Hauptbahnhof in Endzeitstimmung (55 Bilder), Teil 1 (Reiseberichte)

Sören Heise, Region Hannover, Samstag, 07.03.2015, 14:30 (vor 3330 Tagen)

Moin!

Bald drei Jahre ist es her, daß ich Kassels Hauptbahnhof zum ersten Mal vorgestellt hatte. Damals in knapp fünfzehn Bildern und gemeinsam mit dem mittlerweile echten Kasseler Hauptbahnhof, Wilhelmshöhe. Heute nun steht allein der Hauptbahnhof im Mittelpunkt. Er verbreitet tief im Westen eine Art Endzeitstimmung. Das paßt auch zu ihm: Nachdem ihm vor über 20 Jahren mit der Eröffnung des Fernbahnhofs Wilhelmshöhe einiges an Verkehr verlorenging, dürfte die Anzahl der Fahrgäste im Jahr 2007 nochmals gesunken sein. Seitdem ermöglicht nämlich die Regiotram umsteigefreie Fahrten ins Stadtzentrum. Außerhalb von Zugankünften präsentiert sich Kassels Hauptbahnhof vom Menschenaufkommen her eher kleinstadtmäßig, man ahnt kaum, daß die dazugehörige Stadt Kassel knapp 200.000 Einwohner hat.

Der einleitende Textteil wird etwas länger, gilt es doch, neun Bahnstrecken zu beschreiben. Ich werde hierbei Geschichte und Verkehr jeweils streckenweise abhandeln. Wir beginnen mit der Regiotram und der Schnellfahrstrecke, ehe wir uns den übrigen Bahnstrecken zuwenden.


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Am 2. Juni 1991 ging nach achtzehnjäriger Bauzeit die Schnellfahrstrecke Hannover - Würzburg vollständig in Betrieb. Gleichzeitig nahm die Bundesbahn den planmäßigen ICE-Verkehr auf. Die Strecke berührt Kassels Hauptbahnhof nicht, stattdessen wurde der Bahnhof Wilhelmshöhe zum Fernbahnhof ausgebaut. Das war für Kassel ein großer Tag, denn seitdem liegt Kassel an der wichtigen Nord-Süd-Verbindung. Zuvor hatten die meisten Fernzüge dieser Relation um Kassel einen großen Bogen gemacht.


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Nach langen Jahren der Planung wurde im Sommer 2007 die Regiotram Kassel in Betrieb genommen. Das ist örtliche Variante des "Karlsruher Modells", also der Verknüpfung von Eisen- und Straßenbahn. Die Verbindung der beiden Netze erfolgte durch eine kurze Tunnelstrecke unter dem Hauptbahnhof hindurch, hierzu wurden die unterirdische Straßenbahnhaltestelle Hauptbahnhof und ein kurzes Tunnelstück stillgelegt, während die andere Rampe weitergenutzt wurde. Die Regiotram hat am Hauptbahnhof eine eigene Haltestelle, sie ist dreigleisig und liegt auf der westlichen Tunnelrampe an der Stelle eines früheren Bahnsteigs. Auf den Straßenbahngleisen fährt die Regiotram zusätzlich zu den bisherigen Straßenbahnlinien.
Die Strecke nach Wolfhagen ist nicht elektrifiziert, weshalb es einige Regiotram-Fahrzeuge gibt, die über einen Dieselmotor verfügen, im Hauptbahnhof wird umgeschaltet. Die übrigen Fahrzeuge sind neben der Straßenbahn- für die übliche Eisenbahnspannung ausgelegt. Auch gab es Verkürzungen des Regiotram-Netzes: Die wenigen Leistungen zwischen Hümme und Warburg wurden ersatzlos eingestellt; die Linie nach Treysa wird ab Fahrplanwechsel im Dezember 2015 wieder mit Vollbahnfahrzeugen gefahren. Diese Linie war übergangsweise eingeführt worden, da der ursprünglich geplante Fahrplan auf den anderen Strecken noch nicht gefahren werden konnte.


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Wir schauen uns nun die auf Kassel zuführenden Bahnstrecken an. Einige verzweigen sich erst weiter draußen in den Vororten. Den Anfang soll die Strecke Richtung Warburg - Altenbeken - Paderborn, Teil der Mitte-Deutschland-Verbindung, machen. Sie war beim Bau die Bahnstrecke von Cassel nach Carlshafen, die Carlsbahn. Als Namensgeber fungierte posthum Landgraf Carl von Hessen, der anno 1669 Carlshafen gegründet und dort Hugenotten eine neue Heimat gegeben hatte.
Bauherr der Bahnstrecke war die private Friedrich-Wilhelms-Nordbahn-Gesellschaft, der wir später nochmals begegenen werden. Am 30. März 1848 ging zunächst der Nordabschnitt zwischen Carlshafen und Grebenstein in Betrieb, am 18. August 1848 folgte der Abschnitt Grebenstein - Kassel. Am 6. Febraur 1851 kam die Seitenstrecke von Hümme nach Warburg mit Anschluß ans westfälische Eisenbahnnetz hinzu. Das sollte die wichtigere Verbindung werden, am 11. Dezember 1970 wurde die Strecke Kassel - Warburg elektrifiziert. Da war der Personenverkehr nach Carlshafen (der Bahnhof hieß zuletzt Bad Karlshafen linkes Ufer) schon Geschichte, er endete wie auch der Güterverkehr nördlich von Trendelburg am 25. September 1966. 20 Jahre und zwei Tage später hörte auch zwischen Hümme und Trendelburg der Güterverkehr auf, die Strecke war somit Geschichte und dient heute teilweise dem Zweiradverkehr.
Die Regiotram verkehrt halbstündlich bis Hümme. Zweistündlich fährt die Baureihe 612 den RE Kassel-Wilhelmshöhe - Warburg - Hagen. Montags-freitags verkehren in Tagesrandlagen zwei Zugpaare der Eurobahn nach Altenbeken - Paderborn - Hamm, DB Fernverkehr sieht man dreimal: Ein Zugpaar mit ICE 3 fährt zwischen München und dem Rhein-Main-Raum, ferner bestehen zwei Zugpaare von Düsseldorf nach Halleipzig (ein IC, ein ICE-T). Für nähere Informationen und den Wochenendfahrplan verweise ich aufs Kursbuch.


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Von der Warburger Strecke zweigt in Obervellmar die Strecke nach Wolfhagen ab. Sie wurde am 1. September 1897 eröffnet. Hier verkehrt stündlich die Kurhessenbahn (Linie Kassel-Wilhelmshöhe - Korbach, Baureihe 646 oder 628) und halbstündlich die Regiotram (Zierenberg - Wolfhagen stündlich).


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Kassel ist der südliche Endpunkt der Hannöverschen Südbahn. Am 8. Mai 1856 wurde die Teilstrecke Göttingen - Dransfeld - Hannoversch Münden eröffnet, am 23. September die Fortsetzung nach Kassel. Diese beiden Abschnitte sollten sich unterschiedlich entwickeln. Am konnte 13. März 1872 die Strecke von Hannoversch Münden nach Eichenberg eröffnet werden, die eine bessere Topographie als die Dransfelder Strecke aufweist. Die verschwand somit in der zweiten Reihe, zum Sommerfahrplan 1980 endeten der zuletzt schawache Reiseverkehr und der Güterverkehr östlich von Dransfeld. Im Februar 1991 endete der Güterverkehr zwischen Hann. Münden und Dransfeld. Die Strecke nach Eichenberg hingegen ist als zweigleisige, elektrifizierte (seit 27. September 1967) Hauptstrecke weiterhin in Betrieb.
Hier verkehren stündlich die Flirt-Triebwagen von Cantus (Linie Kassel - Göttingen) sowie zwei zweistündliche Linien von DB Regio Südost: Lokbespannte (BR 143) Doppelstockzüge sind als RE Halle - Kassel unterwegs, die Baureihe 642 fährt den RE Erfurt - Kassel. Beide Linien bedienen Kassel-Wilhelmshöhe, Cantus den Hauptbahnhof.


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Südwärts führt die Strecke nach Bebra und Gerstungen. Auch sie wurde durch die Friedrich-Wilhelms-Nordbahn-Gesellschaft errichtet. Am 29. August 1848 wurde die Strecke Bebra - Guxhagen dem Betrieb übergeben. Seit Eröffnung der Teilstrecke Bebra - Gerstungen am 25. September 1849 besteht Anschluß an die Strecke der Thüringischen Eisenbahn-Gesellschaft nach Eisenach, sie wurde am selben Tag eröffnet, ebenso die Teilstrecke von Guxhagen nach Guntershausen.
Am 25. September 1966 wurde die Strecke Kassel - Bebra elektrifiziert, zum Sommerfahrplan 1995 die Fortsetzung nach Thüringen hinein. Zwischen Kassel und Bebra fahren die zwei Fernzugpaare zwischen dem Ruhrgebiet und dem Raum Halleipzig, ferner stündlich Cantus-Züge zwischen Kassel, Bebra und Fulda sowie halbstündlich die Regiotram nach Melsungen.


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Die Strecke Kassel - Guntershausen wurde am 29. Dezember 1849 eröffnet. Sie wird durch die Züge Richtung Bebra und Richtung Frankfurt genutzt. Letztere nutzen ab Guntershausen die Main-Weser-Bahn über Gießen. Ihr Nordabschnitt bis Wabern wird seit demselben Tag befahren. Die Strecke wurde in vielen kurzen Etappen eröffnet: 2. Januar 1850 Wabern - Treysa, 4. März bis Kirchhain, 3. April bis Marburg, 25. Juli bis Lollar und 25. August bis Gießen. Zuvor war am 10. Mai die Südstrecke Frankfurt - Friedberg an der Reihe gewesen. Am 9. November wurde sie bis Butzbach verlängert und am 1. Mai 1851 bis Lang Göns. Die Lücke zwischen Lang Göns und Gießen wurde am 15. Mai 1852 geschlossen. 1865 kam das zweite Gleis, etwa 100 Jahre später die Elektrifizierung: Am 11. Oktober 1963 zwischen Friedberg und Bad Nauheim, am 14. Mai 1965 zwischen Frankfurt und Friedberg sowie Bad Nauheim und Gießen und am 20. März 1967 zwischen Gießen und Guntershausen.
Auf der Main-Weser-Bahn fährt zweistündlich der IC Hamburg - Karlsruhe und ebenfalls zweistündlich der RE Kassel - Frankfurt (111 mit Doppelstockwagen). Sie beide bilden auf dem gemeinsamen Abschnitt einen ungefähren 30/90-Minuten-Takt. Zwischen Kassel und Treysa fährt stündlich die Regiotram, teilweise mit der Kurhessenbahn (Baureihe 628) als Subunternehmer. Ab Dezember 2015 flirtet hier die Hessische Landesbahn mit den Pendlern und eventuellen sonstigen Reisenden.


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Eine etwas seltsame Geschichte hat die Bahnstrecke nach Waldkappel. Sie beginnt in Kassel-Wilhelmshöhe, beschreibt einen großen Bogen um die Stadt und führt dann hoch ins Lossetal. Der Abschnitt durchs Fuldatal ermöglichte am 15. März 1880 den Anschluß an Kassel, die Strecke Bettenhausen - Waldkappel war am 1. Dezember 1879 eröffnet worden. In Waldkappel schloß sie an die am 15. Mai 1879 eröffnete Strecke Niederhone (heute: Eschwege West) - Treysa an. Am 26. Mai 1971 war der kurze Abschnitt zwischen Wilhelmshöhe und Bettenhausen elektrifiziert worden, am 31. Mai 1985 endete der Reiseverkehr zwischen Kassel, Waldkappel und Eschwege. Zwischen Kaufungen Papierfabrik und dem Stadtgebiet von Hessisch Lichtenau wurde die Strecke für die Straßenbahn modernisiert. Am 8. Juni 2001 ging der Abschnitt bis Helsa wieder in Betrieb, am 29. Januar 2006 die Fortsetzung nach Hessisch Lichtenau. Hier biegt die Strecke vor dem Bahnhof in die Stadt auf eine Neubaustrecke ab. Die Strecke ist mit 600 V Gleichstrom elektrifiziert. Der Ort Kaufungen wird auf einer Neubaustrecke als Straßenbahn durchquert, die alte Bahnstrecke sah bis zum 6. Juli 2007 einige wenige Expresszüge nach Hessisch Lichtenau im Dieselbetrieb. Die sind aber mittlerweile Geschichte.

Im Vorortbahnhof Bettenhausen zweigte die Söhrebahn ab. Auch sie ist mittlerweile Geschichte. Am 21. August 1912 wurde sie eröffnet, ihr Hauptkunde waren die Kohlegruben am Endbahnhof Wellerode Wald. Am 1. September 1966 endete der Reiseverkehr, 1970 übernahm die Bundesbahn die Strecke und den Güterverkehr. Die Strecke ist mittlerweile abgebaut.


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Teil 2 als Antwort.


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