Kapitel 2: Balkan und Ungarn. Teil 4 (Reiseberichte)

Krümelmonster, München, Samstag, 26.01.2019, 17:18 (vor 1911 Tagen) @ Krümelmonster

Der kümmerliche Nachtzug namens Beograd besteht aus vier Sitzwagen, s i w alle Großraum, davon einer 1. Klasse, sowie einem Liegewagen. In meinem Abteil waren zwei Deutsche, die gerade aus Sofia gekommen waren (mit + 160 wie am Vortag hätten sie den Übergang nicht geschafft^^) und weiter nach Dresden wollten und ein komischer Südafrikaner, der wirkte, als wäre er auf ganz merkwürdigen Drogen. In Novi Sad stiegen noch zwei junge deutsche Frauen zu. Im 6er-Abteil lagen also fünf deutsche, davon vier auf der Rückreise. Und ich hatte noch nicht mal Halbzeit! :p Der Provodnik war mäßig mürrisch, sprach ein paar Brocken Englisch, aber in meinem Morgenwahn war mir gar nicht aufgefallen, dass er mir meine Tickets nicht wiedergegeben hatte. :-O
Die Abfahrt am Startbahnhof war wieder auf die Minute pünktlich. Im Schritttempo ging es über die erste Donau-Brücke. Planmäßig 1:39 – 2:16 Uhr hielt der Zug für die Grenzkontrolle in Subotica, ich weiß nicht, ob er hier pünktlich ankam, denn ich habe geschlafen. Die Serben waren wie erwartet nicht allzu motiviert, ein kurzer Blick in den Pass, das war’s auch schon. Mit nur 10 min Verspätung ging es über die Grenze. Auch die ungarischen Grenzer von 2:30 – 3:00 (wunderschöne Zeit -.-) waren sehr entspannt, selbst beim bekifften Südafrikaner reichte ihnen ein Blick in den Pass und der Kommentar: „Jaj, Déli Afrikai!“. Auf dieser Fahrt hatte ich mir am sehnlichsten 2 h Verspätung gewünscht, aber hmpf, bis Budapest blieb es bei 10 min Verspätung, die Fahrt endete um kurz vor 6. -.-
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100 Kurz vor 6 morgens in Budapest… -.-
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101 Keleti pályaudvar
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102 Das Bahnhofsgebäude zu späterer Zeit
Ich hatte in einem Hostel in der Nähe vom Nyugati pu ein Einzelzimmer gebucht, das war früh natürlich noch nicht bezugsfertig, deshalb blieb ich nicht lange und stellte nur mein Gepäck ab. Die Stadt kannte ich schon. Ich blieb in erster Linie deshalb einen Tag hier, weil ich der serbischen Bahn nicht traute. Bei direkter Weiterfahrt hätte ich nach Bahnhofswechsel nur 45 min Puffer gehabt. Oder eben einen Tag länger. Zunächst genoss ich die morgendliche Ruhe am prächtigen Parlament, dann schaute ich dem Treiben am Keleti pu (eine Art Hbf.) zu. Anschließend fuhr ich zum Örs Vezér tere, wo ich von der Metro in die HÉV umstieg. Das ist eine Art S-Bahn, sieht zwar aus wie ne Metro, fährt aber komplett oberirdisch auf eigenem Gleiskörper und mit Oberleitung. Die aus dem Umland kommenden Strecken enden jeweils am Stadtrand mit Übergang zur Metro. Mit einem solchen Vehikel fuhr ich nach Gödöllő. Es dürfte so ziemlich die einzige Bahnstrecke im östlichen Europa (außer Slowenien) sein, wo links gefahren wird. Und wahrscheinlich bin ich noch nie auf einer Bahnstrecke derart heftig durchgeschüttelt worden worden. Auf dem Handy Tippen war während der Fahrt völlig unmöglich, am Ende war mir fast schlecht.^^ Ich war froh, als das Schüttel nach einer knappen Dreiviertelstunde den Freiheitsplatz von Gödöllő erreichte.
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103 Alte Tram
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104 – 105 Um die Uhrzeit hat man das Parlament noch für sich
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106 Metro Budapest
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107 Moderne Tram
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108 Erinnert irgendwie an Stuttgart^^
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109 Die Verkehrsbetriebe hierzulande sollten auch mit Smileys arbeiten :-)
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110 Auf nach Gödöllő!
Im Gesicht grün wie der Zug ging ich zum berühmten Schloss. Ich wollte von einem Hof aus ein Foto machen, als ich sah dass dort ein Schild hing, dass man wegen einer privaten Veranstaltung nicht auf den Hof dürfe (sogar auf Englisch). Eine Frau sprach mich an, ich wusste bloß zu antworten: „Nem magyarul…“. Sie: „Parla italiano?“ – „Si, un po'“. Dann erklärte sie mir auf Italienisch mit ungarischem Akzent, was auch auf Englisch auf dem Schild stand. Ich hatte außerhalb Italiens/des Tessins noch nie Italienisch gesprochen bzw. noch nie mit jemanden, der es auch nur als Fremdsprache konnte.^^ Das Schloss war für ungarische Verhältnisse ziemlich teuer, Fotografieren verboten und überall hingen Überwachungskameras. -.- Blöderweise mag ich keine Audioguides, und ohne Führung war das ganze dann doch etwas fad.^^ Nach dem Schloss-Besuch wackelte ich zum Bahnhof (nicht zum Haltepunkt dieses komischen Schüttels in der Stadt, sondern zum richtigen Bahnhof), wo der Ticketkauf auch auf Englisch gelang.
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111 Der Ort selbst scheint außer Plattenbauidylle wenig zu bieten
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112 Das berühmte Schloss
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113 Doppel-Flirt. Für diesen wäre ein Schnellzug-Zuschlag nötig gewesen.
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114 Ich nahm deshalb diesen etwas langsameren Artgenossen
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115 Dieser Railjet macht sich gleich auf die lange Reise nach Frankfurt
Nachmittags wartete ich nach knappem Verpassen des Vortaktes fast eine Stunde, ehe ich auf einem Schiffchen der öffentlichen Verkehrsmittel auf der Donau entlangschipperte. Das war auf jeden Fall auch eines der Highlights der gesamten Reise!
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116 Die grüne Freiheitsbrücke sowie die Pylonen der schmucklosen Elisabethbrücke vor der Kulisse der Burg
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117 Alte Tram am Ufer
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118 Gegenlichtige Burg
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119 Das Parlament in all seiner Pracht
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120 Panorama

Auch der nächste Tag begann ziemlich früh, diesmal begab ich mich zum nahen Nyugati pu. Dort stand der mächtige IC Latorca mit über zehn Wagen. Er hatte mehrere Verstärkerwagen bis Nyíregyháza hinter den internationalen Kurswagen. Mein Ticket bis Záhony hatte ich schon online gekauft für ca. 13 € inkl. Pflichtreservierung. Ca. 5 min vor Abfahrt stieg ich ein und bekam gerade noch einen Sitzplatz (natürlich nicht meinen reservierten), im Laufe der Fahrt musste einige stehen – trotz Pflichtreservierung.^^ Im Laufe der Fahrt der Zug immer mal wieder 5 – 6 min verspätet, aber nichts Ernstes. Was mir positiv auffiel: Nirgendwo sah man am Bahnsteig jemanden rauchen, obwohl in Ungarn min. genauso viele Leute rauchen wie bei uns. Über vier Stunden lang ging es durchs sowas von langweilige Plattland. Ich hörte die erste Ansage im Zug seit Villach – leider nur einsprachig.^^ Ich versuchte, den Zub zu fragen, ob ich für die Weiterfahrt über die Grenze früher im Zug sein müsse, aber sein Englisch war nicht so gut, er konnte mir nur sagen, dass an der Grenze eine knappe Stunde („a little hour“^^) Aufenthalt ist.
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121 Die Kurswagen am Vorabend
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122 Noch im Halbschlaf entstand nur ein unscharfes Bild vom Westbahnhof
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123 Der lange IC Latorca. Normalerweise stehen die Kurswagen ganz hinten am Prellbock, doch heute sind sie außerhalb der Bahnhofshalle und dahinter etliche Verstärkerwagen nach Nyíregyháza.
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124 Ungarische Brotbüchse. Also Paprikabüchse.
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125 Meistens war die Landschaft soooo spannend^^
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126 Die Normalspurstrecke für Güterzüge über Eigentlich-Breitspur-Gebiet nach Rumänien scheint nicht in gutem Zustand zu sein
Durchgehend waren bei diesem Zug nur die Zugnummer, die Kurswagen und der Zub, der Rest stieg am Grenzbahnhof Záhony aus und kaufte sich dort ein Ticket zum vergünstigten Tarif.^^ So wollten min. 60 Leute ebenfalls ein grenzüberschreitendes Ticket. Es kostete 2,30 € für 12 min Fahrtzeit. Die Schalter-Dame war äußerst genervt, dass ich kein Ungarisch verstand (naja, Zahlen kann ich immerhin bis vier, aber die kleinste Münze hat halt 5 Forint, und ein Euro ist schon über 300 Forint Wert^^). Ich stelle mir unseren Dialog ungefähr so vor: Ich: „Guten Tag, ein Ticket nach Csap, bitte.“. Sie: „[zensierter Fluch]. 700 Forint!“. Ich: „Ich verstehe nicht. Sprechen Sie Englisch oder Deutsch, bitte?“. Sie: „Nein! [Bis hierhin konnte ich der Sache noch folgen, das folgende ist nur Vermutung anhand ihrer Mimik]. Gib mir halt 700 Forint, du Döskopf!“. Ich: „¯\_(ツ)_/¯“. Sie: „Ey, da unten in der Ecke steht der Preis, du Pfosten!!!“. Ich: „¯\_(ツ)_/¯“. Sie, sichtlich genervt, aber immer noch ohne dorthin zu zeigen: „Alter, Idiot, schau halt auf die winzige, fast unsichtbare Kasse ganz unten in der Ecke!!!“. Der Typ hinter mir in der Schlange kam heran und zeigte mir die Kasse. Ich bezahlte...
Kurz darauf saß ich wieder im Zug. Die zahlreichen klimatisierten IC-Wagen waren durch einen einzigen Regio-Wagen ersetzt worden. Ein paar min vor Abfahrt gingen Zöllner durch und prüften die Pässe, sonst passierte nichts. Dann zog die bessere Rangierlok den einen gut gefüllten Sitzwagen und die zwei Kurswagen in eine für mich völlig unbekannte Welt.
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127 In Záhony hieß es für alle aussteigen. Ein Doppel-Flirt nach Budapest steht schon bereit.
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128 Der Doppel-Flirt, mein Zug mit bereits umgesetzter Lok, dahinter der mächtig abgegrabbelte Wagen über die Grenze
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129 Eine bessere Rangierlok verrichtet den internationalen Dienst
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130 – 131 Wir passieren das örtliche Betriebswerk
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132 Die EU-Außengrenze. Mein erster Aufenthalt in der ehemaligen Sowjetunion beginnt.

Und weiter geht es wieder in der nächsten Woche. ;-)

Es grüßt
Das Krümelmonster

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Was Du suchst, ist in Dir. Ansonsten ist es im Kühlschrank. Oder in der Kekspackung. :)


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