Der Bahnhof der Punktesammler (50 Bilder), Teil 1 (Reiseberichte)

Sören Heise, Region Hannover, Mittwoch, 18.06.2014, 17:58 (vor 3572 Tagen)

Hej,

heute besuchen wir Flensburg, an der schleswig-holsteinischen Ostküste hoch im deutschen Norden gelegen und weiter entfernt am ehesten bekannt als die Stadt, in der die Punkte der Autofahrer verwaltet werden (was wohl nicht nur auf den Genuß von Flensburger Rum zurückzuführen ist). Die historische Beschreibung stützt sich auf das Buch 150 Jahre Eisenbahn in Flensburg. Von der südschleswigschen Eisenbahn zur Deutschen Bahn AG der Herren Kaufhold, Klein und Schikorr (Berlin 2004, DNB).


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Zuvor aber das übersichtliche Zugangebot. Nach Kiel (über Süderbrarup - Eckernförde) fährt stündlich ein Eilzug mit ein oder mehreren Lints, über die Rendsburger Hochbrücke nach Neumünster fährt zweistündlich ein Eilzug (weiter bis Hamburg, Baureihe 112 und fast nur Interregiowagen) und zweistündlich ein Bummelzug (Baureihe 112 und Rotlinge), bemerkenswert ist die Symmetrie der beiden Linien jeweils zur halben Stunde.
Nach Dänemark fährt zweistündlich (schlanker Übergang zum Hamburger Eilzug) ein Intercity, zumeist bis Kopenhagen (Baureihe MF, "IC3"). Hinzu kommen zwei Fernzugpaare zwischen Aarhus und Hamburg, von denen die Hälfte bis Berlin weiterfährt sowie - noch - der Nachtzug von halb Europa nach Kopenhagen.


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Als die Eisenbahn nach Flensburg kam, war die Stadt als Teil des Herzogtums Schleswig Teil des dänischen Gesamtstaats. Bereits 1837 gab es erste Pläne für eine Bahnstrecke nach Tönning, die den Seeweg um die Kimbrische Halbinsel verkürzen und den bedeutenden Hafen näher an die Westsee bringen sollte. Das alles dauerte, eine Wirtschaftskrise und 1848 ließen das Projekt zunächst in der Schublade verschwinden. Zu dem Zeitpunkt war die Strecke von Altona nach Kiel schon in Betrieb, so daß es auch Ideen gab, Flensburg an diese Strecke anzuschließen. Am 8. September 1852 schließlich erteilte König Friedrich VII. einem englischen Unternehmer die Konzession für die Strecke Flensburg - Husum - Tönning mit einer Zweigstrecke von Oster-Ohrstedt nach Rendsburg. Am 4. Oktober 1854 wurde die Verbindung der Meere in Betrieb genommen, vermutlich am 15. Oktober die Verbindung mit Rendsburg. Dort mußte man zunächst umsteigen und die Stadt mit anderen Verkehrsmitteln queren, erst am 22. Januar (Güter) bzw. am 17. Mai 1856 (Reisende) wurde der durchgehende Betrieb aufgenommen.
Der erste Bahnhof in Flensburg lag innenstadtnah (das ist der heuige Blickwinkel) am Südende der Förde, am heutigen Busbahnhof und wurde Englischer Bahnhof genannt. 1883 (mittlerweile gehörte Flensburg zum Deutschen Reich, die deutsch-dänische Grenze verlief nicht mehr zwischen Hamburg und Altona, sondern zwischen Wojens und Vamdrup) wurde das bisherige Empfangsgebäude abgerissen und durch ein neues im zeittypischen Stil ersetzt. Das wurde 1884 eingeweiht und - wir greifen voraus - 1955 abgerissen.


Derselbe Unternehmer, Samuel Morton Peto (er war Brite), der die Strecken um Oster-Ohrstedt erbauen ließ, erhielt anno 1862 die Konzession für eine Strecke nordwärts bis zur Grenze mit dem Königreich. Der südliche Abschnitt bis Rothenkrug wurde am 15. April 1864 zunächst provisorisch eröffnet, Wojens wurde am 1. Oktober erreicht. Der Abzweig von der Linie nach Flensburg erfolgte auf freier Strecke, den Bahnhof dort nannte man Nordschleswigsche Weiche.
Am 1. November 1866 wurde die dänische Strecke bis zur Grenze eröffnet, so daß nun der durchgehende Zugverkehr aufgenommen werden konnte, Grenzbahnhof war das dänische Vamdrup. Denn nach dem Deutsch-Dänischen Krieg waren dem dänischen König die deutschen Herzogtümer verloren gegangen; während Schleswig direkt zu Preußen kam (ebenso Lauenburg, das uns nicht weiter interessiert), gab es für Holstein (das uns hier ebensowenig interessiert) ein kurzes österreichisches Intermezzo, das aber nach dem Deutschen Krieg zuende war. Die Eisenbahn um Flensburg erhielt einen neuen Besitzer, die Engländer verkauften an die Schleswigsche Eisenbahn AG zu Flensburg. Diese aber erhielt die Konzession nur unter der Bedingung, eine direkte Verbindung von Flensburg nach Rendsburg herzustellen. Am 29. Dezember 1869 wurde sie eingeweiht, die Husumer Strecke wurde in Jübek angebunden. Die alten Streckenführungen wurden weitgehend stillgelegt. Am 23. Februar 1885 ging die Schleswiger Eisenbahn in preußisches Eigentum über.


Flensburg war nun, wie auch Hadersleben (seit 2. Mai 1866) und Apenrade (seit 12. September 1868), nur durch eine Zweigbahn an die Hauptbahn angeschlossen. Das mißfiel. Zusammen mit den Plänen zum Bau einer Bahnstrecke von Kiel nach Flensburg und einer eventuellen Weiterführung nach Sonderburg wurde ein neuer Bahnhof westlich der Stadt oben auf der Höhe ins Spiel gebracht. Daraus wurde nichts, die am 21. Dezember 1881 eingeweihte Strecke von Flensburg nach Eckernförde (dorthin war die Eisenbahn aus Kiel schon seit dem 1. Juli 1881 unterwegs) erhielt in Flensburg einen eigenen Bahnhof in unmittelbarer Nähe des bestehenden. Erst 1883 - 1885 entstand eine Gleisverbindung.


Wenden wir uns kurz von der Normalspur ab. Denn am 20. August 1885 wurde die erste Teilstrecke der späteren Flensburger Kreisbahn feierlich eröffnet, von Flensburg nach Glücksburg. Ihr Schöpfer Emil Kuhrt stand auch für weitere Bahnen in Schleswig, die alle günstig zu bauen und zu betreiben waren („diese Grundsätze flossen maßgeblich in den Entwurf des späteren preußischen Kleinbahngesetzes ein”, so das Vorwort zu Heinz-H. Schöning, Dirk W. Kupfer, Die Flensburger Kreisbahnen, Nordhorn 2004). Die Strecke wurde 1886 nach Kappeln verlängert (Eröffnung am 1. Juli). 1901/1902 wurde die Südstrecke eröffnet. Sie führte über Satrup und Sörup nach Rundhof, wo sie an die Nordstrecke anschloß. Zwischen 1925 und 1934 hing zwischen Flensburg und Glücksburg Oberleitung, hier verkehrten auch Straßenbahnwagen. Die Kreisbahn wurde nicht alt, schon am 1. Oktober 1938 endete der Verkehr auf der Südstrecke offiziell, 1952/1953 wurde in Etappen auch die Nordstrecke stillgelegt, zuletzt am 31. März 1953 die 17 Kilometer lange Teilstrecke von Flensburg nach Langballig. Bis 1901 endete die Kreisbahn in Flensburg im Englischen Bahnhof, anschließend wurde der weiter nördlich gelegene Kreisbahnhof genutzt.


Am 1. Oktober 1889 erhielt das Streckennetz um Flensburg Zuwachs. An jenem Tag fand die Eröffnung der Strecke von Weiche nach Lindholm statt, die Züge fuhren weiter bis ins nahe Niebüll. Am 31. Mai 1981 wurde der Reiseverkehr eingestellt, die Strecke ist mittlerweile nicht mehr befahrbar. Als Ersatz bietet die Autokraft mittlerweile eine Schnellbuslinie an.


Zwischenzeitlich war in Weiche ein Rangierbahnhof errichtet worden (heute liegen noch ein paar Gleise, rangiert wird schon lange nicht mehr) und es stießen die Bahnanlagen mitten in der Stadt an ihre Kapazitätsgrenzen. Man entschied sich für einen Neubau außerhalb der Stadt, der Personenbahnhof sollte 1300 Meter weiter südlich zu liegen kommen. Das rief zunächst die Wutbürger auf den Plan, aber 1911 wurde das Projekt beschlossen. 1914 begannen die Bauarbeiten, am 1. August wurde der Bahnhof Nordschleswigsche Weiche in Flensburg-Weiche umbenannt. Nach einer kriegsbedingten Unterbrechung gingen die Bauarbeiten ab dem Jahr 1919 weiter; sie erwiesen sich aufgrund der Bodenverhältnisse als schwierig, besonders im Bereich des neuen Personenbahnhofs.


Nach dem 1. Weltkrieg kam Nordschleswig zu Dänemark, Weiche wurde Grenzbahnhof auf deutscher Seite, Pattburg auf dänischer. Die Umbauarbeiten gingen weiter, aber die ursprünglich für Herbst 1923 geplante Inbetriebnahme des neuen Personenbahnhofs verzögerte sich, erst am 1. Dezember 1927 fuhren die ersten Züge. Den Anschluß ins Zentrum vermittelte bis 1973 die Straßenbahn, seitdem der Stadtbus. Das Bahnhofsgebäude ist in rotem Backstein gehalten und dem Heimatschutzgedanken verpflichtet (das heißt, so gebaut wie man sich regionaltypische Architektur vorstellte). Östlich des Personenbahnhofs entstand ein neues Bahnbetriebswerk, der alte Bahnhof blieb für den Güterverkehr in Betrieb (zusätzlich ging 1934 am neuen Bahnhof eine neue Güterabfertigung in Betrieb); zwischen Bahnhof und Stadt verkehrte die Straßenbahn. Der Reiseverkehr wurde anfangs in Harrislee grenztechnisch abgefertigt, ab dem 15. Mai 1936 erfolgte das in Flensburg, hierfür wurde auf dem hinteren Bahnsteig das Grenzzollamt errichtet.


Zu vermelden ist noch ein Streckenneubau. Durch den Weltkrieg verzögert konnte die Bahnstrecke von Flensburg-Weiche über Löwenstedt nach Husum erst am 2. November 1926 dem Betrieb übergeben werden. Wie viele junge Strecken wurde auch diese nicht alt: Bereits am 30. Mai 1959 endeten der gesamte Reiseverkehr sowie der Güterverkehr auf dem Südteil, die acht Kilometer von Weiche nach Wanderup wurden noch bis Ende Januar 1970 bedient.


Am 20. August 1991 wurde ein Vertrag über die Elektrizierung der Strecken von Hamburg nach Flensburg und Kiel geschlossen, hierbei war Pattburg zum Systemwechselbahnhof auserkoren worden. Dies hatte große Auswirkungen auf den Bahnhof Flensburg. So wurde das Bahnbetriebswerk geschlossen, die Signaltechnik wurde modernisiert und es wurde der mittlere der drei Bahnsteige entfernt. Am 3. März 1996 erfolgte die offizielle Eröffnung des elektrischen Betriebs, fahrplantechnisch wirksam wurde er am 2. Juni.


Zwischenzeitlich gab es Gedanken, wieder Züge zum alten Bahnhof zu führen. Besonders für die Verbindung aus Kiel gestaltet sich das nicht ganz einfach, daraus geworden ist nichts und wird wohl auch nie wieder etwas. Wie ich verstanden habe, wurde das Gleis letztes Jahr zuletzt befahren. Im Dezember 2010 wurde der Regionalverkehr mit Dänemark neu geordnet. Zuvor fuhren die zweistündlichen RE-Züge bis Pattburg (früher mal gab es über die Grenze einen Stundentakt), seitdem kommen dänische Dieseltriebwagen bis Flensburg.


Teil 2 folgt sogleich.

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