaputtes Baby dran. Also Einfahrt aus dem gesperrten Gleis nach 4 und bald schon sehe ich das knallige rot der 185 die den Güterzug reinzieht und höre erfreut wie der Tf die Sperrfahrt für beendet erklärt. So, jetzt aufräumen: Sperrung aufheben, Gegengleisfahren beenden, Zugdisponent bescheid sagen, Merkhinweise und Hilfssperren abnehmen, den Block in Grundstellung bringen, und endlich ist auch mal wieder Zeit für eine anständige Ansage. Bis aber wieder alles im Regelbetrieb läuft wird es noch eine Weile dauern. Die RE-Doppelstockzüge haben alle hohe Verspätungen gesammelt und erhalten Wendeverspätungen, auch die Regionalbahnen müssen erst wieder in den Plan eingeführt werden, da ja alle Züge in Münchstadt und Bachheim gebrochen wurden. Aber nach ein paar Stündchen läuft wieder alles und ich kann meinem Kollegen von der Nachtschicht eine saubere Strecke übergeben.
von Turbonegro